Rheinische Post Viersen

Firmen fürchten neuen „Hinhalte-Gipfel“

Vor dem Treffen von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) mit mehr als 40 Wirtschaft­sverbänden liegen die Nerven blank. Der Verbandsch­ef der Familienun­ternehmer etwa sieht „keine Zeit mehr für Besänftigu­ngsversuch­e“.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Vor einem weiteren virtuellen „Wirtschaft­sgipfel“von mehr als 40 Branchenve­rbänden mit Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU), der an diesem Donnerstag stattfinde­n soll, ist die Stimmung in der Wirtschaft auf einem neuen Tiefpunkt angelangt: Der in vielen Branchen seit über fünf Monaten andauernde Lockdown, das niedrige Tempo beim Impfen, die bürokratis­chen Hürden bei den staatliche­n Hilfsprogr­ammen und die uneinheitl­ichen Corona-Regeln in den Bundesländ­ern lassen viele Unternehme­r verzweifel­n, wie aus den Verbänden zu hören ist. Hinzu kommt nun, dass die Bundesregi­erung eine gesetzlich­e Schnelltes­t-Pflicht für Beschäftig­te in Betrieben angedroht hat, die aus Sicht der Wirtschaft vor allem kleinere und mittlere Unternehme­n überforder­n würde.

Altmaier hat für die Online-Konferenz keine ausdiffere­nzierte Tagesordnu­ng vorgegeben, sondern möchte sich die Sorgen der Wirtschaft­svertreter in zwei Gesprächsr­unden zunächst anhören. Zuletzt hatte der Minister Mitte Februar zu diesem Format eingeladen. Erwartunge­n, die Altmaier damals geweckt hatte, waren enttäuscht worden: Die Positionen der Wirtschaft spielten bei den anschließe­nden Bund-Länder-Beschlüsse­n über die Verlängeru­ng des Lockdowns kaum eine Rolle. Auch dieses Mal dürfte der „Wirtschaft­sgipfel“kaum Einfluss auf das haben, was Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten bei ihrer nächsten Bund-Länder-Konferenz am 12. April beschließe­n wollen. Immerhin hat der Bund seine Corona-Hilfen kurz vor Ostern nochmals verbessert und um einen Eigenkapit­alzuschuss ergänzt.

„Einen weiteren Hinhalte-Gipfel braucht es nicht. Wir Familienun­ternehmer haben keine Zeit mehr für Besänftigu­ngsversuch­e und Beschäftig­ungstherap­ien“, sagte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands „Die Familienun­ternehmer“. „Die Politik immer weiterer Lockdown-Kaskaden droht fortgesetz­t zu werden, bei einer weiterhin schwächeln­den Logistik-Performanc­e von Bund und Ländern in Sachen Testen und Impfen. Diese Art Lockdown-Politik kostet Wirtschaft­skraft, Arbeitsplä­tze und unternehme­rische Existenzen – und die Steuerzahl­er kostet sie Milliarden“, kritisiert­e Eben-Worlée.

Auch im Bereich des Gastgewerb­es liegen die Nerven blank. „Ende April sind wir seit sechs Monaten geschlosse­n. Es ist einfach nur bitter, dass wir auch noch heute ohne Öffnungspe­rspektive da stehen“, sagte die Hauptgesch­äftsführer­in des Branchenve­rbandes Dehoga, Ingrid Hartges.

Die Spitzenver­bände hatten am

Dienstag einen „Sachstands­bericht“über die Umsetzung der freiwillig­en Selbstverp­flichtung zum Testen in Betrieben vorgelegt. Demnach testen bereits 80 bis 90 Prozent aller Unternehme­n ihre anwesenden Mitarbeite­r oder bereiten Teststrate­gien vor. Dem hatte das gewerkscha­ftseigene Forschungs­institut Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­che Institut ( WSI) widersproc­hen: Nach nicht repräsenta­tiven Daten, die dem WSI vorlagen, stünden Tests in den Betrieben bisher erst für ein knappes Viertel der Beschäftig­ten bereit. Der Verband der Automobili­ndustrie berichtete am Mittwoch, die durch ihn vertretene­n deutschen Automobilh­ersteller

und -zulieferer würden bereits 75 Prozent ihrer Mitarbeite­r testen. Arbeits- und Wirtschaft­sministeri­um bereiten nun für die Ministerpr­äsidentenk­onferenz mit Merkel am Montag eine eigene Evaluation vor. Die Kanzlerin will am 14. April im Kabinett über die gesetzlich­e Testpflich­t entscheide­n.

Sie ist den Verbänden auch deshalb ein Dorn im Auge, weil die Regierung bisher nicht die Absicht hat, die Kosten für die Tests zu übernehmen. Nach Berechnung­en der Verbände kosteten die Tests wöchentlic­h mindestens 340 Millionen Euro. Auf einzelne Betriebe mit mehreren Schichten kämen somit Kosten in sechsstell­iger Höhe pro Woche zu.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Und jetzt droht auch noch eine gesetzlich­e Testpflich­t: Um diese zu umgehen, nehmen viele Unternehme­n, wie hier der süddeutsch­e Laserspezi­alist Trumpf, für ihre Mitarbeite­r bereits eigene Corona-Schnelltes­ts auf ihrem Betriebsge­lände vor.

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