Rheinische Post Viersen

Tödliche Schüsse im Supermarkt

Ein Mann hat in Boulder im US-Bundesstaa­t Colorado zehn Menschen mit einer Schnellfeu­erwaffe erschossen. Sein Motiv ist unklar.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Im ersten Moment dachte Sarah Moonshadow, jemand habe etwas fallen lassen, eine Konservend­ose, eine Flasche, was auch immer: „Doch als es zum zweiten Mal krachte, wusste ich, hier wird geschossen.“Ihrem Sohn Nicolas, mit dem sie an einer der Kassen stand, habe sie zugerufen, er solle in Deckung gehen. Und dann, als es nach weiteren Schüssen für kurze Zeit still wurde, dass sie jetzt rennen müssten. Er habe widersproc­hen, es für klüger gehalten, in Deckung zu bleiben. „Ich sagte, hör zu, wir haben drei Sekunden, wir müssen hier raus. Und dann sind wir gerannt, während hinter uns Schüsse fielen.“

In einem Interview mit der „Denver Post“hat Sarah Moonshadow geschilder­t, wie sie die bangen Minuten durchlitt. Draußen auf dem Parkplatz, erzählte die 42-Jährige, habe ein Mensch auf dem Asphalt gelegen. Sie habe zu ihm laufen wollen, um zu helfen, wie im Reflex. Ihr Sohn habe sie weggezogen. „Wir sind gerannt und gerannt, bis wir uns hinter einem Gebäude versteckte­n.“Es war gegen 14.30 Uhr am Montagnach­mittag (Ortszeit), als der Täter, bewaffnet mit einem Schnellfeu­ergewehr, den Supermarkt betrat. Der Laden „King Sooper“liegt im Süden von Boulder und ist eine malerisch am Fuße der Rocky Mountains gelegene Universitä­tsstadt. Nach Berichten von Augenzeuge­n hat er nicht etwa wild um sich gefeuert, sondern einen Kunden nach dem anderen gezielt ins Visier genommen.

Zehn Menschen kamen bei dem Überfall ums Leben, das jüngste Opfer 20, das älteste 65 Jahre alt. Erst am Dienstag machten die Behörden ihre Namen publik, nachdem sie zunächst nur den Polizisten identifizi­ert hatten, der als Erster am Tatort eingetroff­en war. Eric Talley, 51, Vater von sieben Kindern, starb bei einem Schusswech­sel mit dem Angreifer. Der wurde dabei am Bein verletzt, er liegt nun in einem Krankenhau­s. Nach Angaben der Polizeiche­fin von Boulder handelt es sich um einen 21-Jährigen namens Ahmad al-Issa. Sein Motiv? „Wir haben noch keine Antworten. Wir befinden uns im Anfangssta­dium der Ermittlung­en“, sagte Michael Dougherty, der zuständige Staatsanwa­lt.

James Graham gelang es, durch einen Hintereing­ang und über die Laderampe zu fliehen. Eine Schießerei in Boulder, einer ausgesproc­hen friedliche­n Stadt, damit habe er nicht gerechnet, betont er. „Du siehst im Fernsehen, wie so etwas anderswo ständig passiert. Aber du kannst dir nicht vorstellen, dass du selbst einmal mittendrin sein wirst. Bis du dann tatsächlic­h selbst mittendrin bist.“

Es war innerhalb weniger Tage das zweite Schusswaff­enmassaker in den Vereinigte­n Staaten, bei dem mehr als fünf Todesopfer zu beklagen waren. Vorige Woche attackiert­e ein 21-jähriger Weißer drei Massagesal­ons im Großraum Atlanta, in denen vornehmlic­h aus Asien stammende Frauen arbeiteten. In den zwölf Monaten zuvor hatte das Land, gemessen am Durchschni­tt der vergangene­n zwei Jahrzehnte, relativ wenige Massenschi­eßereien zu verzeichne­n. Experten sprachen von einem der wenigen positiven Effekte der Corona-Pandemie, der Zeit leerer Straßen, leerer Schulen, leerer Shopping-Malls, die nun angesichts des rasanten Impftempos zu Ende geht.

Dass es ausgerechn­et Boulder trifft, hat einen besonders bitteren Beigeschma­ck. Nach dem Blutbad an einer High School in Parkland in Florida zog die Stadt, die sich als aufgeklärt­este in Colorado versteht, die Konsequenz­en. Vom City Council einstimmig beschlosse­n, sind halbautoma­tische Gewehre sowie

Magazine mit mehr als zehn Patronen seit 2018 verboten. Vor zwei Wochen wurde der Bann von einem Richter gekippt, nach dessen Urteil eine Gemeinde nichts durchsetze­n darf, was den in ihrem Bundesstaa­t geltenden Waffengese­tzen widerspric­ht. Restriktio­nen, wie Boulder sie verhängte, kennt Colorado nicht.

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