Wie Wendt in Gladbach zum „Platzelch“geworden ist
Der Schwede wird im Sommer zurück in die Heimat gehen. In Gladbach hat er sich über Jahre beeindruckend behauptet.
Letztens in Budapest roch es bereits nach einem Abschiedsgeschenk für einen der verdientesten Profis bei Borussia Mönchengladbach. In der 88. Minute stand Oscar Wendt an der Seitenlinie, Ramy Bensebainis rote 25 blinkte auf, daneben Wendts grüne 17. Ein letztes Mal, das ist seit Dienstag gewiss, durfte der Schwede für Borussia in der Champions League auflaufen. Nach der Saison kehrt Wendt mit seiner Frau und seinen drei Kindern zurück nach Schweden. Schluss ist dann aber noch lange nicht, mit 35 Jahren wird er noch einmal für seinen Lieblingsund Heimatverein IFK Göteborg auflaufen. Bis Dezember 2022 hat er dort unterschrieben
Als Wendt im Sommer 2011 ablösefrei nach Gladbach wechselte, hatte er bereits üppige Erfahrungen in der Königsklasse gesammelt mit dem FC Kopenhagen, war zudem viermal dänischer Meister geworden und schwedischer Nationalspieler. Sein neuer Klub dagegen war in der Relegation gerade so dem Abstieg von der Schippe gesprungen, und dennoch hatte es Wendt nicht leicht in seiner ersten Saison bei Borussia.
Hinten links war Kapitän Filip Daems gesetzt. Es dauerte noch eine Weile, bis Wendt den belgischen Platzhirsch verdrängen und selbst zum „Platzelch“avancieren sollte. 2019 löste er Daems dann auch als „Rekord-Ausländer“der
Fohlen ab. Da war Wendt längst der „alte Schwede“und dazu übergegangen, seine Verträge im Häppchen-Modus zu verlängern.
Auch seine letzte Saison verbringt Wendt keineswegs auf dem Abstellgleis. Manager Max Eberl klang zuletzt nicht so, als sei die Tür für einen weiteren Jahresvertrag verschlossen gewesen. Bensebaini mag zwar der erste Linksverteidiger sein, der wirklich an Wendt vorbeigezogen ist. Doch der Algerier hat mitunter mit seinem Körper zu kämpfen, sodass sein Konkurrent in Gladbachs Einsatzminuten-Tabelle zwischen Breel Embolo und Hannes Wolf auf Platz 13 steht. Nach der Länderspielpause gegen Freiburg wird Wendt wieder gefragt sein, weil Bensebaini die fünfte Gelbe Karte gesehen hat. Seine Abschiedstournee beginnt mit einem Jubiläum: Wendt steht vor seinem 300. Pflichtspiel für Borussia, das haben vor ihm nur 16 Profis geschafft.
Unumstritten war er nicht immer, lag zwischendurch sogar im Clinch mit den Fans auf der Ostgeraden im Borussia-Park, inklusive Mittelfinger-Eklat („ein kleiner Test mit meiner Hand“), für den er um Entschuldigung bat. Aber Wendt hat sich hinten links behauptet wie Angela Merkel gegen all die CDU-Männer. Oft vertraten ihn gelernte Innenverteidiger wie Nico Elvedi oder Álvaro Dominguez. In Nico Schulz warf ein echter Herausforderer nach zwei Jahren entnervt das Handtuch. Für die nächste Saison wird sich Eberl umschauen müssen nach einem Bensebaini-Back-up.
Welche Wendt-Saison die beste gewesen sein wird, ist schwer zu sagen, so sehr verkörpert er den Profi der Sorte: Man weiß, was man bekommt – und was man nicht bekommt. In der Ära Lucien Favre war er ein eher untypischer Spieler, im Zweikampf oft unkonventionell bis arg relaxed, nach vorne dafür mit stetem Sturm und Drang, während auf der anderen Seite Tony Jantschke immer ein Visum für die gegnerische Hälfte benötigte.
So werden auch einige Tore in Erinnerung bleiben, 19-mal hat Wendt für Gladbach getroffen, 18-mal gab es einen Sieg, nur einst ein spätes 2:2 in Augsburg. Sein Gewaltschuss im April 2015 gegen Dortmund nach wenigen Sekunden ließ Borussia endgültig Kurs nehmen auf die Champions League. Dort erzielte Wendt im November 2020 sein bislang letztes Tor, ein Freistoß gegen Schachtjor Donezk segelte ins Netz.
Für fußballerische Nachrufe ist es eigentlich noch zu früh, weil da einer seinen Abschied angekündigt hat, der noch gebraucht wird und der vor allem nicht aufhört. Göteborg hat die Neapel-Legende Marek Hamsik verpflichtet, den ExHSV-Stürmer Marcus Berg und in diese prominente Riege passt auch Wendt, der sich über Jahre bei einem starken Bundesligisten unter vier Trainern und gegen noch mehr Herausforderer behauptet hat. Dass er mit 35 Jahren noch ambitioniert
seinem Job nachgehen kann, hat Wendt auch seiner guten Physis zu verdanken. Nur 23 Spiele seit 2011 verpasste er verletzt.
Mit ihm geht auch einer der angenehmsten Interviewpartner im Kader, der einem sympathisch vor Augen führte, dass ein Fußballprofi ein angenehm bodenständiges Privatleben führen kann: Rumtoben mit den Kindern, Schallplatten auflegen, Netflix schauen und im Sommer Angeln gehen in der Heimat. Seine Lässigkeit und sein Humor haben Wendt dann irgendwann zu einem Publikumsliebling gemacht. Schon 2015 widmete ihm der Berliner Fanklub „Block B“einen Song: „Wer ist’s, der links nach vorne rennt? Oscar, Oscar Wendt! Wem steht die Raute exzellent? Oscar, Oscar Wendt!“Als sein Abschied verkündet worden war, dauerte es nicht lange, bis „Block B“eine aktuelle Zeile dichtete: „Warum der ganze Fanclub flennt?“Ganz klar: „Oscar, Oscar Wendt!“