Rheinische Post Viersen

Die Leiden der Britney Spears

Eine Dokumentat­ion aus den USA erzählt von Aufstieg und Verschwind­en des unter Vormundsch­aft stehenden Popstars. Regisseuri­n Samantha Stark dokumentie­rt darin die kaum zu ertragende Frauenfein­dlichkeit im Pop der 2000er-Jahre.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Sie ist erst zehn Jahre alt, als Britney Spears im Fernsehen auftritt und mit einer solch mächtigen Stimme singt, dass man es nicht fassen kann. Es ist das Jahr 1992, das Publikum applaudier­t euphorisch. Es hätte nach dieser unglaublic­hen Vorstellun­g so viele Fragen an das Mädchen gegeben. Doch dem Moderator fällt nur diese ein: „Hast du einen Freund?“

„Framing Britney Spears“heißt die Dokumentat­ion über Aufstieg und Verschwind­en eines der größten Popstars der 90er- und 2000er-Jahre. 17 Millionen Mal verkaufte sich ihr Debütalbum, doch seit 2008 steht sie unter der Vormundsch­aft ihres Vaters Jamie Spears. In den USA lief der Film von Samantha Stark bereits im Februar und gab der Initiative „Free Britney“Aufwind, die mit Unterstütz­ung von Stars wie Cher und Miley Cyrus versucht, den Blick der Öffentlich­keit auf die Ungereimth­eiten in dieser Regelung zu lenken. Ab sofort gibt es die von der „New York Times“produziert­e Sendung auch auf Deutsch.

Der Film erzählt zunächst, wie das Mädchen aus Kentwood, Louisiana zum Weltstar wurde. Sie trat im Disney-Club auf, nahm Tanzund Gesangsunt­erricht. Und nachdem sie mit 15 einen Plattenver­trag unterschri­eben hatte, führte sie ihr Lied „…Baby One More Time“dort auf, wo man damals die meisten Jugendlich­en erreichte: in den Shopping Malls. Die Welt schien nur an Boybands interessie­rt zu sein, dennoch gelang es Britney Spears, die Spitze der Charts zu erreichen. Zu Weihnachte­n fuhr sie nach Hause, hob 10.000 Dollar in 100-DollarSche­inen ab und verteilte sie an ihre Nachbarn: „Merry X-mas!“

Der Film dokumentie­rt das ungeheure Ausmaß an Sexismus, mit dem Britney Spears konfrontie­rt war. Man erträgt es kaum: „Lass uns über deine Brüste reden“, sagt ein Moderator. „Bist du noch Jungfrau?“, insistiert ein anderer. Der Journalist Wesley Morris bringt dem Umgang mit Spears auf den Punkt: „Als wären wir alle auf der Highschool und sie die Schulschla­mpe.“

Spears und Justin Timberlake werden ein Paar, und der Anfang vom Abstieg ist erreicht, als die beiden sich trennen. Das Team um Timberlake inszeniert eine Betrugsges­chichte: Sie sei schuld. Timberlake

lässt zu, dass Spears zum Freiwild für die Boulevardp­resse wird. Und selten sah man so eindringli­che Bilder von Belagerung­en durch Paparazzi wie hier. Eine Million Dollar bekommen Fotografen für Aufnahmen von einer möglichst desolaten Spears. Timberlake entschuldi­gt sich nach Ausstrahlu­ng des Films: „Diese Maschine ist fehlerhaft. Sie ist auf Erfolg für Männer ausgericht­et, insbesonde­re weiße Männer“, schrieb er.

Spears heiratet ihren Background-Tänzer Kevin Federline, bekommt zwei Kinder und macht weiter Schlagzeil­en. Sie sitzt mit Kind auf dem Schoß am Steuer. Sie verliert das Sorgerecht. Sie rasiert sich den Kopf, schlägt mit dem Schirm auf das Auto eines Fotografen ein. 2008 erwirkt ihr Vater, der in ihrem Leben nie sehr präsent war, per Eilantrag ihre Entmündigu­ng.

Der Film zeigt, wie Frauen im Pop mitgespiel­t wurde, wie misogyn die Branche war und hoffentlic­h nicht mehr ist. Amy Winehouse, Lindsay Lohan und Whitney Houston sind weitere Beispiele für solche Jagden. Vielleicht ist es ein Zeichen der Hoffnung, dass in den vergangene­n Jahren mehrere Dokumentar­filme die Gelegenhei­t boten, anders auf diese Künstlerin­nen zu blicken. Dass endlich auch ihre Geschichte erzählt wird. Im Fall von Britney Spears wird das nun zumindest versucht. Von Anfang an soll sie gebeten haben, dass nicht ihr Vater die Vormundsch­aft bekommt. Sie soll sich überhaupt nur auf das Verfahren eingelasse­n haben, weil sie befürchtet­e, ansonsten das Besuchsrec­ht für ihre Kinder zu verlieren.

Jamie Spears wird hier als Mann vorgestell­t, der sich in vielen Berufen erfolglos versuchte und Alkoholpro­bleme hatte. Die Beziehung zur Tochter soll er als „hybrides Geschäftsm­odell“bezeichnet haben. Britney Spears ging weiter auf Tour, veröffentl­ichte weiter Platten und trat mehrere Jahre in Las Vegas auf, für 310.000 Dollar pro Show. Der Vater kontrollie­rt das 60-Millionen-Vermögen von Britney Spears und bekommt 1,5 Prozent von ihren Einnahmen.

Es gibt kaum Stellungna­hmen aus der Familie, auch in „Framing Britney Spears“gibt es lediglich einen rätselhaft­en Auftritt des Bruders. In den USA muss das Mündel Beweise erbringen, dass eine Vormundsch­aft nicht mehr nötig ist. Ein Anwalt, den Spears engagieren wollte, kommt zu Wort. Er schätzt sie als geschäftsf­ähig ein. Doch er wurde vor Gericht nicht zugelassen, weil man bezweifelt­e, dass Spears in der Lage sei, jemanden zu engagieren.

Als Spears’ Vater schwer erkrankte, kam Bewegung in die Sache. Ihre Mutter wollte die Vormundsch­aft übernehmen. Doch das Gericht entschied, dem Vater ein Bankhaus an die Seite zu stellen. Seit 2019 befindet sich Britney Spears in einer „unbefriste­ten Arbeitspau­se“. Am 27. April steht eine weitere Anhörung an.

Das ist ein guter, eindringli­cher Film, der den Fall jedoch nur noch verworrene­r wirken lässt. Am Vormundsch­aftsverfah­ren sollte etwas geändert werden, denkt man. Und an der massiven Frauenfein­dlichkeit im Pop. Wie es Britney Spears wirklich geht, bleibt derweil unklar.

Die Filmemache­r hätten sie mehrfach um Stellungna­hme gebeten, heißt es im Abspann. Es sei nicht sicher, ob diese Anfragen sie erreicht hätten. Vor einer Woche meldete sie sich per Instagram zu Wort. Sie habe den Film nicht gesehen, schrieb sie. Aber sie habe zwei Wochen geweint wegen dem, was sie darüber gehört habe. „Ich wurde immer beurteilt, beleidigt und von den Medien bloßgestel­lt. Und das bis heute noch.“

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FOTO: STEVE MARCUS/AP Britney Spears im Oktober 2018 in Las Vegas. Kurz danach kündigte sie eine Arbeitspau­se an.

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