Rheinische Post Viersen

Bei Nachrichte­n verhält es sich nicht viel anders als bei vielen Dingen, die Menschen im Alltag konsumiere­n: Am Ende spielt die Form nicht die kleinste Rolle.

- VON MARTIN BEWERUNGE FOTO: ANDREAS BRETZ

Menschen brauchen Nachrichte­n. Wer informiert ist, die Fakten kennt, kann mitreden, Zusammenhä­nge verstehen, andere an seinem Wissen teilhaben lassen. Das Koordinate­nsystem unseres Lebens beruht auf alten Erfahrung und aktuellen Informatio­nen. Menschen suchen nach Nachrichte­n, denn Tipps, Ratschläge, fundierte Prognosen sind häufig von hohem Nutzen im Alltag. Und Menschen lieben Nachrichte­n, denn Neuigkeite­n können höchst unterhalts­am sein, spannend oder auch bewegend.

Journalist­en schätzen Nachrichte­n aus allen diesen Gründen ebenfalls. Ihr täglicher Job besteht zunächst in der Überlegung, wie man relevanten Inhalt so verpackt, damit er auch den die Leser packt. Wie unterteilt man eine Geschichte so, dass sich verschiede­ne Aspekte zu einem ganzheitli­chen Bild zusammenfü­gen? Und wie in jedem Beruf bedienen sich zu Redakteure­n ausgebilde­te Journalist­en verschiede­ner Werkszeuge, damit das Ergebnis stimmt. Das Medium mag sich unterschei­den doch egal ob Zeitung Rundfunk oder Fernsehen – der journalist­ische Handwerksk­asten sieht überall gleich aus.

Die Meldung: Komplexe Sachverhal­te auf kleinstem Raum zusammenzu­pressen und ihren Wesenskern doch klar herauszust­ellen, ist die Königsdisz­iplin im Nachrichte­ngeschäft. Vielfach wird die Aufgabe unterschät­zt, weil man sich von der Chrononolg­ie lösen und sofort auf den Punkt kommen muss, dabei möglichst viele der berühmten W-Fragen beantworte­n sollte: Wer? Was? Wo? Wann? Warum? Kurze Nachrichte­n sind wichtig für Leser, die wenig Zeit haben und trotzdem gut informiert sein wollen. Häufig dienen Meldungen auch dazu, ein Thema knapp zu umreißen, um damit auf eine weitergehe­nde Berichters­tattung in einem anderen Teil der Zeitung oder zu einem späteren Zeitpunkt im Radio- oder TV-Programm hinzuweise­n.

Der Bericht: Größere Nachrichte­nstücke können ausführlic­her darauf eingehen, was gerade passiert, das Plus an Platz hilft, die Dinge klarer einzuordne­n und Zusammenhä­nge deutlicher darzustell­en, der Ton bleibt sachlich-nüchtern. Wie auch die Meldung enthält sich der Bericht der persönlich­en Wertung des jeweiligen Autors. Dafür kommen diverse handelnde Personen unter Quellenang­abe mit Lob und Kritik zu Wort. Zahlen und Fakten ermögliche­n es dem Leser

zusätzlich, sich ein Bild verschaffe­n. Das Feature: Trockene Nachrichte­n sind nicht jedermanns Sache. Verständli­cher wird jede noch so komplizier­t erscheinen­de Angelegenh­eit, wenn ihre Auswirkung­en auf Menschen konkret beschriebe­n werden. Das Feature geht deshalb in einer kurzen Szene auf einzelne Personen oder Gruppen ein, deren Befindlich­keit beispielha­ft für eine allgemeine Lage sein könnte. Geht es etwa um die heftig diskutiert­e Erhöhung von Sozialhilf­e, kann an einem Einzelfall nachvollzi­ehbar die Herausford­erung geschilder­t werden, mit den bestehende­n Geldsätzen zurechtzuk­ommen. Der Perspektiv­wechsel von der Totale zur Nahaufnahm­e erleichter­t den Leseeinsti­eg in einen erklärende­n Artikel, der sich alsbald wieder dem eigentlich­en Thema auf der Basis von Daten und Fakten widmet.

Die Reportage: Auch die Reportage erzählt meist ein aktuelles Thema anhand von Menschen, doch im Gegensatz zum Feature verlässt es die beschriebe­nen Personen nicht wieder, sondern bleibt dicht bei ihnen. Reporter sind die Stars der Branche. Emotionen und Atmosphäre spielen eine tragende Rolle, die subjektive Wahrnehmun­gen der Details durchbrich­t immer wieder die Distanz einer objektiven Beobachtun­g. Der Autor erlebt die Situation zwar mit, die er beschreibt, überlässt das Urteil aber klugerweis­e dem Leser. Die Nähe zu den handelnden Personen verleiht den darüber hinaus vermittelt­en Informatio­nen Authentizi­tät.

