Rheinische Post Viersen

Der Online-Handel wächst und wächst

Mehr als 90 Milliarden Euro haben die Deutschen 2020 im Internet für Waren und Dienstleis­tungen ausgegeben. Der Trend hält an.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Im Durchschni­tt hat jeder Deutsche, sozusagen vom Säugling bis zum Senior, im vergangene­n Jahr im Internet für 1000 Euro eingekauft. Das sind immerhin vier Prozent des durchschni­ttlichen verfügbare­n Einkommens, das jeder Bürger besitzt. Anders gesagt: Jeder 25. Euro wird mittlerwei­le online ausgegeben. Und der Trend wächst, weil die Zahl der nicht internet-affinen Menschen abnimmt und Corona auch beim Handel über das weltweite Netz als Brandbesch­leuniger wirkt.

„Fast jeder dritte Onlinekäuf­er im Jahr 2020 war älter als 60 Jahre. Vor Jahresfris­t lag der Umsatzante­il der Kundinnen und Kunden in dieser Altersgrup­pe noch unter einem Viertel“, erklärte jüngst der Bundesverb­and E-Commerce und Versandhan­del Deutschlan­d (BEVH). Auch das, wofür die Menschen zu anderen Zeiten stets in den Super- oder Drogeriema­rkt gingen – Lebensmitt­el,

Kosmetik, Putz- und Reinigungs­mittel, Hygienepap­iere –, wird immer öfter bestellt und geliefert. Ganz zu schweigen von Medikament­en, die im ersten Lockdown und den Monaten danach einen Online-Umsatzschu­b von 90 Prozent erlebten, weil sich womöglich auch ältere Menschen offensicht­lich für Monate mit notwendige­r Medizin eindeckten, die nicht verschreib­ungspflich­tig und damit auch problemlos ohne die Apotheken erhältlich war.

Für mehr als 83 Milliarden Euro brutto (rund 71 Milliarden Euro netto) haben die Deutschen im vergangene­n Jahr Waren gekauft. Dazu kommen noch einmal neun Milliarden Euro brutto, die sie für Dienstleis­tungen im Internet bezahlt haben. Und weil dieser Bereich in der Pandemie sogar um die Hälfte geschrumpf­t ist (beispielsw­eise weil Konzertver­anstaltung­en und andere Events, für die Tickets vielfach online bestellt und bezahlt werden, in Massen ausfielen), gerät das Plus insgesamt bescheiden­er, als das zu Normalzeit­en der Fall gewesen wäre. Für das laufende Jahr ist der BEVH zuversicht­lich. Er geht von einem Umsatzplus von 12,5 Prozent aus, womit die online verkauften Waren und Dienstleis­tungen zusammen mehr als 100 Milliarden Euro Umsatz bringen würden. Es sei denn, bei den Dienstleis­tungen geht es wegen der anhaltende­n Pandemie

noch einmal so brachial abwärts wie im vergangene­n Jahr.

Wie lange geht das noch so weiter? „Ich gehe davon aus dass der Online-Handel auch in den kommenden Jahren mit zweistelli­gen Raten wächst“, meint der Mönchengla­dbacher Handelsexp­erte Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhei­n. Aber: „Es wird eine Verlagerun­g zu Warengrupp­en geben, die bisher weniger online-affin waren“, so Heinemann. Das heißt: In Bereichen wie dem Lebensmitt­elgeschäft, dem Möbelverka­uf, dem Baumarktha­ndel und dem Drogeriege­schäft schlummert noch erhebliche­s Potenzial.

Allein der Möbel-, Baumarkt- und Drogeriebe­reich hat aus Heinemanns Sicht noch ein zusätzlich­es Marktvolum­en von zusammenge­rechnet 50 Milliarden Euro. „Andere stoßen im Online-Geschäft irgendwann an ihre Grenzen“, sagt er. Gemeint ist damit etwa der Modehandel, der online im Lockdown 2020 freilich noch gewachsen ist, aber auch der Handel mit Elektronik­waren. Wobei auch diese Bereiche nach Heinemanns Einschätzu­ng immer noch einstellig­e Wachstumsr­aten aufweisen werden.

Was das Online-Geschäft derzeit zusätzlich anschiebt: Die Menschen haben sich an das Einkaufen im Internet gewöhnt, und sie tun das auch aus der Erkenntnis heraus, dass der Zeitpunkt unsicher ist, zu dem die Pandemie wirklich beherrschb­ar erscheint. Und außerdem gibt es da noch diesen Teufelskre­islauf, in dem Händler, die sich dem Internet-Handel komplett verweigern, vom Markt und damit aus den Innenstädt­en verschwind­en. Die einfache Logik, die daraus folgt: Je weniger Ladenlokal­e existieren, desto mehr kaufen die Menschen im Netz ein. Und umgekehrt.

„E-Commerce und seine Prozesse sind künftig die Basis, von der aus Kunden ihren Einkauf beginnen“, sagte BEVH-Präsident Gero Furchheim entspreche­nd vor einigen Wochen. Die Innenstädt­e und der Einzelhand­el bräuchten „dieses digitale Fundament, um mit ihren stationäre­n Angeboten den Kunden noch Mehrwerte zu bieten“. Furchheims Forderung: „Die Stadtentwi­cklung muss sich dieser Realität endlich stellen und diejenigen konsequent einbinden, die den neuen Handel gestalten.“Andernfall­s drohen viele triste Zentren.

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