Rheinische Post Viersen

Das lange Warten auf einen Impftermin

Nach einer Lebertrans­plantation ist Ulrich Fomferra besonders anfällig für Infektione­n. Auf einen Corona-Impftermin hat er sehnlichst gewartet.

- VON HOLGER HINTZEN FOTO: M. RICK

HOLT Eigentlich darf man Ulrich Fomferra als einen lebenslust­igen Menschen ansehen – Karnevalis­t, Schütze und 2012 sogar König der St.-Michaels-Bruderscha­ft Holt. Eine Diagnose, die der heute 70-Jährige vor zweieinhal­b Jahren erhielt, hat sein Leben dann jedoch verändert: Leberkrebs, nicht operierbar – Überlebens­chance nur bei einer rechtzeiti­gen Organtrans­plantation, hieß es.

Zunächst sah es nicht danach aus, dass es so schnell eine Spender-Leber für Fomferra geben würde. Quälende Ungewisshe­it, bis zu dem Tag im September 2019, als das Telefon bei Fomferra klingelte und sich die Uni-Klinik Aachen meldete. Der Leitende Polizeidir­ektor im Ruhestand kann sich sogar noch an die Uhrzeit erinnern: „Es war 6.15 Uhr, und man sagte mir, man habe eine Leber für mich. Ich bin am selben Tag noch operiert worden.“Warten auf eine Behandlung, die das Leben retten kann – das hat der 70-Jährige in der Corona-Pandemie nun erneut durchgemac­ht: Ende Dezember begannen in den Altenheime­n die ersten Impfungen, Anfang Februar eröffnete das Mönchengla­dbacher Impfzentru­m, nach über 80-Jährigen kamen Angehörige priorisier­ter Berufsgrup­pen an die Reihe.

Aber Fomferra und viele andere chronisch Kranke mussten sich gedulden.

Chronisch krank ist ein weiter Begriff, unter den mehr und weniger schwerwieg­ende Leiden fallen. Die Gefährdung durch das Coronaviru­s ist unterschie­dlich. In einem Fall wie dem Fomferras ist das Risiko jedoch beträchtli­ch. Um zu verhindern, dass sein Körper die neue Leber abstößt, muss der 70-Jährige Medikament­e nehmen, die sein Immunsyste­m „herunterfa­hren“. Das macht ihn anfälliger für Infektione­n, eine Ansteckung mit dem Coronaviru­s könnte verheerend­e Folgen haben.

Die Pandemie hat den Ausnahmezu­stand weiter verschärft, in dem Fomferra seit der Transplant­ation ohnehin lebte. „Seit 12. September 2019 lebe ich eigentlich schon unter verschärft­en Corona-Bedingunge­n, um sich zu schützen. „Ich muss eine medizinisc­he Maske oder FFP2-Maske tragen, besonders auf Hygiene achten, darf zum Beispiel nichts Rohes essen, keine Milch trinken“, erzählt Fomferra. Kontakte mit Menschen wurden stark eingeschrä­nkt. In der Pandemie ist Vorsicht noch dringliche­r geworden. „Meine Frau geht einmal pro Woche einkaufen, ich besuche nur noch Ärzte und meinen Physiother­apeuten – alles andere ist tabu“, sagt Fomferra.

Den schleppend­en Impffortsc­hritt hat Fomferra mit wachsendem Ärger verfolgt. „Alle Menschen mit diesen oder ähnlichen Erkrankung­en, sehr viele unter 70 Jahre, wollen nur eins: Leben! Wir haben deshalb für Urlaubsseh­nsüchte kein Verständni­s, auch nicht für die nicht aufhörende Bürokratie“, sagt Fomferra und spricht von einer „chaotische­n Planungspo­litik.“

Dabei hat sich Fomferra durchaus um einen Impftermin bemüht, auch im Interesse einiger Leidensgen­ossen, die ebenfalls eine Organtrans­plantation hinter sich haben. Um eine längere Geschichte kurz zu machen: Fomferra wandte sich an die Stadt, danach gemäß deren Auskunft vom 19. März an seinen Hausarzt, der ihm sein Leiden attestiert­e, um für die Priorisier­ungsstufe 2 qualifizie­rt zu sein. Bei einem Anruf bei der Termin-Hotline der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g lautete die Auskunft zunächst, „dass man mir und anderen vorbelaste­ten Patienten noch keinen Termin anbieten könnte. Frühestens Ende März/ Anfang April sollte ich mich erneut unter dieser Nummer melden, in der Hoffnung, dass dann Termine für Prio 2 vergeben werden könnten“.

Am 24. März legte Fomferra sein Attest der Stadt vor. „Telefonisc­h erhielt ich die Auskunft, dass man eine Einzelfall­prüfung vornehmen will und muss, ein Termin aber nicht vergeben werden kann. Terminverg­abe erst nach Freischalt­ung der Systeme für die Gruppe Prio 2, also etwa Ende März. Bezüglich der Hausarztim­pfung sollte ich mich mit diesem in Verbindung setzen“, war zwei Tage später der Stand der Dinge.

Am selben Tag noch wandte sich Fomferra an einen niedergela­ssenen Arzt. Doch der konnte ihm auch keine großen Hoffnungen auf eine schnelle Impfung machen. Denn zu dem Zeitpunkt war noch die Rede davon, dass es wohl nur wenige Praxen niedergela­ssener Ärzte in einer Stadt geben werde, die Impfstoff über ein Losverfahr­en bekommen sollten.

Doch dann kam sie doch noch, die erlösende Nachricht. Nachdem ein Erlass des Landesgesu­ndheitsmin­isteriums vom 24. März Impfungen für chronisch Kranke der Priorisier­ungsgruppe 2 freigeben hatte, begann das Mönchengla­dbacher Impfzentru­m damit, eine von der Stadt zusammenge­stellte Liste solcher Personen abzuarbeit­en. Auch Fomferra erhielt am 29. März einen Anruf: „Sie können jetzt geimpft werden.“Am 31. März war es dann soweit. Auch in diesem Fall hat sich der ehemalige Polizist die Uhrzeit gemerkt: „Ich bin um 12.24 Uhr geimpft worden. Mit Biontech, ohne Probleme“, sagt Fomferra. Er habe lediglich hinterher eine Stunde lang ein leichtes Kribbeln im Mundraum verspürt: „Es fühlte sich an, wie wenn die Betäubung nach einer Spritze beim Zahnarzt nachlässt.“Daheim hat er mit seiner Frau mit Sekt angestoßen – mit alkoholfre­iem, der Leber wegen. Den zweiten Termin, der dann für vollen Impfschutz nach einer kurzen Zeit sorgen soll, hat er im Mai.

Eine Coronainfe­ktion sei zwar auch nach der ersten Impfung noch nicht ausgeschlo­ssen. „Aber es ist schon eine Erleichter­ung“, sagt Fomferra. Und fügt hinzu: Eigentlich sei er kein ängstliche­r Mensch. Selbst vor der Transplant­ation habe er sich nicht gefürchtet, er habe darauf vertraut, dass es gutgehen werde. Beim Warten auf die Impfung war das anders: „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben richtig Angst gehabt.“

Und noch eine Sorge ist inzwischen kleiner geworden. Fomferras Frau wird am 8. April 60 Jahre alt und hat – nach einigem Hin und Her – nun ebenfalls einen Impftermin: am 11. April.

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