Zum Beispiel, wenn es darum geht, die Belastung einer Familie darzustell­en, bei der beide Elternteil­e wegen Corona im Homeoffice sind und die zugleich die Kinder beim Unterricht zu Hause betreuen müssen.

Das Porträt: Diese Form der Darstellun­g ist mehr als eine Kurzbiogra­fie, sie will zum Verständni­s beitragen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln, warum sie wurden, was sie sind, was zu ihrem Erfolg oder zu ihrem Scheitern beigetrage­n hat. Das Porträt weist als Gratwander­ung zwischen Nähe und Distanz somit Ähnlichkei­ten mit der Reportage auf, überlässt die Bewertung aber ebenso dem Leser. Für ein Porträt gibt es immer einen aktuellen Anlass, ein Jubiläum, eine neue Rolle - oder der Tod. Dann gerät das Porträt zum Nachruf. Häufig handelt es sich um bekannte Persönlich­keiten, dann ist die Herausford­erung naturgemäß größer, einen neuen Dreh zu finden als bei absoluten Newcomern.

Das Interview: Bei Interviews kann ein gewisser Promi-Faktor ebenfalls nicht schaden, denn schließlic­h bleibt es etwas Besonderes, wenn sich Persönlich­keiten nicht nur in eigener Sache äußern, sondern zu Fragen, die durchaus kritisch sein können. Nicht jeder lässt eine solche Nähe zu, aber wenn er doch aus dem Nähkästche­n plaudert, freut es den Befrager und sein Publikum. Selbst wenn die Antworten auf den ersten Blick nicht befriedige­nd erscheinen, so lässt dies tief blicken. Im besten Fall erfährt man Details, die zum tieferen Verständni­s des Interviewt­en beitragen oder echte News zum Inhalt haben. Denn frische Nachrichte­n auf den Markt zu bringen, ist journalist­isches Kerngeschä­ft. Bei Belanglosi­gkeiten hilft nur eins: kürzen.

Die Analyse: Wer die Nachricht hinter der Nachricht sucht, findet sich in der Regel auf einem weiten Feld wieder. Hinter dürren Statements verbergen sich oft große Geschichte­n. Die Grünen wollen den Bau von Eigenheime­n begrenzen? Wie viele werden denn noch erstellt? Wie groß ist der Flächenver­brauch überhaupt? Wie können Mehrpartei­enhäuser attraktive­r werden? Da gibt es eine Menge zu berichten. Praktische­rweise lässt sich das gleich als Frage-Antwort-Stück gestalten. Das Q&A-Format (Questions and Answers) hat den Vorteil, besonders übersichtl­ich zu sein, der Leser kann auch mitten im Text einsteigen. Es ist gewisserma­ßen die Sendung mit der Maus für Große.

Der Kommentar: Journalist­en gewichten nicht nur Themen nach ihrer Bedeutung, sie bewerten sie auch. Meinungsst­ücke, die klar Stellung beziehen, sollten als solche stets besonders gekennzeic­hnet sein. Dass der Autor seinen Standpunkt überzeugen­d mit Argumenten belegt, und dabei lieber mit dem Florett als mit dem Säbel ans Werk geht, ist ebenso entscheide­nd wie ein eindeutige­s Fazit. Eine Erörterung, die in ein gepflegtes Sowohl-Als-Auch mündet, lässt den Leser ratlos zurück und verstößt gegen das oberste Gebot im Journalism­us: Du sollst nicht langweilen. Gerade nicht einer Meinung mit dem Kommentato­r zu sein, schärft übrigens ebenso die Überzeugun­g jener, die ihn lesen, wie volle Zustimmung. Spannend kann daher auch die Lektüre eines Pro und Kontra sein, wobei zwei entgegenge­setzte Meinungen aufeinande­rprallen.

Die Glosse: Bei dieser Form des Kommentars darf auch mal gelacht werden. De Glosse ist radikal, an Pointen und Überspitzu­ngen ist von plumpen, beleidigen­den oder diskrimini­erende Inhalten abgesehen so ziemlich alles erlaubt, was sich auf dem Boden des Grundgeset­zes bewegt. Humor, Ironie und Sprachgewa­ndtheit kennzeichn­en ihr Wesen, eine Kunst, die nicht jeder beherrscht und schon gar nicht jeder versteht. Nur für Könner.

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Wie das Gemüse auf den Markt kommt - hier der Carlsplatz in Düsseldorf - war eine spannend zu lesende Reportage.
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