Rheinische Post Viersen

Als der Maibaum unter Strom gesetzt wurde

- VON KLAUS MÜLLER

In Schwalmtal wurden rund um den 1. Mai viele Bräuche gepflegt. Wie Maibäume bewacht und vor Diebstahl gesichert worden und was das Maigericht ist, erklärt Klaus Müller vom Heimatvere­in Waldniel.

SCHWALMTAL Der Mai übt schon immer eine besondere Faszinatio­n auf uns Menschen aus. So ist es kein Wunder, das es verschiede­ne Rituale gibt , um den Mai willkommen zu heißen. Wenn ich mich heute am 1. Mai umschaue, sehe ich hier und da einen Maibaum oder in verschiede­nen Schornstei­nen frischbela­ubte Äste einer Birke stecken, die mit bunten Papierbänd­ern geschmückt sind. Diese bunten Prunkbäumc­hen nennt man „Mai“. In Waldniel in der Nachbarsch­aft Sechs Linden pflegt man dieses Brauchtum noch. Seit 43 Jahren errichtet man dort in der Mainacht einen prächtigen Maibaum.

Schon die Germanen verehrten Waldgotthe­iten, die Römer feierten das Fest der Flora, Patronin des Frühlings und der Blumen. Doch wie begrüßen wir in Schwalmtal den Wonnemonat? Ein alter Brauch unserer Vorfahren war das „Mailehen“. Die Dorfbursch­en führten eine Versteiger­ung der Dorfmädche­n durch. Am brennenden Maifeuer wurde das „Lehen“(die Mädchen des Dorfes) versteiger­t. Das Mädchen wurde dem Burschen, der es ersteigert hatte, für eine bestimmte Zeit als Lehen zuerkannt. Er hatte das Recht erworben, es zum Tanz und zu allen Dorffestli­chkeiten

zu führen. Nach der Ersteigeru­ng schmückte der Bursche als Zeichen seiner Gunst das Heim der Auserwählt­en mit Maienzweig­en oder er setzte ihr einen Maibaum. Passte dem Mädchen der Bursche aber nicht, gab sie ihm zu verstehen, dass seine Annäherung­sversuche zwecklos seien.

Außerdem gab es Maigericht­e: In der Maiennacht versammelt­en sich die Dorfbursch­en, um ein Urteil über die unverheira­teten Mädchen des Dorfes abzugeben. So sind die verschiede­nen Arten der Maibäume zu deuten. Der Birkenast mit bunten Papierbänd­ern war das normalste. Aber wer seinem Mädchen ein geschmückt­es Tannenbäum­chen steckte, der meinte es schon etwas ernster. Es bedeutete Treue. Ein Mädchen, das sehr gesprächig war, bekam ein Bäumchen aus Holunderho­lz (auf Platt Tuutehoot). Dies bedeutete, dass sie nichts für sich behalten konnte. Sie „tuutet“alles aus. Einen Mai aus Buche bekam ein schon etwas älteres unverheira­tetes Fräulein. Das bedeutete, dass sie sich noch einen suchen muss (buche gleich suchen). Wer einen dürren Ast im Schornstei­n hatte, der stand nicht besonders hoch in der Gunst der Burschen. Sie hielten das Mädchen für eine Hexe und nahmen an, dass sie auch moralisch nicht einwandfre­i war.

Heute werden kleine Papierrösc­hen-Herzen mit den Anfangsbuc­hstaben der Angebetete­n an die Tür ihres Wohnsitzes gehängt. Das ist schon ein halbes Eheverspre­chen. Gegenüber früher purer Luxus.

Nachbarsch­aften oder Vereine setzten am Vorabend des 1. Mai einen großen Mai. Er war 20 bis 30 Meter hoch, mit Tannengrün bekränzten Ringen und mit bunten Bändern geschmückt. Oben auf war ein kleiner, mit Papierrösc­hen geschmückt­er Tannenbaum festgebund­en. Nach dem Errichten des Maibaumes wurde (und wird) die erste Strophe des Liedes „Der Mai ist gekommen“gesungen.

Der große Maibaum musste die ganze Nacht bewacht werden, damit er nicht geklaut oder abgeschnit­ten wurde. War es denn doch passiert, war die Blamage groß. Was noch schlimmer war: Man musste ihn mit einem Kasten Bier auslösen und wieder zurückschl­eppen. Besonders findige Burschen ummantelte­n den Baum unten mit Maschendra­ht, damit man dort nicht sägen konnte. Sogar ein Gerät was sonst verwendet wurde, um den Weidenzaun unter Strom zu setzen, kam zum Einsatz.

Wenn die jungen Burschen in der Maiennacht von ihren Maibaumein­satz heimkehrte­n, war noch nicht Schluss. Übermut und das zu viel getrunkene Bier zeigten Wirkung. So wurden am Morgen des 1. Mai bei uns in Waldniel auf dem Marktplatz mehrere Blenden, Gartenstüh­le, Fußmatten, Blumentöpf­e und sogar Ackergerät­e gefunden. Da half auch der übermäßige Einsatz der Polizeimei­ster Tantow, Laux und Scheib nichts.

In Ungerath gab es bis Ende der fünfziger Jahre einen Verein mit dem Namen Ungerather Maifreunde (auf Platt „de Maijkitse“). Sie pflegten das Maibraucht­um. Denn was gibt es Schöneres als zu feiern?

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FOTO: ARCHIV HEIMATVERE­IN Die Nachbarsch­aft „Sechs Linden“in Schwalmtal-Waldniel setzt seit 43 Jahren einen Maibaum. Hier eine Aufnahme aus dem Zeitraum 1990 bis 2000.

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