Saudi-Arabien muss beim Iran umdenken
Die Aussicht auf einen Rückzug der USA aus der Region macht Thronfolger Mohammed kompromissbereit.
ISTANBUL Seit der islamischen Revolution in Teheran vor mehr als 40 Jahren sind der Iran und Saudi-Arabien Todfeinde. Sie ringen um die Vorherrschaft in der islamischen Welt und liefern sich Stellvertreterkriege in der Region. Gemessen an dem iranischen Revolutionsführer Ali Chamenei sei selbst Adolf Hitler ein Waisenknabe gewesen, sagte der saudische Thronfolger Mohammed bin Salman einmal. Doch jetzt entdeckt Salman plötzlich Sympathien für den feindlichen Nachbarn am Golf. Er wolle gute Beziehungen zu Teheran und wünsche sich einen wohlhabenden Iran, sagte er im saudischen Fernsehen: Die Aussicht auf einen Rückzug der Schutzmacht USA aus dem Nahen Osten zwingt den saudischen Kronprinzen zum Kurswechsel.
Teheran begrüßte Salmans Äußerungen. Beide Länder könnten ein neues Kapitel der Zusammenarbeit aufschlagen, sagte der iranische Außenamtssprecher Saaed Chatibsadeh. Über Nacht werden sich die Differenzen zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran aber nicht überwinden lassen – zu tief ist ihre Feindschaft.
Der Iran habe es auf die heiligen Städte Mekka und Medina in Saudi-Arabien abgesehen, sagte Mohammed bin Salman, genannt „MBS“, im Jahr 2017. Sein Land werde es aber nicht auf einen iranischen Angriff ankommen lassen und den
Krieg in den Iran tragen. Mit Unterstützung des US-Präsidenten Donald Trump schmiedete „MBS“ein Nahost-Bündnis gegen Teheran. Die Vereinigten Arabischen Emirate als Hauptverbündete Saudi-Arabiens sowie Bahrain und Sudan schlossen Frieden mit Israel, während Saudi-Arabien als eine Art stiller Teilhaber agierte. Die Allianz brachte damit die wichtigsten Gegner der Iraner in der Region zusammen.
Doch jetzt ist dem saudischen Prinzen die Streitlust vergangen. Der Krieg gegen die iranisch unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen, den „MBS“im Jahr 2015 anzettelte, ist für die Saudis nicht zu gewinnen. Die Huthis marschieren auf die strategisch wichtige Stadt Marib zu und greifen saudische Städte und Ölanlagen mit Raketen und Drohnen an. Die Emirate haben die von Saudi-Arabien geführte Kriegsallianz im Jemen verlassen, und die neue US-Regierung will den Feldzug nicht mehr militärisch unterstützen. Gegen den Willen der Iraner wird der Krieg nicht enden – bessere Beziehungen wären für Riad also wichtig.
Vertreter beider Regierungen, die seit fünf Jahren keine diplomatischen Beziehungen miteinander mehr haben, kamen nach Vermittlung durch die irakische Führung Anfang des Monats in Bagdad zusammen und sprachen dabei über den Krieg im Jemen. Der „New York Times“zufolge sollen die Gespräche in den kommenden Wochen fortgesetzt werden. Vor einigen Tagen traf der iranische Außenminister Dschawad Sarif einen Abgesandten der Huthis im Oman und machte sich nach Teheraner Angaben für einen Waffenstillstand stark.
Die Wende in der US-Nahost-Politik seit dem Amtsantritt von Joe Biden zwingt Saudi-Arabien ebenfalls zu Zugeständnissen. Biden verhandelt mit dem Iran über eine Wiederbelebung des internationalen Atomabkommens von 2015 – gegen den Protest von Saudi-Arabien und den Emiraten, die den Vertrag ablehnen. In seinem Fernsehinterview spielte „MBS“die Differenzen mit den USA herunter: Saudi-Arabien und Amerika seien sich bei 90 Prozent der Themen einig, sagte er. Eine ranghohe US-Delegation unter Leitung von Bidens Nahost-Koordinator Brett McGurk wird in den kommenden Tagen in Riad erwartet.
Auf mittlere Sicht wollen die USA weitere Truppen aus dem Nahen Osten abziehen und sich strategisch verstärkt auf die Rivalität mit China im Pazifik-Raum konzentrieren. Saudi-Arabien wird sich also nicht ewig auf den militärischen Schutz der Amerikaner gegen den Iran verlassen können. Bisher hätten Länder wie Saudi-Arabien es den USA überlassen, die Probleme der Region zu lösen, und die Möglichkeiten der Diplomatie ignoriert, sagt der Nahost-Experte Trita Parsi von der US-Denkfabrik Quincy Institute. Unter dem US-Schutzschirm hätten die Saudis auf Konfrontation mit dem Iran gesetzt, schrieb Parsi auf Twitter. Nun könne Riad nicht mehr sicher sein, dass dieser Schirm aufgespannt bleibe: Deshalb sei „plötzlich die regionale Diplomatie zur Lieblingsoption“geworden.