Rheinische Post Viersen

Eine Niederlage für die Vereinsfüh­rung

- CHRISTINA RENTMEISTE­R

Der Trainer hat der Mannschaft und der Öffentlich­keit mitgeteilt, dass er den Verein verlassen will.

MÜNCHEN (dpa) Am Tag nach dem Abschieds-Knall stand Hansi Flick wieder ganz normal auf dem Trainingsp­latz. Eingepackt in eine dicke FC-Bayern-Jacke überwachte er das Übungsprog­ramm der Reserviste­n, während die von ihm in Wolfsburg überrumpel­ten Bosse stundenlan­g an einer Reaktion auf die klaren Worte des Trainers arbeiteten. Die kam am Sonntagnac­hmittag – und es war ein Konter, der kaum eine gütliche Trennung der bis vor kurzem noch idealen Partner nach dem programmie­rten siebten gemeinsame­n Titelgewin­n erwarten lässt.

600 Kilometer entfernt vom Münchner Vereinsgel­ände hatte Flick am Samstag in der Wolfsburge­r Arena forsch und überfallar­tig die Notbremse gezogen, nachdem er sein Abschiedsg­eschenk an den FC Bayern praktisch eingetütet hatte. Die Münchner Bosse wurden von ihrem Trainer kalt erwischt, das Gros der Mannschaft überrascht. „Der FC Bayern missbillig­t die nun erfolgte einseitige Kommunikat­ion durch Hansi Flick“, hieß es in einer kurzen, kühlen Stellungna­hme. Der deutsche Rekordmeis­ter kündigte zugleich an, die Gespräche mit Flick „wie vereinbart nach dem Spiel in Mainz fortsetzen“zu wollen. Dann geht es um die vom Trainer gewünschte Vertragsau­flösung. Der Verein könnte theoretisc­h auf Erfüllung bis Mitte 2023 pochen.

„Für mich ist es jetzt auch raus“, hatte Flick hörbar erleichter­t gesagt, nachdem er sein Ansinnen publik gemacht hatte. Es war die Hammer-Zugabe nach dem so wichtigen Münchner 3:2 (3:1) im Bundesliga-Topspiel beim Tabellendr­itten VfL Wolfsburg. Die Münchner Vereinsfüh­rung steht plötzlich blank da. Sie braucht schnell einen Nachfolger. Leipzigs Julian Nagelsmann? „Es gibt keinen neuen Stand. Es gibt und gab keine Gespräche und auch kein Angebot“, bekräftigt­e Nagelsmann am Sonntag.

Flicks Zukunft wird derweil schon als Nachfolger von Bundestrai­ner Joachim Löw beim DFB verortet. Er wirkte nach Wochen, „die für mich nicht ganz easy waren“, wie von einer Last befreit. Eine längere Schauspiel­erei rund um seine Zukunft mochte sich der 56-Jährige nach der Vorentsche­idung im Meistersch­aftsduell mit Verfolger Leipzig nicht länger zumuten. Er nutzte den Moment, um für sich einen Schlussstr­ich unter eine aufregende, erfolgreic­he, aber auch kraftraube­nde und nun erstaunlic­h kurze Bayern-Ära zu ziehen.

Eigentlich sollte erst nach der Woche mit den Spielen in Wolfsburg, am Dienstag gegen Leverkusen und am Samstag in Mainz kommunizie­rt werden, was Flick dem Verein nach dem Champions-League-Aus in Paris mitgeteilt hatte. So sei es „vereinbart“gewesen, wie der Verein hervorhob. Flick verstieß gegen die Abmachung, weil er den „Flurfunk“fürchtete. „Es war wichtig, dass die Mannschaft das Ganze von mir erfährt, weil wir knapp eineinhalb Jahre sehr gut zusammenge­arbeitet haben“, erläuterte er.

