„Kunst bringt die Menschen zusammen“
Die 26-jährige Kulturausschussvorsitzende aus der SPD verrät, was ihr letztes Konzert vor dem Lockdown war.
MÖNCHENGLADBACH Sie will jungen Leuten in der Stadt eine Stimme geben und die Kultur in Mönchengladbach fördern. Seit vergangenem Jahr ist Josephine Gauselmann erste Bürgermeisterin von Mönchengladbach und Vorsitzende des Kulturausschusses. Im RP-Interview spricht sie über Respekt vor ihrem Amt, der Bedeutung von Kultur und das Naidoo-Konzert.
Warum wollten Sie den Vorsitz im Kulturausschuss übernehmen? Josephine Gauselmann Ich wollte den Vorsitz übernehmen, weil ich selbst aus der Stadt komme und eine junge Sichtweise auf die Kultur mitbringe. Ich bin in der Altstadt zu Hause, wenn nicht gerade Corona-Pandemie herrscht. Ich sehe meine Aufgabe darin, nicht nur die klassische Kultur, sondern auch die freie Szene im Blick zu haben.
Auf welchen Kulturveranstaltungen sind Sie anzutreffen, wenn die Sicherheitsvorkehrungen der Pandemie es erlauben?
Gauselmann Ich bin eine leidenschaftliche Konzert- und Festivalgängerin. Ich vermisse das gerade sehr. Ich mag viele Musikrichtungen, aber besonders mag ich Ska.
Was war Ihr letztes Konzert? Gauselmann Das weiß ich noch sehr gut: Ich habe ein Konzert der HipHop-Band K.I.Z. geschenkt bekommen. Es war am 8. März vergangenen Jahres. Es war mein letztes Konzert, vor dem ersten und auch zweiten Lockdown.
Warum ist Kultur wichtig? Gauselmann Weil man damit seine Sorgen vergessen und dem Alltag entfliehen kann. Kultur ist aber auch ein wichtiges Korrektiv. Kunst ist politisch, kritisch, ein Spiegel der Gesellschaft und Herrschaft. Kunst und Kultur spielen in einer lebendigen Großstadt eine wichtige und unverzichtbare Rolle. Kultur ist dafür da, die Menschen zusammen zu bringen – über alle Grenzen von Nationalität, Identität, politischer Einstellung oder religiöser Zugehörigkeit hinweg.
Wo sehen Sie die Stärke der Gladbacher Kulturszene?
Gauselmann Ihre Stärke ist die Vielfältigkeit. Wir haben ein renommiertes Theater und ein angesehenes Museum, wir haben aber auch eine experimentelle Szene, etwa in der Altstadt und ein Kulturbüro, das die freie Szene fördert. Ich rechne aber auch die Bibliotheken zur Kultur. Ich habe einen sehr weiten Kulturbegriff, und ich entdecke auch immer neue Kulturarten.
Wo sehen Sie in Mönchengladbach Förderbedarf?
Gauselmann Ich würde mir mehr migrantische Kultur wünschen und Projekte mit einem niederschwelligen Zugang. Dazu gehört zum Beispiel auch Jugendkultur: Es gibt Jugendliche, die verabreden sich irgendwo in der Stadt zum Streetdance. Sie brauchen einen Raum zum Experimentieren. So entsteht auch neue Kultur.
Muss man sich aktuell um die Szene an der Waldhausener Straße
Sorgen machen – nach dem Personalwechsel beim Träger der Kulturküche und den Spekulationen um weitere Personalwechsel. Bricht da ein Eckstück innovativer Alternativkultur weg?
Gauselmann Die Nachricht vom Personalwechsel hat uns alle überrascht. Erst war die Sorge groß, dass das Angebot der Kulturküche und der Vinyl-Garage wegbricht. Inzwischen ist aber klar – das beteuern zumindest die neue Geschäftsführerin und der neue Geschäftsführer –, dass das Angebot der Kulturküche inklusive der Suchtrehabilitation bestehen bleiben soll. Das ist eine gute Nachricht für die Altstadt. Ob die Qualität oder Kreativität des Angebots darunter leidet, kann niemand sagen und wird sich zeigen.
Wie hart trifft die Corona-Pandemie die Kultur?
Gauselmann Gerade die Soloselbstständigen oder Menschen aus der Veranstaltungsbranche haben langfristig kaum Möglichkeiten, den finanziellen Ausfall zu kompensieren. Es sind auch Auswirkungen auf der individuellen Ebene. Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche spüren die Auswirkungen der Corona-Krise nicht nur finanziell – auch die Kunst selbst leidet. Die Leute werden zu einem zweiten Standbein gezwungen. Ich mache mir Sorgen, dass es bald weniger Leute gibt, die Kulturangebote schaffen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Corona-Hilfen wirklich ankommen und den Kulturschaffenden die Sicherheit zurückgeben.
Verändert die Pandemie die Kunst? Gauselmann Ich glaube, dass die Pandemie grundsätzlich veraltete Strukturen aufgebrochen hat und die Digitalisierung vorangetrieben hat. Die Institutionen in Mönchengladbach haben ihre Angebote digitalisiert. Aber ich bin nicht der Ansicht, dass man jede Kunstform zwanghaft aufs Internet übertragen sollte. Die Präsenz-Kulturangebote sind nicht zu ersetzen, zum Beispiel das Gefühl, durch eine Ausstellung zu gehen.
Wie sehen die Spätfolgen von Corona wirtschaftlich aus?
Gauselmann Mich beruhigt etwas, dass es allen Kommunen so geht und wir alle politische Antworten brauchen. Es wird Einbußen geben; um sie zu regulieren, werden wir Stellschrauben brauchen. Es gibt zum Beispiel als Instrument den Altschuldenfonds, in den alte Belastungen überführt werden und ein Neustart möglich wird.
Als Ausschussvorsitzende muss man einen guten Überblick über das kommunale Kulturgeschehen haben und auch formale Abläufe beachten. Haben Sie sich schon eingefunden?
Gauselmann Ja, ich habe ganz gut reingefunden. Natürlich habe ich mich vorher mit der Verwaltung und den Fraktionen ausgetauscht, aber es braucht mehr als eine Ausschuss-Sitzung, um alle Zusammenhänge zu verstehen. Die Pandemie und die wieder steigenden Infektionszahlen hindern mich daran, alle Institutionen in meiner neuen Funktion zu besuchen. Das hole ich aber nach, sobald es geht.
Bekommen Sie in Ihrem Amt eigentlich auch altväterliche Ratschläge?
Gauselmann Sehr selten. Ich werde ernst genommen. Ich glaube, das ist der Respekt vor dem Amt. Meine Ämter als erste Bürgermeisterin und Kulturausschussvorsitzende sind eine Ehre für mich.
Warum sind Sie in die Politik gegangen?
Gauselmann Ich finde, man kann sich nicht vornehmen, Politiker zu werden. Ich habe schon in der Schule begonnen, mich zu engagieren. Ich in die Schülervertretung gegangen, weil ich durchsetzen wollte, dass man in der Schule MP3-Player in den Pausen hören darf. Ich finde, Musik zu hören entspannt, das war mir wichtig. Ich hatte da ein konkretes Ziel. Das war meine erste Kampagne ganz im Kleinen. Heute sind die Ziele etwas größer.