Urlaub, Shutdown, Tests – die Streitpunkte der Nacht
Bund und Länder verhakten sich auf breiter Front, teils krachte es ordentlich. Das Ergebnis sind Kompromisse.
BERLIN Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aß einen Schokoriegel zur falschen Zeit, Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vergnügte sich mit lustigen „Ä“-Tweets. Die Zeit war lang, und es knirschte gewaltig bei den Beratungen von Bund und Ländern. Zeitweise hatten viele Teilnehmer Leerlauf – beraten wurde dann nur in kleiner Runde: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD). Ein Überblick über die größten Streitpunkte.
Urlaub Die Debatte über den Osterurlaub war der große Knackpunkt. Der Vorstoß der Nordländer für einen „kontaktarmen“Urlaub in Ferienwohnungen oder Wohnmobilen wurde von Merkel mit einem Machtwort eingesammelt: So gehe es in dieser Lage nicht. Die Folge: stundenlange Pause der großen Runde, Gespräche in unterschiedlichen Kleingruppen. Merkel will Reisen aber nicht nur an Ostern, soweit es die Rechtslage zulässt, verhindern.
Für die Wirtschaft einiger Bundesländer ist der Inlandstourismus jedoch überlebenswichtig. „Insgesamt verhehle ich nicht, dass wir eigentlich den Reisehinweis geben, dass man eben nicht reisen sollte in diesem Jahr“, sagte Merkel nach dem Gipfel. Sie stört sich insbesondere an den Flugreisen nach Mallorca, während Hotels in Deutschland ge schlossen bleiben müssen. Doch die Rechtslage gibt Reiseverbote nicht her, solange es sich bei den Zielen nicht um Hochrisikogebiete handelt. Und so musste es Merkel zähneknirschend als Erfolg verkaufen, dass die Airlines Corona-Tests für Reiserückkehrer anbieten wollen. Ein Kompromiss, der die touristisch geprägten Bundesländer nun besänftigen soll, sind zusätzliche Wirtschaftshilfen für besonders gebeutelte Branchen wie Hotels und Gaststätten.
Shutdown über Ostern Vom 1. bis 5. April fährt das Land herunter. Die Einzelheiten werden noch geklärt. Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, ist mit den Beschlüssen zufrieden. „Die Politik hat jetzt vollkommen richtig gehandelt. Die Zahl unserer Patienten steigt seit einigen Tagen wieder und wird auch die kommenden zwei bis drei Wochen weiter steigen“, sagte Marx unserer Redaktion. „Wir dürfen die deutlich höhere Ansteckungsgefahr der britischen Mutation nicht unterschätzen. Die Inzidenzen, die wir jetzt sehen, sind dieser Mutation geschuldet“, betonte der Divi-Präsident. Als Reaktion hält er nur eine Verschärfung der Maßnahmen für angebracht. „Möglichst wenig Kontakte zu anderen Menschen ist nun leider eines der wenigen Mittel, die wir gegen Corona in der Hand haben“, so Marx weiter.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßt die Beschlüsse. „Der beschlossene verschärfte Lockdown an Ostern kann die Welle brechen und ist ein wichtiges Signal an die Bevölkerung, wie ernst die Lage ist“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Deutschland stehe am Beginn der dritten Welle. „Für flächendeckende Öffnungen gibt es leider keinen Spielraum“, betonte Landsberg. Es sei dringend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Entwicklung zu bremsen.
Tests in Betrieben Der dritte große Streitpunkt war die Teststrategie für Unternehmen. So wollten die SPD-regierten Bundesländer mehrheitlich eine Testpflicht für Betriebe einführen, sodass Mitarbeiter regelmäßig hätten getestet werden müssen, wenn sie ins Büro kommen. Unionslinie war das nicht; CDU und CSU wollten lieber abwarten – so wurde CDU-Chef Armin Laschet aus der Sitzung zitiert. Nach Angaben des „Spiegels“sprach sich auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff für eine härtere Gangart gegenüber den Unternehmen aus, er sei aber von Laschet zurückgepfiffen worden. Und so fand die MPK nicht zu entsprechend schärferen Beschlüssen, Betriebe müssen ihren Mitarbeitern keine Tests anbieten.
Angesichts der Ergebnisse zieht die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch ein kritisches Fazit. „Die Beschlüsse wurden nur sehr unpräzise formuliert. Ich habe den Eindruck, dass kein Mensch weiß, was mit der ,Ruhepause‘ über Ostern genau gemeint ist“, sagte die Direktorin der Akademie für Politische Bildung im bayerischen Tutzing. Sie habe eindeutige Formulierungen erwartet. „Ich habe mich geärgert, dass man zuerst Text-Exegese betreiben und zusätzlich recherchieren muss, um überhaupt zu erfahren, was eigentlich beschlossen wurde.“
Münch betonte, die Bürger würden eindeutige Vorgaben und klare politische Führung erwarten: „Die Menschen sind extrem unzufrieden. Insofern ist die Akzeptanz sehr gering, auch für die aktuellen Maßnahmen.“Die Regierung mache nicht den Eindruck, gute Ideen zu haben, wie man die Lage besser in den Griff bekommen könne. „Und warum hat man keine guten Ideen? Weil die bisherigen Maßnahmen nicht evaluiert werden. Wir sehen nach wie vor eine Politik, die nicht auf Evidenzen basiert, also auf nachweisbaren Zusammenhängen“, so Münch – das sei „Stochern im Nebel“. „Dieser völlige Verdruss und diese Unzufriedenheit macht mir schon Kummer“, sagte sie mit Blick auf die Akzeptanz der Maßnahmen.