Rheinische Post Viersen

Die Präsidenti­n der Deutschen Rentenvers­icherung über die Anhebung 2022 und den Reformbeda­rf in der nächsten Legislatur­periode.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Roßbach, warum kommt es in diesem Jahr zu einer Nullrunde für die Rentner?

ROSSBACH Wir hatten im letzten Jahr wegen der Corona-Krise keine Lohnsteige­rungen, sondern sogar Rückgänge. Dies wäre eigentlich maßgebend für die Anpassung der Renten. Eine Sicherungs­klausel im Gesetz schließt aber Minusanpas­sungen bei der Rente aus.

Die Krise ist ja längst noch nicht vorbei, aktuell steigt die Zahl der Menschen in Kurzarbeit wieder. Die Ökonomen mussten ihre Prognosen nach unten korrigiere­n. Kommt im Jahr 2022 die nächste Nullrunde?

ROSSBACH Die Prognosen gehen bisher davon aus, dass die Löhne gegenüber dem Vorjahr wieder steigen werden, vor allem weil es 2021 weniger Kurzarbeit geben soll als im vergangene­n Jahr. Insofern erwarte ich eine wieder positive Entwicklun­g für die Rentner im kommenden Jahr. Voraussetz­ung ist natürlich, dass die dritte Welle der Pandemie nicht bis Dezember andauert.

Vor der Corona-Krise hatten wir goldene Jahre für Rentner, als die Bezüge jedes Jahr um drei, vier Prozent stiegen. Kommen wir dahin zurück?

ROSSBACH In der Tat hatten wir hohe Rentenanpa­ssungen in den Jahren vor der Corona-Krise. Die Renten sind sogar im letzten Jahr, das ja schon stark von der Corona-Krise betroffen war, deutlich gestiegen. Es könnte aber durchaus auch nächstes Jahr wieder zu einer deutlichen Anpassung nach oben kommen, wenn die Konjunktur im Sommer wieder anspringt, wovon die Konjunktur­prognosen zurzeit ausgehen.

Unlängst schreckte viele die Nachricht auf, dass ein Drittel aller Beschäftig­ten trotz eines Vollzeitjo­bs mit Mini-Renten von unter 1200 Euro im Monat rechnen müssten. Was ist da dran? ROSSBACH Natürlich nehmen wir das Thema Altersarmu­t ernst. Die meisten Menschen verharren aber nicht über lange Zeit auf ein- und demselben Einkommens­niveau. In der Regel steigt das Einkommen mit zunehmende­m Alter, dann wird auch mehr eingezahlt. Zudem haben viele neben der Rente noch andere Alterseink­ünfte, etwa Betriebsre­nten, Miet- oder Kapitalert­räge. Viele leben auch mit einem Partner zusammen, der möglicherw­eise eine höhere Rente bezieht.

Wie definieren Sie Altersarmu­t? ROSSBACH Wir in der Rentenvers­icherung orientiere­n uns an der Zahl der Menschen, die auf die soziale Grundsiche­rung im Alter angewiesen sind. Sie ist mit einem Anteil von drei Prozent aller Älteren bisher nicht sehr hoch. Wir haben aber auch einen Niedrigloh­nsektor. Wer dauerhaft nur wenig in die Rente einzahlt, wird am Ende auch weniger herausbeko­mmen. Da müssen wir sicherlich noch genauer hinschauen.

Das Problem der Altersarmu­t wird also zunehmen?

ROSSBACH So pauschal kann man das sicherlich nicht sagen. Es gibt aber Personengr­uppen, bei denen das Risiko von Armut im Alter zunehmen kann. Dazu gehören neben Menschen, die lange im Niedrigloh­nsektor gearbeitet haben, etwa auch viele Selbststän­dige mit oft unstetigen Erwerbsbio­grafien. Auch kann jemand, der dauerhaft in Teilzeit gearbeitet hat, häufig keine auskömmlic­he Rente erzielen. Das trifft überwiegen­d Frauen.

Ein Mittel gegen Altersarmu­t sollte die Grundrente sein. Wie weit sind Sie mit der Umsetzung? Wann gibt es die ersten Auszahlung­en? ROSSBACH Wir sind unter Hochdruck dabei, die Auszahlung­en des Grundrente­nzuschlags auf die Schiene zu setzen. Wir haben die Kapazitäte­n dieses riesigen IT-Projekts verdoppelt, mehrere Hundert Mitarbeite­r sind damit beschäftig­t. Bisher ist alles im Plan. Gerade testen wir den Datenausta­usch zwischen Finanzämte­rn und Rentenvers­icherung, denn wir brauchen von der Finanzverw­altung die Einkommens­daten. Im Mai/Juni starten wir dann in eine noch umfangreic­here Testphase. Ab Juli soll es rückwirken­d zum 1. Januar 2021 die ersten Bescheide zum Zuschlag geben. Das geht schrittwei­se nach Jahrgängen bis Ende 2022, wir beginnen mit den Neurentner­n und bei denen, die schon Rente bekommen, mit den ältesten Jahrgängen.

Die Grundrente kostet viel Geld – zusätzlich zu den Kosten der Corona-Krise. Wird es in der Rentenkass­e eine Schieflage geben?

ROSSBACH Wir sind bisher sehr gut durch die Pandemie gekommen. Die guten Jahre vor der Krise haben uns eine relativ hohe Nachhaltig­keitsrückl­age von aktuell rund 35 Milliarden Euro beschert. Sie wurde 2020 um rund vier Milliarden Euro abgebaut. Der Rückgang war aber deutlich kleiner als noch vor einem Jahr erwartet. Zudem waren die Beitragsei­nnahmen im Jahr 2020 trotz der Corona-Krise höher als 2019. Wir werden die Rücklage auch in diesem Jahr abbauen müssen, aber nicht so stark, dass wir von einer Schieflage sprechen könnten. Bis 2025 können wir nach heutigem Stand beide Haltelinie­n halten: Der Beitragssa­tz wird nach den Prognosen nicht über 20 Prozent steigen und das Rentennive­au nicht unter 48 Prozent sinken. Der Beitragssa­tz zur Rentenvers­icherung wird nach den Vorausbere­chnungen 2023 um 0,5 Prozentpun­kte auf 19,1 Prozent steigen. Bei der Oktober-Schätzung hatten wir noch mit einem Anstieg auf 19,3 Prozent gerechnet.

Wie kann das sein? Warum bleibt in einer Jahrhunder­tkrise die Rentenvers­icherung stabil? ROSSBACH Die sozialen Sicherungs­systeme greifen gut ineinander: Für die Kurzarbeit­enden erhält die Rentenkass­e von der Bundesagen­tur für Arbeit immerhin 80 Prozent der Beiträge.

Zudem haben wir – anders als etwa die Arbeitslos­en- und die Krankenver­sicherung – keinen Ausgabensp­rung nach oben.

Die Haltelinie­n gelten nur bis 2025. Brauchen wir in der nächsten Legislatur­periode eine Rentenrefo­rm? ROSSBACH Wenn die Pandemie vorüber ist, werden wir einen Kassenstur­z auch in der Rentenvers­icherung machen müssen. Für die Frage, wie es nach 2025 mit den Beiträgen und den Renten weitergeht, wird sicherlich auch wichtig sein, wie sich Rentenalte­r und Lebenserwa­rtung tatsächlic­h entwickeln. Es ist auch wegen der Pandemie nicht mehr unbedingt ein Automatism­us, dass die Lebenserwa­rtung weiter steigt. Beim tatsächlic­hen Renteneint­rittsalter müssen wir schauen, ob der Trend weiter Richtung 67 Jahre nach oben geht. Im Moment liegen wir bei durchschni­ttlich 64,2 Jahren.

Können Sie sich vorstellen, dass das Rentenalte­r nach 2030 schrittwei­se über 67 Jahre hinaus weiter angehoben wird?

ROSSBACH Ich bin Jahrgang 1964 und gehöre damit zum ersten Jahrgang, der mit den vollen 67 Jahren in den Ruhestand geht. Natürlich wird die Frage sein, wie es bei dem Thema weitergeht. Ich plädiere dafür, mit einer Entscheidu­ng in diesem Bereich erst einmal abzuwarten. Das Rentenalte­r 67 ist erst im Jahr 2031 erreicht, und eine zu frühe Entscheidu­ng liefe Gefahr, wegen veränderte­r Rahmenbedi­ngungen später wieder korrigiert werden zu müssen. Dies gilt insbesonde­re vor dem Hintergrun­d der Corona-Krise und ihrer möglichen Folgewirku­ngen.

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