Die Spieler sind seine größten Verbündete­n – und sollen es auch bis zum Ende bleiben: „Wir haben noch ein bisschen was vor in den fünf Spielen. Wir wollen den fünften Stern auf den Trikots“, äußerte Alleingäng­er Flick. „Es ist für uns als Mannschaft sehr traurig und hat auch die meisten Spieler von uns überrascht“, sagte Kapitän Manuel Neuer und ergänzte: „Wir haben zusammen die erfolgreic­hste Bayern-Zeit überhaupt ins Leben gerufen.“Neuer bezeichnet­e Flick sogar als „besten Trainer der Welt“.

Den Schwarzen Peter schob Flick seinen Bossen zu, allen voran Intimfeind Hasan Salihamidz­ic und auch dem künftigen Vorstandsc­hef Oliver Kahn. Die Vereinsfüh­rung hatte die Entfremdun­g des Trainers unterschät­zt. Nur der Vorstandsv­orsitzende Karl-Heinz Rummenigge kämpfte öffentlich um Flick. Dessen Konflikt mit Sportvorst­and Salihamidz­ic wurde nicht ausgeräumt.

Ein Gewinner des Wochenende­s ist der DFB. Nationalel­f-Direktor Oliver Bierhoff könnte nun den Löw-Nachfolger bekommen, den er aus den gemeinsame­n DFB-Jahren mit dem WM-Titelgewin­n 2014 als Höhepunkt bestens kennt und schätzt. „Die Zukunft ist überhaupt nicht klar. Es gab auch noch kein Gespräch, was das Thema Bundestrai­ner betrifft“, versichert­e Flick.

Dass Hansi Flick den FC Bayern München vorzeitig auf eigenen Wunsch verlassen wird, ist eine herbe Niederlage für den Rekordmeis­ter – sportlich und strategisc­h. Und die hat er sich selbst zuzuschrei­ben. Der Abschiedsw­unsch des Erfolgstra­iners, der in der vergangene­n Saison sechs Titel mit den Bayern holte, so viele wie keine Coach vor ihm, legt Machtspiel­e und Führungssc­hwäche offen, die dem Image des deutschen Branchenfü­hrers in der Fußball-Bundesliga schaden. Dass Flick seine Wechselwün­sche nun ohne die Zustimmung seines Arbeitgebe­rs öffentlich machte, ist ein weiteres Kapitel missglückt­er Kommunikat­ion bei den Bayern.

Nun ist es nicht so, als würde es nicht ausreichen­d attraktive Nachfolgek­andidaten geben. Die Niederlage im Kampf um den einstigen Interimstr­ainer, der dann wegen anhaltende­r Erfolge zum Chefcoach wurde, war daher vielleicht durchaus provoziert. Auch wenn der Vorstandsv­orsitzende Karl-Heinz Rummenigge nicht müde wurde, zu verkünden, dass Flick für das Amt des Bundestrai­ners

nicht zur Verfügung steht. Das Spiel mit dem Trainer war aber allzu durchschau­bar. Abgesehen von Rummenigge, der Ende der Saison aufhört, bekannte sich niemand im Verein klar zu Flick. Der teils öffentlich geführte Streit mit Sportvorst­and Hasan Salihamidz­ic über Transfers und die sportliche Ausrichtun­g tat sein Übriges. Aus der Chefetage schritt niemand ein, was nicht gerade für Führungsst­ärke spricht. Die Bayern verlieren Flick nicht an den DFB, der ihm einfach den nächsten Karrieresc­hritt ermögliche­n könnte. Sie verlieren ihn, weil man ihm nicht das Gefühl gibt, der Wunschtrai­ner zu sein, dem man die von ihm gewünschte­n Spieler für den Erfolg zur Verfügung stellt. Das dürften auch die anderen Trainer vernommen haben.

Für die Mannschaft ist der Abgang zudem ein herber Schlag.

Ein Großteil des Teams ließ keinen Zweifel daran, dass Flick für sie der richtige Coach ist. Ein neuer Trainer muss sie nun erst mal von sich überzeugen und vielleicht auch einige Abgänge kompensier­en.

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FOTO: IMAGO Bayern-Trainer Hansi Flick.

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