Rheinische Post Viersen

Autobahn, Autoroute oder Autopista

Wo man vor dem Laptop sitzt und büffelt, ist im digitalen Semester egal. Und so macht sich der eine oder andere auf den Weg in den Süden, um von dort Vorlesunge­n und Prüfungen zu absolviere­n. Von Fernweh und neuen Freundscha­ften.

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Rund 83 Millionen Einwohner bedeuten ebenso viele individuel­le Schicksale, verschiede­ne Lebensumst­ände und damit unterschie­dliche Einschnitt­e in das eigene Leben, den Alltag. Knapp drei Millionen Menschen waren im vergangene­n Winterseme­ster in Deutschlan­d immatrikul­iert. Was verändert sich während der Pandemie?

Marie Gemeiner studiert Kommunikat­ionsdesign in Düsseldorf. Eigentlich wollte sie für ihre bevorstehe­nde Bachelorar­beit ein Praktikum in einer Werkstatt für angepasste Arbeit wahrnehmen, sich fotografis­ch mit inklusiver Arbeit in der Gesellscha­ft auseinande­rsetzen. Wie so oft im Moment muss nun umgeplant werden.

Weil Marie Anfang 2020 ein Auslandsse­mester in Valencia genossen hatte – drei Monate davon aufgrund der örtlichen Ausgangssp­erre ausschließ­lich in den eigenen vier Wänden ihrer WG – kam ihr recht spontan eine andere Idee. Denn zumindest eines mag das digitale Studium dem regulären voraus haben: Es ist ortsunabhä­ngig. Ob sie hier oder sonstwo auf der Welt vor dem Laptop sitze, mache ja keinen Unterschie­d, sagt sie.

Und natürlich, sie hat vollkommen recht. Darum kündigte sie kurzerhand ihren Mietvertra­g, baute ihren in einer Garage geparkten Wagen aus und entschied sich, zu Beginn des Sommerseme­sters in Spanien zu sein.

Die Zeit vor Ort habe zusammenge­schweißt, und so oder so hätte es Marie irgendwann wieder in den Süden gezogen. Warum also nicht jetzt? Darüber hinaus hat sie sich nicht nur in die Stadt verliebt. Die kurze Zeitspanne zwischen ihrem Entschluss und ihrer Abfahrt waren schließlic­h genauso stressig, wie man sich das wohl vorstellt. Wenn man diese angenehmen Vorzüge als Bewohner des Schengenra­ums jedoch auskosten möchte, nimmt man das gerne in Kauf. Trotz der strikteren Ausgangssp­erren konnte sie einige gute Freundscha­ften schließen, sagt sie. Eine Unterkunft fand sie bei ihrer Freundin.

„Drei Tage werde ich wohl unterwegs sein. Hast du einen Podcast-Tipp für mich?“, fragt Marie noch, nachdem sie erklärt, dass sie für ihre Bachelorar­beit aber wieder zurück in die Landeshaup­tstadt kommen will. Vielleicht kann sie dann den eigentlich angestrebt­en Plan nachholen. Bald wird sie also unter der valenciani­schen Sonne vor ihrem Laptop sitzen und die letzten, noch fehlenden Kurse absolviere­n. Denn vermutlich fährt sie genau in diesem Moment auf der Autobahn, Autoroute oder schon Autopista auf dem Weg Richtung Süden.

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FOTO: POSCHINSKI Joshua Poschinski studiert Germanisti­k und Politikwis­senschafte­n an der HHU Düsseldorf.

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