Die Leiden der Britney Spears
Eine Dokumentation aus den USA erzählt von Aufstieg und Verschwinden des unter Vormundschaft stehenden Popstars. Regisseurin Samantha Stark dokumentiert darin die kaum zu ertragende Frauenfeindlichkeit im Pop der 2000er-Jahre.
Sie ist erst zehn Jahre alt, als Britney Spears im Fernsehen auftritt und mit einer solch mächtigen Stimme singt, dass man es nicht fassen kann. Es ist das Jahr 1992, das Publikum applaudiert euphorisch. Es hätte nach dieser unglaublichen Vorstellung so viele Fragen an das Mädchen gegeben. Doch dem Moderator fällt nur diese ein: „Hast du einen Freund?“
„Framing Britney Spears“heißt die Dokumentation über Aufstieg und Verschwinden eines der größten Popstars der 90er- und 2000er-Jahre. 17 Millionen Mal verkaufte sich ihr Debütalbum, doch seit 2008 steht sie unter der Vormundschaft ihres Vaters Jamie Spears. In den USA lief der Film von Samantha Stark bereits im Februar und gab der Initiative „Free Britney“Aufwind, die mit Unterstützung von Stars wie Cher und Miley Cyrus versucht, den Blick der Öffentlichkeit auf die Ungereimtheiten in dieser Regelung zu lenken. Ab sofort gibt es die von der „New York Times“produzierte Sendung auch auf Deutsch.
Der Film erzählt zunächst, wie das Mädchen aus Kentwood, Louisiana zum Weltstar wurde. Sie trat im Disney-Club auf, nahm Tanzund Gesangsunterricht. Und nachdem sie mit 15 einen Plattenvertrag unterschrieben hatte, führte sie ihr Lied „…Baby One More Time“dort auf, wo man damals die meisten Jugendlichen erreichte: in den Shopping Malls. Die Welt schien nur an Boybands interessiert zu sein, dennoch gelang es Britney Spears, die Spitze der Charts zu erreichen. Zu Weihnachten fuhr sie nach Hause, hob 10.000 Dollar in 100-DollarScheinen ab und verteilte sie an ihre Nachbarn: „Merry X-mas!“
Der Film dokumentiert das ungeheure Ausmaß an Sexismus, mit dem Britney Spears konfrontiert war. Man erträgt es kaum: „Lass uns über deine Brüste reden“, sagt ein Moderator. „Bist du noch Jungfrau?“, insistiert ein anderer. Der Journalist Wesley Morris bringt dem Umgang mit Spears auf den Punkt: „Als wären wir alle auf der Highschool und sie die Schulschlampe.“
Spears und Justin Timberlake werden ein Paar, und der Anfang vom Abstieg ist erreicht, als die beiden sich trennen. Das Team um Timberlake inszeniert eine Betrugsgeschichte: Sie sei schuld. Timberlake
lässt zu, dass Spears zum Freiwild für die Boulevardpresse wird. Und selten sah man so eindringliche Bilder von Belagerungen durch Paparazzi wie hier. Eine Million Dollar bekommen Fotografen für Aufnahmen von einer möglichst desolaten Spears. Timberlake entschuldigt sich nach Ausstrahlung des Films: „Diese Maschine ist fehlerhaft. Sie ist auf Erfolg für Männer ausgerichtet, insbesondere weiße Männer“, schrieb er.
Spears heiratet ihren Background-Tänzer Kevin Federline, bekommt zwei Kinder und macht weiter Schlagzeilen. Sie sitzt mit Kind auf dem Schoß am Steuer. Sie verliert das Sorgerecht. Sie rasiert sich den Kopf, schlägt mit dem Schirm auf das Auto eines Fotografen ein. 2008 erwirkt ihr Vater, der in ihrem Leben nie sehr präsent war, per Eilantrag ihre Entmündigung.
Der Film zeigt, wie Frauen im Pop mitgespielt wurde, wie misogyn die Branche war und hoffentlich nicht mehr ist. Amy Winehouse, Lindsay Lohan und Whitney Houston sind weitere Beispiele für solche Jagden. Vielleicht ist es ein Zeichen der Hoffnung, dass in den vergangenen Jahren mehrere Dokumentarfilme die Gelegenheit boten, anders auf diese Künstlerinnen zu blicken. Dass endlich auch ihre Geschichte erzählt wird. Im Fall von Britney Spears wird das nun zumindest versucht. Von Anfang an soll sie gebeten haben, dass nicht ihr Vater die Vormundschaft bekommt. Sie soll sich überhaupt nur auf das Verfahren eingelassen haben, weil sie befürchtete, ansonsten das Besuchsrecht für ihre Kinder zu verlieren.
Jamie Spears wird hier als Mann vorgestellt, der sich in vielen Berufen erfolglos versuchte und Alkoholprobleme hatte. Die Beziehung zur Tochter soll er als „hybrides Geschäftsmodell“bezeichnet haben. Britney Spears ging weiter auf Tour, veröffentlichte weiter Platten und trat mehrere Jahre in Las Vegas auf, für 310.000 Dollar pro Show. Der Vater kontrolliert das 60-Millionen-Vermögen von Britney Spears und bekommt 1,5 Prozent von ihren Einnahmen.
Es gibt kaum Stellungnahmen aus der Familie, auch in „Framing Britney Spears“gibt es lediglich einen rätselhaften Auftritt des Bruders. In den USA muss das Mündel Beweise erbringen, dass eine Vormundschaft nicht mehr nötig ist. Ein Anwalt, den Spears engagieren wollte, kommt zu Wort. Er schätzt sie als geschäftsfähig ein. Doch er wurde vor Gericht nicht zugelassen, weil man bezweifelte, dass Spears in der Lage sei, jemanden zu engagieren.
Als Spears’ Vater schwer erkrankte, kam Bewegung in die Sache. Ihre Mutter wollte die Vormundschaft übernehmen. Doch das Gericht entschied, dem Vater ein Bankhaus an die Seite zu stellen. Seit 2019 befindet sich Britney Spears in einer „unbefristeten Arbeitspause“. Am 27. April steht eine weitere Anhörung an.
Das ist ein guter, eindringlicher Film, der den Fall jedoch nur noch verworrener wirken lässt. Am Vormundschaftsverfahren sollte etwas geändert werden, denkt man. Und an der massiven Frauenfeindlichkeit im Pop. Wie es Britney Spears wirklich geht, bleibt derweil unklar.
Die Filmemacher hätten sie mehrfach um Stellungnahme gebeten, heißt es im Abspann. Es sei nicht sicher, ob diese Anfragen sie erreicht hätten. Vor einer Woche meldete sie sich per Instagram zu Wort. Sie habe den Film nicht gesehen, schrieb sie. Aber sie habe zwei Wochen geweint wegen dem, was sie darüber gehört habe. „Ich wurde immer beurteilt, beleidigt und von den Medien bloßgestellt. Und das bis heute noch.“