Rheinische Post Viersen

In den Sand gesetzt

Das spektakulä­re Louvre-Museum von Abu Dhabi ist die Ikone des ölreichen Staates, der sich zu einer Drehscheib­e der Kulturen entwickeln will. So mischt sich die Kunst von Orient und Okzident auch an vielen weiteren Orten des Emirats.

- VON HELGE BENDL

Manches ist nicht nur perfekt gemacht, sondern auf geradezu unverschäm­te Art und Weise gut gelungen. Natürlich haben auch die Kunstwerke des Louvre Abu Dhabi ihre Reize, doch die erklären sich oft erst auf den zweiten Blick. Geblendet von Schönheit werden die Besucher aber bereits durch das Gebäude selbst.

Eine Prozession aus Vollversch­leierten und Hotpants-Trägerinne­n, aus Männern in weißen Gewändern und Touristen im Safari-Outfit zieht durch das kaum durchschau­bare Wirrwarr an Räumen und überdachte­n Gassen. Ganz so, als streiften sie durch eine verwinkelt­e arabische Medina. Dann geht es ins Freie auf einen großen Platz. Aber halt: Nicht der Himmel, sondern eine riesige Kuppel wölbt sich über dem Ganzen, mit 180 Metern Durchmesse­r und perforiert wie ein gigantisch­es Abtropfsie­b. Durch die netzartige Struktur schießt die Sonne und zaubert weiße Lichtfleck­en auf den grauen Steinboden – ein Regen aus Licht. Hut ab vor Architekt Jean Nouvel: Er hat da wirklich etwas in den Sand gesetzt.

„Sieh die Menschheit in einem anderen Licht“: Das ist Anspruch und Slogan des Kunstmuseu­ms, einer Dependance der berühmten Institutio­n in Paris. Es will nichts weniger als die komplette Geschichte der Zivilisati­on erzählen, von den ersten Siedlungen der Urmenschen bis zum globalisie­rten 21. Jahrhunder­t. Zwar findet man auch Leonardo da Vincis Gemälde „La Belle Ferronière“und einen van Gogh, dazu viele Franzosen von Cézanne über Degas bis Manet und Monet. Doch der Fokus liegt gerade nicht auf Europa: Objekte aus allerlei unterschie­dlichen Kulturkrei­sen und Kontinente­n werden munter kombiniert.

So stehen also Maria mit dem Jesuskind, eine Frauenkult­figur aus dem Kongo und die Statue der ägyptische­n Göttin Isis mit Sohn Horus nebeneinan­der – wichtiger als Herkunft und Zeit ist der verbindend­e Gedanke der Mutterlieb­e. Handelsrou­ten zwischen Asien, Arabien und Europa lassen sich nachvollzi­ehen, die Erforschun­g des Universums miterleben. Doch ohne Superlativ­e geht es auch hier nicht: Alle warten fiebernd auf den Tag, an dem endlich der „Salvator Mundi“zu sehen sein wird. Das Bild, das Leonardo da Vinci zugeschrie­ben wird, ist das teuerste je verkaufte Kunstwerk der Welt: Es wurde bei einer Auktion für 450 Millionen Dollar ersteigert.

Vergessen ist mittlerwei­le, dass zwischen Ankündigun­g und Eröffnung des Louvre Abu Dhabi zehn Jahre ins Land gegangen sind. Den Scheichs war das Projekt so wichtig, dass sie eine schöne Stange Geld ausgegeben haben. Kolportier­t wird – noch ohne den Aufwand für den Bau und die Kunstwerke – die Summe von einer Milliarde Euro. Dafür darf der neue Ableger des Louvre den Namen 30 Jahre lang nutzen, außerdem schulen die Franzosen die lokalen Kuratoren.

Für viel Abwechslun­g in den Ausstellun­gsräumen unter der riesigen Kuppel ist gesorgt: Der Louvre am Persischen Golf bekommt bis 2027 jährlich bis zu 300 Kunstwerke aus 13 französisc­hen Kultureinr­ichtungen ausgeliehe­n. Parallel dazu wächst die eigene Museumssam­mlung. Saadiyat Island, nur ein paar Autominute­n entfernt vom Stadtzentr­um Abu Dhabis, könnte sich zu einem Kultur-Hotspot entwickeln. Weltberühm­te Architekte­n haben Entwürfe für Gebäude

geliefert, die alle neben dem neuen Louvre entstehen sollen: Norman Foster für ein Nationalmu­seum, Frank Gehry für ein Guggenheim-Museum, Tadao Ando für ein Meeresmuse­um und Zaha Hadid für ein Zentrum für Darstellen­de Kunst.

Unabhängig von den Großprojek­ten entwickelt sich in Abu Dhabi langsam eine kleine Kunstszene. Auf dem Campus der New York University gibt es auch eine Kunsthalle. Hier organisier­te Direktorin Maya Allison die Ausstellun­g „But We Cannot See Them“. „Wir wollten zeigen, dass es in den Emiraten seit den 1980er-Jahren Künstler gibt“, erklärt die Kuratorin. „Nur war der Rest der Welt ziemlich ignorant und hat sie lange übersehen.“

Die Etihad Modern Art Gallery im Zentrum schlägt ebenfalls Brücken zwischen Arabien und dem Rest der Welt. Besucher werden nebenan im Art House Café verpflegt, das mit den aus Abfall hergestell­ten Möbeln auch als Berliner Szenekneip­e durchgehen würde.

Die Avantgarde der Emirate trifft sich im Hafenareal im Warehouse 421. Zwar haben die Künstler hier nicht alle Freiheiten: Religion, Nacktheit und Herrschaft­skritik sind sensible Themen. „Manche Bilder haben wir nur intern gezeigt und dann wieder abgehängt, um niemanden zu verunsiche­rn“, erzählt eine Künstlerin. Doch wer hinsieht, merkt schnell, dass manches Werk die Grenzen des Erlaubten austestet.

Die Redaktion wurde vom Abu Dhabi Department of Culture and Tourism zu der Reise eingeladen.

 ?? FOTO: HELGE BENDL ?? Sonnenstra­hlen fallen durch das Dach des Louvre Abu Dhabi und sorgen für ein fasziniere­ndes Schattensp­iel.
FOTO: HELGE BENDL Sonnenstra­hlen fallen durch das Dach des Louvre Abu Dhabi und sorgen für ein fasziniere­ndes Schattensp­iel.

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