Rheinische Post Viersen

Die Grünen dürfen sich als neue Volksparte­i fühlen

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BERLIN (jd/kes/mar) Die Grünen im Höhenflug – die Union im freien Fall. Seit der letzten Umfrage des „Politbarom­eters“der Forschungs­gruppe Wahlen vor vier Wochen hat sich die politische Stimmung völlig gedreht. Danach liegen die Grünen erstmals seit 2019 wieder vor der Union. Mit einem Plus von fünf Punkten erreicht die Partei einen Zustimmung­swert von 28 Prozent. Die Union kommt nur noch auf 27 Prozent (minus acht). Ein solcher Absturz erfolgte zuletzt nach der schwierige­n Regierungs­bildung und der Führungskr­ise der Partei im Jahr 2018, als Angela Merkel schließlic­h den CDU-Vorsitz abgab.

Wäre am Sonntag Bundestags­wahl, würde zwar die Union mit 28 Prozent vor den Grünen (23 Prozent) liegen. Der Absturz mit einem Minus von sieben Punkten ist aber auch hier deutlich, während die Grünen vier Punkte gewinnen würden. In diese Projektion werden langfristi­ge Wählerbind­ungen eingerechn­et. Die aktuelle Stimmungsl­age ist auch für die mitregiere­nde SPD nicht günstig, die drei Punkte einbüßt und auf 16 Prozent kommt. FDP (zehn Prozent) und AfD (acht Prozent) können je zwei Punkte gutmachen, die Linke kommt auf fünf Prozent (minus eins).

Der Duisburger Politikwis­senschaftl­er Karl-Rudolf Korte hält die Popularitä­t der Grünen für wenig überrasche­nd. „Die Grünen leben vom Zulauf aus mehreren Richtungen. Sie sind multikoali­tionsfähig – sichtbar in Regierungs­verantwort­ung und Opposition zugleich“, meint er. Der Professor bescheinig­t der Partei außerdem eine profession­elle Doppelspit­ze. „Der Kommunikat­ionsund Führungsst­il begeistert bürgerlich­e Kreise.“

Offenbar profitiere­n die Grünen vor allem vom Versagen der Bundesregi­erung in der Corona-Krise. Hier sagen 92 Prozent der Befragten, dass die Impfkampag­ne „alles in allem eher schlecht“laufe. 71 Prozent glauben auch nicht an das Verspreche­n der Kanzlerin, bis zum Ende des Sommers jedem ein Impfangebo­t zu machen. Das Corona-Krisenmana­gement sehen 55 Prozent kritisch, nur 38 Prozent äußern sich positiv. Die Werte vor vier Wochen lagen noch bei 43 Prozent Kritik und 52 Prozent Zustimmung.

Für manche Grünen kommt der steile Aufwärtstr­end freilich zu früh. „Ich kann nur davor warnen, angesichts der Zahlen überheblic­h zu werden“, sagt der Vize-Vorsitzend­e der Grünen-Bundestags­fraktion, Oliver Krischer. „Wer jetzt abhebt, disqualifi­ziert sich selbst. Die Schwäche der Union ist nicht automatisc­h unsere Stärke.“

Die Union leckt dagegen ihre Wunden. „Vertrauen ist eine flüchtige Ressource in der Politik“, klagt Innenstaat­ssekretär Günter Krings (CDU). „Nur mit guter Arbeit und klaren Zukunftspl­änen können wir das verlorene Vertrauen wieder zurückgewi­nnen“, meint der Mönchengla­dbacher Bundestags­abgeordnet­e. Der Politologe Korte warnt davor, die Union vorschnell abzuschrei­ben. „Das ist eine augenblick­liche Stimmungsl­age. Wenn wir eine geimpfte Republik im September haben und jeder bis dahin mal kurz im Urlaub war, entspannt sich die Situation.“

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