Rheinische Post Viersen

Wie Kinder unter Corona leiden

Wenig soziale Kontakte, kaum Bewegung, erhöhter Medien-Konsum – im Jugendamt und in den Kinderarzt­praxen sind die Auswirkung­en der Pandemie auf Mädchen und Jungen jetzt schon spürbar.

- VON ANSGAR FABRI UND GABI PETERS

MÖNCHENGLA­DBACH Was ein Jahr Pandemie bei Kindern und Jugendlich­en ausmacht, merken nicht nur die Mitarbeite­r im Mönchengla­dbacher Jugendamt. „Corona ist wie ein Brennglas, das zu einer Verschärfu­ng der Problemlag­en führt“, sagt Klaus Röttgen, Leiter des Fachbereic­hs Kinder, Jugend und Familie. Ein vermehrtes Aufkommen von verhaltens­auffällige­n Kindern gebe es nicht nur in Mönchengla­dbach. Das habe eine aktuelle Befragung der TU Dortmund bei allen Jugendämte­rn ergeben, sagt Röttgen.

Samira Hlaouit, Netzwerkko­ordinatori­n „Frühe Hilfen“des Fachbereic­hs Kinder, Jugend und Familie, weiß, dass dies schon früh in den Kinderarzt­praxen erkannt wurde. „Manche Kinder sind durch den ständigen Medienkons­um am Laptop, Handy und Fernsehen lethargisc­h. Sie haben einen Interessen­sverlust und Konzentrat­ionsschwäc­hen“, sagt sie. Andere Kinder und Jugendlich­e seien unruhig und ungehalten. Andere hätten Übergewich­t, weil es ihnen an Bewegung mangele.

„Sprachdefi­zite gab es schon vor Corona, und das nicht nur bei Migrantenf­amilien“, sagt Samira Hlaouit.

Das habe sich jetzt verstärkt, weil Eltern ebenfalls oft mit der Situation überforder­t seien. Es werde häufig noch weniger vorgelesen, noch weniger miteinande­r geredet. „Wenn früher an unseren Beratungs-Hotlines auch schon mal nach Kursen gefragt wurde, geht es jetzt fast ausschließ­lich um Krisenbewä­ltigung“, sagt die Netzwerkko­ordinatori­n.

Kindern und Jugendlich­en fehlt es laut Röttgen in diesen Zeiten häufig an Selbstwirk­samkeit, also an der Überzeugun­g, die Situation aus eigener Kraft erfolgreic­h bewältigen zu können. Und das liege an den fehlenden Kontakten. „Deshalb tun wir auch alles dafür, die Kitas offen zu halten“, sagt Röttgen. Corona habe vieles lahmgelegt, dennoch werde alles versucht, Projekte für Kinder und Jugendlich­e anzubieten, sagt Samira Hlaouit. Das würden auch die freien Träger tun. „Alle machen sich Gedanken in unserem Netzwerk.“

„Kinder gehören zu den Verlierern der Pandemie – in allen Schichten und Milieus.“Das sagt auch Lorenz Bahr, Landesrat und Leiter des Landesjuge­ndamtes, der in einer Videokonfe­renz zum Thema „Kinderschu­tz in Pandemieze­iten“, zu der Frank Boss, Jochen Klenner und Michael Schroeren eingeladen hatten, wenig Beruhigend­es zu berichten hatte. Belastung, Stress, Angst und Depression­en hätten zugenommen.

Es gebe mehr Streit in den Familien, mehr schulische Probleme und bei den Schülern ein schlechter­es Verhältnis zu Freunden. Die Eltern-Kind-Beziehunge­n seien durch das Home-Schooling belastet, ein Viertel der Mütter und Väter würden sich überforder­t fühlen, sagt Lorenz Bahr.

Wie der Psychologe, Kinder- und Jugendlich­enpsychoth­erapeut Michael Borg-Laufs von der Hochschule Niederrhei­n mitteilt, sind derzeit sind 30 Prozent der Kinder psychisch krank. 50 Prozent seien beim Homeschool­ing unmotivier­t, „Ich weiß nicht, wie viele vorher unmotivier­t in der Schule saßen“, so der Dekan des Fachbereic­hs Sozialwese­n. Im besonderen Maße seien „Risikopopu­lationen“betroffen.

Die Fragen, die Borg-Laufs stellt: „Welche Konzepte gibt es oder müssen entwickelt werden? Wie wird sichergest­ellt, dass Zugang zu Risikofami­lien besteht und man weiter reinschaut?“Die Antwort von Klaus Röttgen vom Jugendamt: „Kein Homeoffice für uns, um für die Familien da zu sein. Wir haben klar verabredet, dass wir alle Familien, mit denen wir zu tun haben, ein- bis zweimal pro Woche anrufen.“Er beobachte, dass die Anträge auf Einglieder­ungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendlich­e „durch die Decke gehen“. Röttgen: „Das ist erst die Spitze des Eisbergs.“

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FOTO: ANNI HALL Viele Kinder und Jugendlich­e leiden unter den Folgen der Pandemie.

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