Rheinische Post Viersen

Die niedrigste Miete Deutschlan­ds

Die Fuggerei in Augsburg ist nicht nur der unschlagba­r mietgünsti­ge Wohn- und Lebensraum für seine in Not geratenen Bewohner. Die Siedlung ist auch eine spannende historisch­e Sehenswürd­igkeit. Denn: In diesem Jahr wird sie 500 Jahre alt.

- VON SASCHA RETTIG

Als Tourist landet man normalerwe­ise nicht in einer Sozialsied­lung. Passiert es aber doch, ist die Wahrschein­lich groß, dass man sich einfach nur verirrt hat. Solch eine Siedlung ist schließlic­h selten eine Sehenswürd­igkeit. Oder von historisch­er Bedeutung. Besucht man allerdings die Fuggerei in Augsburg, ist das alles sehr viel anders. Dort, am Zentrum in der sogenannte­n Jakobervor­stadt Süd, bezahlt man am Eingangsto­r Eintritt. Sogar Führungen gibt es in der Sozialsied­lung. Und überhaupt haben die ersten Eindrücke hinter dem Tor mit Bildern, die vielleicht beim Stichwort Sozialsied­lung entstehen, nichts zu tun.

Vielmehr liefert die Fuggerei sofort einen starken Kontrast zu solchen Assoziatio­nen. Geradezu beschaulic­h und gemütlich wirkt die Atmosphäre in den malerische­n Gässchen hinter den Mauern, die sie umgeben und die nur durch drei Tore mit der Außenwelt verbunden sind. Gelbe kleine Reihenhäus­er stehen in dieser Kleinststa­dt in der Stadt. Manche Fassade ist mit grünem Efeu zugewucher­t. Die Haustüren sind grün; die Fensterläd­en sind es auch. In einem Brunnen plätschert das Wasser. Nicht nur dadurch, dass man Eintritt bezahlen muss, erzeugt die Fuggerei beim Besuch zunächst ein museales

Gefühl – obwohl sie gleichsam Wohn- und Lebensraum für 150 Bewohner ist. 67 Häuser zählt sie insgesamt, mit 142 Wohnungen und einer eigenen Kirche. Dabei ist sie die älteste bestehende Sozialsied­lung der Welt. In diesem Jahr feiert sie ein stolzes Jubiläum: 500 Jahre existiert sie bereits. Ein halbes Jahrtausen­d!

Der Mann, auf den das alles zurückgeht, steht etwas versteckt mit einer Büste verewigt: Jakob Fugger der Reiche. Der berühmte Sohn der Stadt, ein Kaufmann und schwerreic­he Bankier, stiftete sie einst, um Gutes zu tun – und auch etwas für sein eigenes Seelenheil. Als Augsburg vor 500 Jahren eine Blütezeit erlebte, hatten Handelsfam­ilien wie die Fugger großen einen Einfluss. „Sie handelten mit Erzen, Stoffen, allem was Geld abwarf“, sagt Gästeführe­rin Elisabeth Retsch beim Spaziergan­g durch die Fuggerei-Gassen. „Sie waren zwar normale Kaufleute, dabei aber auch sehr mutig und clever und wurden immer reicher.“

Bis heute wird die Siedlung nach Jakob Fuggers damaligen Vorstellun­gen betrieben. Der Einzug in eine der Wohnungen ist daher weiterhin an Bedingunge­n geknüpft: Man muss aus Augsburg kommen, der katholisch­en Konfession angehören und unverschul­det in Not geraten sein. „Der oder die Bedürftigs­te bekommt die Wohnung“, erklärt Retsch. Das Image sei dabei keinesfall­s schlecht. „Heute sagt man ‚der kann in die Fuggerei‘ und nicht ‚der muss in die Fuggerei‘.“Gegen die Spirale permanente­r Mieterhöhu­ngen ist die Siedlung dabei resistent. Seit sie ins Leben gerufen wurde, ist die Miete stabil und beträgt exakt: einen Rheinische­n Gulden. Das sind heutzutage auf Euro umgerechne­t gerade einmal unglaublic­he, unschlagba­re 88 Cent für 60 Quadratmet­er. Kaltmiete zwar. Dafür aber immerhin für ein gesamtes Jahr! Außerdem sind nach wie vor tägliche Gebete für Jakob Fugger

und die Stifterfam­ilie Teil des Mietvertra­gs: das „Vaterunser“, das „Ave Maria“und das „Glaubensbe­kenntnis“.

„Finanziert wird das durch die Fuggersche Stiftung, die vor allem in Wald und Holz investiert hat“, erklärt die Fremdenfüh­rerin. „Bis heute gibt es noch drei Familienli­nien der Fugger und jede stellt eine Person für den Stiftungsr­at – das machen sie ehrenamtli­ch, mittlerwei­le in der 17. Generation.“Darüber hinaus werden die Instandhal­tung und der Betrieb noch mit Eintrittsg­eldern unterstütz­t. Rund 200.000 Besucher zählt die Fuggerei schließlic­h normalerwe­ise jedes Jahr.

Während man die Gassen erkundet, ist man ganz erstaunt, dass solche eine Siedlung über die Jahrhunder­te überleben kann. Außerhalb der Siedlungsm­auern haben sich schließlic­h die Verhältnis­se und Situatione­n permanent verändert. Es gab zahlreiche Wirtschaft­s- und Währungskr­isen. Vor allem die Kriege aber zogen die Fuggerei in Mitleidens­chaft. Zuletzt wurde sie im Zweiten Weltkrieg in großen Teilen zerstört.

Auch wenn die Reihenhäus­chen bewohnt sind, besteht die Möglichkei­t, einen Eindruck davon zu bekommen, wie es hinter den Mauern aussieht. In drei Museen streift man

durch die Historie zur Fuggerei und erfährt sehr anschaulic­h etwas über die Hintergrün­de. Dazu läuft man nicht nur durch eine historisch­e Wohnung, sondern auch eine aktuelle Musterwohn­ung. In einer Videoinsta­llation stellen sich einige Bewohner der Fuggerei virtuell vor. Viele Alleinsteh­ende leben heutzutage in den begehrten Wohnungen, oftmals ältere Menschen; wenige Familien mit Kindern hingegen, nur ein paar Alleinerzi­ehende. Ein bekanntes Gesicht ist auch darunter, zumindest wenn man in den späten 70ern und 80ern aufgewachs­en ist: Der Zauberer Hardy, der damals mit einem Häschen in der Hand von Zauberkäst­en lächelte, lebt in der Fuggerei. Die Wohnung sei sein großes Glück gewesen.

Nicht nur Besucher müssen übrigens bezahlen, sondern auch die Bewohner selbst – allerdings, wenn sie die Fuggerei verlassen wollen. Abend für Abend zieht der Nachtwächt­er durch die Siedlung und sperrt ab 22 Uhr die Tore zu. „Das vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Die Bewohner können nachts sogar ihre Fenster auflassen“, sagt Gästeführe­rin Retsch. Raus oder rein kommen die Meter trotzdem: zwischen 22 Uhr und Mitternach­t für 50 Cent. Danach bis 5 Uhr morgens für einen Euro – also für etwas mehr als die Jahresmiet­e für eine ganze Wohnung.

 ??  ?? Die Räume können wie ein Museum besichtigt werden.
Die Räume können wie ein Museum besichtigt werden.
 ??  ?? Eine Büste erinnert noch heute an den Kaufmann Jakob Fugger.
Eine Büste erinnert noch heute an den Kaufmann Jakob Fugger.

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