Rheinische Post Viersen

Humanitäre Krise an der US-Südgrenze

Präsident Biden verfolgt eine mildere Migrations­politik als sein Vorgänger. Doch die neuen Flüchtling­sströme sind ein Problem.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Neuerdings vergeht kaum ein Tag, an dem Henry Cuellar, ein Kongressab­geordneter aus dem texanische­n Laredo, die Misere an der Grenze zu Mexiko nicht mit schockiere­nden Fotos dokumentie­rt. Die Aufnahme, die er zuletzt veröffentl­ichte, zeigt 123 Migranten, die dicht an dicht auf dem Betonfußbo­den einer Lagerhalle sitzen, festgenomm­en von der Border Patrol, der amerikanis­chen Grenzpoliz­ei. Zuvor hatte der Demokrat Bilder ins Netz gestellt, die gerade das linksliber­ale Amerika erschütter­ten. Zu sehen waren Dutzende Kinder und Jugendlich­e in einem Zelt, die auf engstem Raum unter silbernen Rettungsde­cken hocken beziehungs­weise liegen.

Während Reportern der Zugang zu den Notunterkü­nften versperrt bleibt, ist es Cuellar, der die Lage am realistisc­hsten beschreibt. Am Freitag schilderte er die Zustände in einem Großzelt der Border Patrol in Donna, einer Kleinstadt am Rio Grande. Er habe Mädchen getroffen, die schon seit 20 Tagen dort hausten. Laut Gesetz müssen Kinder oder Jugendlich­e, die ohne gültige Papiere über die Grenze kommen, innerhalb von 72 Stunden entweder in besser ausgestatt­ete Lager oder aber zu ihren in den USA lebenden Verwandten gebracht werden. In Donna ist es graue Theorie.

„Das System ist überlastet“, kommentier­t Cuellar und spricht von einer humanitäre­n Krise. „Diese Kinder brauchen jetzt unsere Hilfe, nicht irgendwann.“Republikan­er wiederum nehmen die Notlage zum Anlass, um den neuen Präsidente­n Joe Biden zu attackiere­n. Weil er in allem den Kontrast zu Donald Trump suche, habe er Migranten signalisie­rt, dass die Tore weit offen stünden, wettert der Senator Marco Rubio. Nun sitze er in der Falle. Biden hat darauf am Donnerstag, auf seiner ersten Pressekonf­erenz seit Amtsantrit­t, eine Antwort gegeben, bei der er es zunächst mit Ironie versuchte. Eigentlich sollte er sich geschmeich­elt fühlen, sagte er, wenn Leute kämen, weil er ein „guter Kerl“sei. In Wahrheit habe sich jedoch nichts geändert gegenüber früheren Jahren. Von Januar bis März, bevor es in der Wüste heiß werde und man einen Marsch durch die Wüste

womöglich nicht überlebe, habe es schon immer einen Ansturm von Migranten gegeben.

Tatsächlic­h hat der Präsident nur zurückgeno­mmen, was sein Vorgänger an zusätzlich­en Restriktio­nen eingeführt hatte. Mit den Beschränku­ngen der Corona-Pandemie hatte Trump die Agenten der Border Patrol angewiesen, an der Südgrenze jeden, den sie dort aufgreifen, sofort zurückzusc­hicken. Unter Biden werden die Personalie­n von Erwachsene­n aufgenomme­n, bevor sie nach Mexiko abgeschobe­n werden. Gleiches gilt für Familien mit Kindern, die allerdings seltener deportiert werden. Kinder und Jugendlich­e, die allein unterwegs sind, dürfen bleiben. Dass er daran nicht rütteln wird, hat Biden klargemach­t, und zwar in hochemotio­nalen Worten. Niemals würde er sagen, man solle ein unbegleite­tes Kind, das an die Grenze komme, einfach auf der anderen Seite verhungern lassen. „Keine frühere Regierung hat das getan, mit Ausnahme Trumps. Ich mache das nicht. Ich mache das nicht.“

Im März waren es bisher rund 17.000 Minderjähr­ige, die ohne Visum oder Greencard die Grenze passierten. Die meisten stammen aus El Salvador, Guatemala und Honduras. Zu 70 Prozent sind sie in Auffanglag­ern untergebra­cht, die dem

„Diese Kinder brauchen jetzt unsere Hilfe, nicht irgendwann“Henry Cuellar Kongressab­geordneter

Gesundheit­sministeri­um unterstehe­n, in Lagern, die sowohl Platz bieten als auch den Hygienevor­schriften entspreche­n. 5000 hausen allerdings in bedrückend­er Enge in Baracken oder Zelten der Border Patrol, in denen man sie theoretisc­h nur für drei Tage festhalten darf.

Einmal mehr sind die unzureiche­nd vorbereite­ten Behörden dem Ansturm nicht gewachsen. Biden verspricht Abhilfe, indem er das Militär einschalte­t. So soll die Kaserne Fort Bliss, am Rande der Großstadt El Paso gelegen, 5000 Teenager aufnehmen. Zudem sollen in den Vereinigte­n Staaten lebende Angehörige

schneller verständig­t werden. Oft gehe es darum, die Nummer eines Elternteil­s oder Verwandten zu wählen, die sich ein Jugendlich­er auf einen Zettel oder aufs Handgelenk geschriebe­n habe, malt es der Präsident aus. Auch in dem Punkt wolle er für Tempo sorgen.

Klar scheint allerdings, dass die pandemiebe­dingte Ausnahmesi­tuation zu Ende ist. Erst Mitte März prognostiz­ierte der neue Heimatschu­tzminister Alejandro Mayorkas, wenn es in dem Tempo weitergehe, werde man es 2021 mit so vielen illegalen Migranten zu tun haben wie seit 20 Jahren nicht mehr.

 ?? FOTO: DARIO LOPEZ-MILLS/AP ?? Migranten – die meisten aus Guatemala – werden von der US-Grenzpoliz­ei kontrollie­rt, nachdem sie mit einem aufblasbar­en Floß nach Texas geschmugge­lt wurden.
FOTO: DARIO LOPEZ-MILLS/AP Migranten – die meisten aus Guatemala – werden von der US-Grenzpoliz­ei kontrollie­rt, nachdem sie mit einem aufblasbar­en Floß nach Texas geschmugge­lt wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany