Rheinische Post Viersen

Marathonlä­ufer mit großen Sorgen

- VON RALF JARKOWSKI

Rekordmann Petros weiß inzwischen zwar, wo seine Familie in Äthiopien ist, aber nicht, wie es ihr geht.

BERLIN (dpa) Albträume und Ängste um seine Familie, aber auch neue Hoffnung auf ein Wiedersehe­n und ein gutes Ende: Gut vier Monate vor Olympia liegt Japan für Deutschlan­ds Marathon-Rekordhalt­er Amanal Petros in jeder Hinsicht noch in weiter Ferne. Ganz nah ist er aber täglich seiner Mutter und den beiden jüngeren Schwestern wenn auch nur in Gedanken. „Sie sind direkt an der äthiopisch-sudanesisc­hen Grenze in einem Dorf. Ich konnte sie bis heute nicht erreichen, ich kann sie auf keinen Fall besuchen, aber ich weiß jetzt, wo sie sind. Das ist besser als gar nichts“, sagte Petros in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erleichter­t und besorgt zugleich.

Monatelang wusste der 25-Jährige überhaupt nicht, wo seine Familie steckt - die Frauen waren in den Kriegswirr­en verscholle­n. Nun hat er sie gefunden und hält indirekt Kontakt, über einen guten Freund aus Mekele, der Hauptstadt der Kriegsregi­on Tigray. „Dort kann ich auf keinen Fall hin. In Tigray ist alles furchtbar, alles kaputt. Da tobt immer noch Krieg“, erzählt Petros. „Wir haben keine Krankenhäu­ser mehr, keine Kliniken, keine Apotheke, keine einzige Fabrik steht mehr. Alles zerstört, alles verbrannt, null.“

Die Situation in seiner äthiopisch­en Heimat ist eine enorme Belastung für den schnellste­n deutschen Marathonlä­ufer, der am 6. Dezember in Valencia den fünf Jahre alten deutschen Rekord auf 2:07:18 Stunden verbessert hat. „Das ist brutal hart! Manchmal schläft man sehr schlecht und träumt schlecht. Das belastet mich brutal - auf jeden Fall“, sagt der Leichtathl­et vom TV Wattensche­id 01.

Sein nächstes Ziel steht fest. „Ich muss sie unbedingt nach Sudan bringen - da sind sie auf jeden Fall sicherer als jetzt“, meint Amanal Petros. Eine Flucht über die Grenze wie auch immer - ist die einzige Lösung. „Das ist aber sehr gefährlich, richtig gruselig. Da wurden schon viele Frauen vergewalti­gt. Ich suche jetzt eine sichere Lösung mit möglichst wenig Risiko“, erzählt der in Eritrea geborene Mann, der in Äthiopien aufgewachs­en ist und im Januar 2012 als Flüchtling aus Tigray nach Deutschlan­d kam.

Nur einmal, nach der Leichtathl­etik-EM 2018, konnte der Sportsolda­t seither nach Äthiopien, um seine Familie zu besuchen. Von dem Haus in Wukro wurde ihm jetzt ein Foto zugespielt. Ein Schock! „Da sitzen Soldaten mit einem Maschineng­ewehr davor. Das ist richtig schlimm - das ist nur 25 Meter von unserer früheren Wohnung entfernt.“

Sein Freund aus Mekele fährt einmal in der Woche zu den Frauen, das sind 42 Kilometer. „Und er sagt mir dann, was meine Familie braucht, was sie sagt, wie die Lage ist“, berichtet Petros. Telefonisc­her Kontakt ist unmöglich. Wie es seinen Liebsten wirklich geht, kann er nur ahnen. „Die sagen mir: Uns geht es gut. Auch wenn sie krank wären...“Er spüre schon, „dass ich eine Hoffnung für sie bin, weil ich ja in Sicherheit bin“.

Und deshalb auch Sport treiben kann. Vom 3. bis 19. März war Petros in Kenia im Trainingsl­ager. Am vergangene­n Sonntag rannte er in Dresden persönlich­e Bestzeit im Halbmarath­on. „Das war mega-windig und sehr kalt - ein Temperatur­sturz von 27 auf 3 Grad! Ein bisschen komisch“, erzählt er.

Die Hoffnung auf ein Wiedersehe­n ist eine Riesen-Motivation für den jungen Mann mit den tiefdunkle­n Augen. Auch im Sport. „Wenn es irgendwann mal in der Heimat wieder gut wird, dann kann man vielleicht auch in die Heimat zurückkehr­en“, meint Petros, „oder an einen anderen sicheren Ort.“Nach Deutschlan­d? „Vielleicht.“

 ?? FOTO:WEIHRAUCH/DPA ?? Amanal Petros startet für den TV Wattensche­id.
FOTO:WEIHRAUCH/DPA Amanal Petros startet für den TV Wattensche­id.

Newspapers in German

Newspapers from Germany