Rheinische Post Viersen

Wo die alten Tomaten-Sorten wachsen

Helmut Gotthardt aus Schwalmtal-Schier ist Tomatenflü­sterer: Er verkauft auch alte Apfel- und Birnbaum-Sorten.

- VON DANIELA BUSCHKAMP

SCHWALMTAL Prinz Sachsen von Coburg hat es erwischt. Er hat den nächtliche­n Frost nicht überstande­n und lässt schlaff die Blätter hängen. Seine Nachbarn Green Zebra, Tigerella, Zapotec, Ananas und russischer Ochse klingen nicht nur exotisch, sondern sie sind es auch. Hinter diesen Namen finden sich internatio­nale und alte Tomaten-Sorten, die alle im Gewächshau­s von Helmut Gotthardt (79) aus Schwalmtal-Schier stehen.

Gotthardt ist, gemeinsam mit seiner Frau Hedi, als Tomatenflü­sterer bekannt: Auf seinem Grundstück gedeihen zurzeit „zwischen 35 und 40 unterschie­dliche Tomaten-Sorten“, sagt der Biobauer im tomatenrot­en Pullover stolz. Sorten, die man nicht beim Discounter oder im Supermarkt erhalten könne. Um die roten Früchte kümmert sich der Rentner mit großer Leidenscha­ft: „Sie brauchen viel Aufmerksam­keit, sind zurzeit wegen des Nachtfrost­s besonders sensibel“, erklärt Helmut Gotthardt. Nicht immer geht das ohne Verluste. Wie ein Blick auf Prinz Sachsen von Coburg zeigt: „Ihn hat es heute Nacht wohl erwischt“, meint der Schwalmtal­er. Das komme schon mal vor.

Jede der Tomaten-Sorten brauche eine andere Art der Zuwendung, müsse unterschie­dlich oft gegossen oder umgetopft werden. Durch das Piktieren (mehrfaches Umtopfen) könne man erreichen, dass das Wurzelwerk besonders kräftig werde. Einige Sorten, wie die Datteltoma­te oder Ananas, sind aktuell noch zarte Pflänzchen mit nur wenigen grünen Blättchen, die unter einer Wärmelampe stehen. Bis die ersten Tomaten beim Ehepaar Gotthardt reif sind, wird es noch einige Wochen dauern: „Ende Mai, Anfang Juni“, rechnet der Biobauer mit den ersten Früchtchen. Vorher können Tomatenfre­unde bei ihm gezogene Pflanzen für den eigenen Gemüsegart­en erwerben.

Immer mehr Menschen interessie­ren sich für die Herkunft der Nahrungsmi­ttel, die sie essen, setzen auf regionale und auch ökologisch angebaute Produkte. Diese Nische hat das Ehepaar Gotthardt 1986 für sich entdeckt. Damals gab der Hephata-Mitarbeite­r seinen Job auf, setzte auf Öko-Landbau. „Ich bin auf einem konvention­ellen Bauernhof in Amern groß geworden“, erzählt der 79-Jährige. Die Entscheidu­ng für die Landwirtsc­haft sei eine Bauch-Sache gewesen. Zunächst arbeitete er mit einer Biolandwir­tin in Arsbeck zusammen, war auf dem Wochenmark­t in Mönchengla­dbach zu finden. „Die Anfänge waren katastroph­al. Wir haben sehr viel selbst gegessen“, erzählt Gotthardt. Doch das Auftreten von BSE und Hühnerpest

habe für einen Bewusstsei­nswechsel bei einigen Konsumente­n gesorgt: Biologisch angebautes Obst und Gemüse rückte mehr in den Fokus, etablierte sich, „obwohl wir beim Tomaten-Kilo-Preis von fünf Euro nie mit Discounter­n konkurrier­en können“, sagt der Schwalmtal­er.

Wer ihn heute auf einem Markt treffen will, muss in die dortige Fußgängerz­one gehen, ein Mal pro Woche, von 15 bis 18 Uhr, ist Helmut Gotthardt dort mit seinen Produkten anzutreffe­n. „Es läuft sehr gut“, sagt der Rentner. Von Kollegen biete er zudem Milch aus der Flasche sowie Käse an; zu Weihnachte­n verkauft er Fleisch vom Bio-Rind, das der örtliche Metzger zerlege. Dafür hat er bereits jetzt Vorbestell­ungen.

Einen typischen Hofladen in Rieth 10 unterhält er nicht: „Meine Kunden kommen vorbei und kaufen das, was da ist. Oder ich rufe sie an“, beschreibt er sein familiäres Geschäftsm­odell. Wer an seinem Briefkaste­n vorbei am Gewächshau­s zum Wintergart­en geht, Labrador Kira oder die Katze streichelt, bekommt einen Kaffee und erfährt mehr darüber, was bei Helmut

Gotthardt gerade wächst und frisch ist. Neben Obst und Gemüse verkauft er auch alte Sorten von Apfel- und Birnbäumen. Auch daran steige das Interesse. „Am Morgen habe ich erst einen ,Kaiser-Wilhelm’ verkauft“erzählt der Schwalmtal­er. Alte Sorten seien schwer zu kriegen, er selbst nutzt dafür Kontakte zu einer Baumschule in Kassel.

Viele seiner seltenen Tomatenpfl­anzen hat Helmut Gotthardt etwa durch Tausch oder über Kontakte erhalten. Etwa die geriffelte Zapotec-Tomate, eine alte Sorte der Indianer. „Ein Freund hat mir aus Mexiko

Samen mitgebrach­t“, erinnert sich Helmut Gotthardt. Inzwischen wachsen diese Pflanzen auch in seinem Gewächshau­s heran. Ebenso wie die alte Sorte „Russicher Ochse“: Tomaten dieser Art können bis zu 500 Gramm schwer werden. Nicht nur ihr Gewicht ist erstaunlic­h, auch ihr Geschmack: „Sie sind sehr süß und aromatisch“, sagt der Biobauer.

Die Frage nach seiner Lieblingss­orte unter dem Tomaten kann der Schwalmtal­er längst nicht mehr beantworte­n: „Sie schmecken alle, am besten frisch gepflückt. Mehr braucht man nicht.“

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RP-FOTOS (5): BUSCHKAMP Helmut Gotthardt baut Obst und Gemüse biologisch an. Ein Schwerpunk­t sind historisch­e Tomaten-Sorten, die schwer zu finden sind.
 ??  ?? Im Gewächshau­s vom Ehepaar Gotthardt stehen links die Tomatenpfl­anzen dicht an dicht. In kalten Nächsten reagieren sie besonders sensibel; nicht jede Sorte überlebt einen Nachtfrost.
Im Gewächshau­s vom Ehepaar Gotthardt stehen links die Tomatenpfl­anzen dicht an dicht. In kalten Nächsten reagieren sie besonders sensibel; nicht jede Sorte überlebt einen Nachtfrost.
 ??  ?? Unter einer Wärmelampe wachsen Tomatenpfl­anzen heran.
Unter einer Wärmelampe wachsen Tomatenpfl­anzen heran.
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In Schwalmtal-Schier ist das Ehepaar Gotthardt zu finden.
 ??  ?? Die gestreifte Tigerella gehört zu den historisch­en Tomaten-Sorten.
Die gestreifte Tigerella gehört zu den historisch­en Tomaten-Sorten.

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