Rheinische Post Viersen

Grundschul­en befürchten Spätfolgen

An den Grundschul­en sorgt man sich um die Schüler, insbesonde­re die lernschwäc­heren Kinder. Neben dem reinen schulische­n Aspekt ist es zudem das fehlende soziale Miteinande­r, das belastet.

- VON BIANCA TREFFER

OSTKREIS I-Dötzchen, die im Sommer des vergangene­n Jahres eingeschul­t wurden, haben noch nie eine normale Grundschul­e erlebt – eine Schulzeit, zu der neben anderem auch Ausflüge, Feste, Zirkusproj­ekte, fröhliches gemeinsame­s Spielen auf dem Schulhof, AGs und Sportturni­ere gehören. „Es ist ein schwierige­s Jahr, das so noch nie da gewesen ist. Es ist für uns alle, Lehrer, Schüler und Eltern, eine Riesenhera­usforderun­g“, fasst es Sabine Stammen, Schulleite­rin der Kempener Astrid-Lindgren-Grundschul­e, zusammen. Welche Auswirkung­en das alles mit sich bringt, das kann Stammen genauso wenig abschätzen, wie ihre Kollegen. Denn trotz aller Anstrengun­gen, die von Lehrern sowie Eltern geleistet werden, kann nicht von einem normalen Schulunter­richt gesprochen werden.

„Es gibt Kinder, die kommen gut mit der ganzen Situation zurecht. Andere haben hingegen Lerndefizi­te aufgebaut. Wir fördern natürlich, aber es gibt einfach Kinder mit mehr Förderbeda­rf“, sagt Silvia Specker-Mattißen. Die Leitern der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Corneliusf­eld in St. Tönis hat daher den Wunsch, dass durch die Landesregi­erung unkomplizi­erte Möglichkei­ten geschaffen werden, damit diese Lerndefizi­te durch kostenlose Nachhilfe aufgeholt werden können. Sie könnte sich Tickets für Nachhilfei­nstitute vorstellen, die die Eltern einlösen können. Wichtig sei ein niedrig schwellige­s Angebot, betont die Schulleite­rin. Specker-Mattißen lobt die Eltern, die einen „Wahnsinnsb­eitrag in Sachen Beschulung leisten“, wie sie es beschreibt. Ohne die Hilfe der Eltern sei es gerade in der ersten Klasse gar nicht möglich zu beschulen. Denn i-Dötzchen könne man keine Aufgabenbl­ätter zukommen lassen, schließlic­h könnten sie weder lesen noch schreiben. Auch die besten Erklärvide­os, die die Lehrer drehen, könnten das nicht auffangen.

Bei den Viertkläss­lern sieht das schon ganz anders aus. Zudem fehlt es den Grundschül­ern in den Augen von Specker-Mattißen an Motivation. „In der Schule motivieren sich die Kinder gegenseiti­g, sie orientiere­n sich aneinander und helfen sich gegenseiti­g. Die Motivation alleine im Elternhaus ist eine ganz andere“, sagt sie. Die Schulleite­rin bedauert sehr, dass den Kindern einfach die soziale Erfahrung fehle, die sonst durch die vielen Aktivitäte­n in Schule aufgebaut werde.

„Die sozialen Kontakte fehlen immens. Man merkt es, wenn die Kinder wieder in Schule kommen. Sie sind regelrecht zurückhalt­end und müssen sich neu orientiere­n. Rituale, die den Schulallta­g prägen, sind auf einmal verschwund­en“, sagt Berrit Liebisch, die Leiterin der Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Grefrath. Wichtige Teamarbeit könne

nicht stattfinde­n und letztendli­ch sei auch miteinande­r zu spielen eine Art von Lernen. Dazu komme, dass sich die lernschwäc­heren Kinder in einer deutlich schwierige­ren

Position befinden würden, ergänzt sie. Denn lernen, wie Lernen geht, müsse man auch. „Die gesamte Schulgemei­nschaft leidet“, sagt Liebisch. Die Lehrer leben ebenso auf Distanz, ein kurzes Austausche­n ist nicht gegeben. Schulleitu­ngen müssen sieben Tage die Woche für das Gesundheit­samt erreichbar sein. In den Ferien wird durchgearb­eitet, weil immer wieder neue Konzepte ausgearbei­tet werden müssen, da sich ständig Änderungen ergeben.

„Die Eltern haben ebenfalls das Limit der Flexibilit­ät erreicht“, bemerkt Cerstin Pelz von der Astrid-Lindgren-Grundschul­e in Schiefbahn. Kinder vermissen gewohnte Abläufe, der Kontakt mit den Klassenkam­eraden fehlt, beginnt Pelz mit dem Aufzählen der Dinge, die für Probleme sorgen. „Corona macht mit dem System Schule

ganz viel“, sagt sie. Die Schulleitu­ngen klagen geschlosse­n darüber, dass die Informatio­nen vom Schulminis­terium fast immer spät kämen. Schulmails aus Düsseldorf, die am späten Freitagnac­hmittag eingingen oder gar erst am Wochenende einliefen, seien keine Seltenheit. Das Kollegium dementspre­chend zu informiere­n, Vorgaben umzusetzen und die Eltern darüber in Kenntnis zu setzen, sei mehr als ein Kraftakt. Auf zeitliche Fragen, wie lange zum Beispiel der Wechselunt­erricht nun laufen solle, gebe es von der Schulminis­terin lediglich die Antwort: längere Zeit. Für alle sei es eine Katastroph­e, mit der Ungewisshe­it zu leben und nicht fest planen zu können, damit Schule wieder Struktur erhält. Alle Schulen rechnen mit Spätfolgen, in welcher Form, weiß niemand.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Auch nach einem Jahr Corona kann Grundschul­leiterin Silvia Specker-Mattißen vieles nur an der Türe entgegenne­hmen.

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