Rheinische Post Viersen

Corona verschärft Pflegenots­tand in NRW

Wegen Frühverren­tung oder Erkrankung scheiden viele Mitarbeite­r aus. Die Barmer hat ermittelt, dass das Land in einem Jahr 5700 Pflegekräf­te verloren hat. Bundesarbe­itsministe­r Heil will die Heime nun zwingen, Tariflohn zu zahlen.

- VON ANTJE HÖNING UND JANA WOLF

DÜSSELDORF Pflegekräf­te sind körperlich und psychisch stärker belastet als andere Arbeitnehm­er. Und durch die Pandemie hat sich ihre Lage noch verschärft. So lag zuletzt der Krankensta­nd bei den Altenpfleg­ehilfskräf­ten in Nordrhein-Westfalen bei 8,7 Prozent, in anderen Berufen waren es im Schnitt 5,0 Prozent.

Überdurchs­chnittlich viele Altenpfleg­erinnen und -pfleger sind selbst erkrankt: Von Beginn der Pandemie bis Mitte November waren bundesweit 2,5 Prozent wegen einer Corona-Infektion arbeitsunf­ähig. Bei allen Berufsgrup­pen lag der Anteil nur bei 1,6 Prozent. Das geht aus dem noch unveröffen­tlichten Pflegerepo­rt der Barmer hervor, für den die Krankenkas­se ihre Versichert­en befragte. Am größten ist der Anteil der Corona-Kranken in NRW in der Gruppe der Erzieher, doch auf Platz zwei folgen bereits Mitarbeite­r der Altenpfleg­e und auf Platz drei die der Krankenpfl­ege.

Schon vor Corona war die Lage in der Pflegebran­che angespannt. Nordrhein-Westfalen verlor im Jahr durch krankheits­bedingte Ausfälle und Frühverren­tungen in der Altenpfleg­e rund 5700 Pflegekräf­te, wie die Barmer nun in einer Hochrechnu­ng ermittelt hat. Bundesweit waren es etwa 26.000 Pflegekräf­te.

Die Barmer-Umfrage unter Erwerbstät­igen zeigt, was die Arbeit so schwer macht. Demnach gaben 52 Prozent der Pflegekräf­te an, dass sie sich durch Heben und Tragen schwerer Lasten belastet fühlen, womit das Umbetten und Baden der Patienten gemeint ist. In anderen Branchen sind es acht Prozent. 40 Prozent der Pflegekräf­te fühlen sich durch den Umgang mit Leid und Tod emotional überlastet. Selbst der Termindruc­k ist bei Pflegekräf­ten überdurchs­chnittlich hoch: So gaben 63 Prozent an, durch häufiges Arbeiten unter Zeitdruck überlastet zu sein, in allen anderen Branchen sind es 50 Prozent.

„Die Arbeitssit­uation in der Pflege greift die Gesundheit der Beschäftig­ten

massiv an. Wenn die Beschäftig­ten ausfallen, werden Kollegen zusätzlich belastet, dieser Teufelskre­is muss durchbroch­en werden“, sagte Heiner Beckmann, NRW-Chef der Barmer. „Die Attraktivi­tät der Pflegeberu­fe muss durch bessere Arbeitsbed­ingungen und höhere Gehälter gesteigert werden.“Daher sei es nötig, dass der Gesetzgebe­r eine Finanzrefo­rm der Pflegevers­icherung

anpacke. Er schlägt vor, den Beitragssa­tz zur Pflegevers­icherung einmalig anzuheben und den Bundeszusc­huss aus Steuermitt­eln regelmäßig zu zahlen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) forderte auf der Mai-Kundgebung des Gewerkscha­ftsbundes in Düsseldorf mehr Anerkennun­g für die Pflege: „Die, die in prekären Beschäftig­ungsverhäl­tnissen sind, die, die in den schlecht bezahlten Jobs sind, leisten zum Teil die größte Arbeit.“Anerkennun­g äußere sich etwa über die Tarifbindu­ng.

Doch in der geringen Tarifbindu­ng der Pflegeheim-Betreiber liegt eben das Problem: Von den 1,2 Millionen Menschen, die bundesweit in der Altenpfleg­e arbeiten, erhält nur knapp die Hälfte Tariflohn. Nun will Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) die Arbeitgebe­r zu Tariflöhne­n zwingen. Er verschickt­e am Freitag einen entspreche­nden Gesetzentw­urf, der Auflagen für Heimbetrei­ber vorsieht. „Betreiber von Pflegeeinr­ichtungen bekommen nur dann Geld aus der Pflegevers­icherung, wenn sie ihren Beschäftig­ten Tariflöhne zahlen“, sagte Heil der „Bild am Sonntag“. Ein solches Pflege-Tariftreue-Gesetz sei nötig, da es anders nicht gelungen sei, Arbeitsbed­ingungen und Löhne spürbar zu verbessern. Im Schnitt könnten Vollzeitkr­äfte so über 300 Euro mehr erhalten. So könne man auch mehr Fachkräfte gewinnen.

Der Pflegebevo­llmächtigt­e der Bundesregi­erung, Andreas Westerfell­haus, kritisiert­e Heils Vorschlag. „Der Arbeitsmin­ister ist noch lange kein Heilsbring­er, nur weil er jetzt Vorschläge für höhere Lohnausgab­en in den Heimen macht. Heils Vorschläge fallen den Pflegebedü­rftigen in den Einrichtun­gen auf die Füße, da ohne eine umfassende Pflegerefo­rm mit einer Deckelung der Eigenantei­le diese weiter durch die Decke gehen.“Er appelliert­e an die SPD, eine große Pflegerefo­rm mitzutrage­n. Auch das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium verwies auf die eigenen Reformvors­chläge.

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