Rheinische Post Viersen

Lasst doch Hitler aus dem Spiel!

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND LOTHAR SCHRÖDER

Winzer, Gastronom, lange Jahre Präsident des SC Freiburg, ein Mann der Basis – und vor allem: einer ohne belastende Vergangenh­eit im Deutschen Fußball-Bund (DFB). Das waren die Attribute, die das Bild Fritz Kellers seit seinem Amtsantrit­t als DFB-Präsident im September 2019 bestimmten. Zumindest das Fehlen einer belastende­n Vergangenh­eit im Verband ist dem 64-Jährigen nun zu streichen, denn seit Keller übereinsti­mmenden Medienberi­chten zufolge vor etwas mehr als einer Woche in einer Präsidiums­sitzung seinen Vizepräsid­enten Rainer Koch mit Nazi-Richter Roland Freisler verglich, steht er massiv in der Kritik.

Weil diese Reaktionen erwartbar waren, bleibt die Frage: Warum dieser Vergleich? Aus Unüberlegt­heit? Unbedarfth­eit? Oder gar aus Kalkül – da das maximale Erregungsp­otenzial garantiert ist? Solche Fragen stellen sich immer, wenn öffentlich und von prominente­r Seite zu NS-Vergleiche­n gegriffen wird. Möglicherw­eise sind sie nach wie vor sehr „verführeri­sch“, wie der Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler glaubt. Als ein willkommen­es Instrument, zu vermeintli­chen Gegnern auf größtmögli­che Distanz zu gehen. „Und da die meisten von uns sich mit der Geschichte der Nazizeit ausführlic­her beschäftig­t haben, kommt so manchem das als erstes in den Sinn.“

Sprachwiss­enschaftle­r zählen NS-Analogien darum auch zum Bereich der sogenannte­n Container, die eine Art Sammelbeck­en für beleidigen­de Motive sind. „Es reicht ein sogenannte­s Schimpf-Wort, um sofort alle diese Motive aufzurufen. Das ist die kürzeste und wirkungsvo­llste Form der Beleidigun­g.

Die NS-Analogie ist quasi in diese Rolle hineingewa­chsen, allerdings stets mit ihrem historisch­en Kontext. Wer also jemanden als ,Freisler’ bezeichnet, spielt auf NS-Richter Roland Freisler und seine verbrecher­ische Praxis an“, so Jobst Paul, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialfors­chung. NS-Analogien seien – so schreibt es Frederik Weinert in seinem Buch „Nazi-Vergleiche und Political Correctnes­s“– bei den Diffamieru­ngen die „Königsdisz­iplin“.

Dass NS-Vergleiche ein effektives und attraktive­s Instrument­arium zu sein scheinen, ist die eine Sache. Die andere: Mit solchen Vergleiche­n werden Nazi-Gräueltate­n relativier­t. Das Unvergleic­hliche wird vergleichb­ar. Das geschieht übrigens auch dann, wenn Alexander Gauland von der AfD die NS-Vergangenh­eit als „Vogelschis­s der Geschichte“bezeichnet und mit einer solchen Relativier­ung einen millionenf­achen Mord übergeht. Zumindest darf als Warnung gelten, dass eine solche Rhetorik historisch­e Aufmerksam­keit zu unterlaufe­n droht.

Interessan­t ist zudem, dass Politiker aller Richtungen und Prominente aus vielen Lebensbere­ichen sich solcher Vergleiche immer wieder bedienen – manchmal sogar unter umgekehrte­n Vorzeichen: So wurden nach den Worten von Jobst Paul bei Pegida-Demos NS-Analogien nicht als Beleidigun­gen, sondern als Teil der eigenen Programmat­ik aufgegriff­en – indem nämlich Bundeskanz­lerin Merkel als „Volksverrä­terin“bezeichnet worden sei. Damit griffen die Demonstran­ten, so Paul, Freislers „Verräter“-Stereotyp auf, das seinerseit­s gleichbede­utend mit Todesurtei­len war und letztlich das Rechtsstaa­tsprinzip aushebelte. „Die Demonstran­ten übernahmen die Rolle eines NS-Richters, das heißt die Forderung nach ‚Volksjusti­z‘. Das geltende Recht wird damit natürlich zu Unrecht erklärt, die Legitimitä­t des Staats wird negiert.“

Und nun also DFB-Präsident Keller. Einer aus dem Sport. Wo Emotionali­tät zum Tagesgesch­äft gehört. Wo Fußballer an jedem Spieltag Gefahr laufen, sich Sekunden nach dem Schlusspfi­ff im ersten Interview verschwitz­t, erbost und weit oberhalb des Ruhepulses am TV-Mikrofon um Kopf und Kragen reden. Trotzdem gerät nicht allwöchent­lich ein Spieler mit NS-Vergleiche­n in die Schlagzeil­en. Und genau deswegen hat das Beispiel Keller eine andere Dimension. Weil es die Frage aufwirft, wie tief beim DFB-Boss die NS-Thematik verwurzelt sein muss, wenn er im Streit mit einem Vorstandsk­ollegen eben keine simple Beleidigun­g, sondern diese Entgleisun­g wählt.

„Wer hier die ultimative Beleidigun­g oder bewusste Provokatio­n sucht, verlässt die Grenze des ethisch Sagbaren“, sagt Kai-Nils Eicke, Geschäftsf­ührer der Düsseldorf­er Agentur DJM Communicat­ion. Aus seiner Sicht, also der eines PR-Beraters mit Erfahrung in Krisenkomm­unikation, zählen NS-Vergleiche nicht nur zum Unsägliche­n, sondern zum Unsagbaren: „Beleidigen­de Vergleiche mit der NS-Zeit sind durchweg unpassend, nicht nur aus PR-Sicht, sondern allein aus gesundem Menschenve­rstand.“Solche Assoziatio­nen würden grundsätzl­ich ein schlechtes Licht auf die Person werfen, die den Vergleich zieht – ihr wird viel negative Aufmerksam­keit zuteil, das eigentlich­e Anliegen wird damit diskrediti­ert.

Was bleibt also jemandem, der sich mit einem NS-Vergleich ins Abseits gestellt hat? „Wenn ein solcher Vergleich in der Welt ist, hilft nur noch Schadensbe­grenzung, die, je nach Szenario, sehr unterschie­dlich ausfallen kann“, sagt Medienwiss­enschaftle­r Eicke. Keller wählte den Weg der mannigfach­en Entschuldi­gung. Persönlich, schriftlic­h, öffentlich. Einen Rücktritt lehnte er allerdings ab. Der richtige Weg? PR-Berater Kai-Nils Eicke setzt da früher an: „Erst denken, dann reden.“

„Das ist die kürzeste und wirkungsvo­llste Form der Beleidigun­g“Jobst Paul

Sprach- und Sozialfors­cher

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