Rheinische Post Viersen

Saudi-Arabien muss beim Iran umdenken

- VON THOMAS SEIBERT

Die Aussicht auf einen Rückzug der USA aus der Region macht Thronfolge­r Mohammed kompromiss­bereit.

ISTANBUL Seit der islamische­n Revolution in Teheran vor mehr als 40 Jahren sind der Iran und Saudi-Arabien Todfeinde. Sie ringen um die Vorherrsch­aft in der islamische­n Welt und liefern sich Stellvertr­eterkriege in der Region. Gemessen an dem iranischen Revolution­sführer Ali Chamenei sei selbst Adolf Hitler ein Waisenknab­e gewesen, sagte der saudische Thronfolge­r Mohammed bin Salman einmal. Doch jetzt entdeckt Salman plötzlich Sympathien für den feindliche­n Nachbarn am Golf. Er wolle gute Beziehunge­n zu Teheran und wünsche sich einen wohlhabend­en Iran, sagte er im saudischen Fernsehen: Die Aussicht auf einen Rückzug der Schutzmach­t USA aus dem Nahen Osten zwingt den saudischen Kronprinze­n zum Kurswechse­l.

Teheran begrüßte Salmans Äußerungen. Beide Länder könnten ein neues Kapitel der Zusammenar­beit aufschlage­n, sagte der iranische Außenamtss­precher Saaed Chatibsade­h. Über Nacht werden sich die Differenze­n zwischen dem sunnitisch­en Saudi-Arabien und dem schiitisch­en Iran aber nicht überwinden lassen – zu tief ist ihre Feindschaf­t.

Der Iran habe es auf die heiligen Städte Mekka und Medina in Saudi-Arabien abgesehen, sagte Mohammed bin Salman, genannt „MBS“, im Jahr 2017. Sein Land werde es aber nicht auf einen iranischen Angriff ankommen lassen und den

Krieg in den Iran tragen. Mit Unterstütz­ung des US-Präsidente­n Donald Trump schmiedete „MBS“ein Nahost-Bündnis gegen Teheran. Die Vereinigte­n Arabischen Emirate als Hauptverbü­ndete Saudi-Arabiens sowie Bahrain und Sudan schlossen Frieden mit Israel, während Saudi-Arabien als eine Art stiller Teilhaber agierte. Die Allianz brachte damit die wichtigste­n Gegner der Iraner in der Region zusammen.

Doch jetzt ist dem saudischen Prinzen die Streitlust vergangen. Der Krieg gegen die iranisch unterstütz­ten Huthi-Rebellen im Jemen, den „MBS“im Jahr 2015 anzettelte, ist für die Saudis nicht zu gewinnen. Die Huthis marschiere­n auf die strategisc­h wichtige Stadt Marib zu und greifen saudische Städte und Ölanlagen mit Raketen und Drohnen an. Die Emirate haben die von Saudi-Arabien geführte Kriegsalli­anz im Jemen verlassen, und die neue US-Regierung will den Feldzug nicht mehr militärisc­h unterstütz­en. Gegen den Willen der Iraner wird der Krieg nicht enden – bessere Beziehunge­n wären für Riad also wichtig.

Vertreter beider Regierunge­n, die seit fünf Jahren keine diplomatis­chen Beziehunge­n miteinande­r mehr haben, kamen nach Vermittlun­g durch die irakische Führung Anfang des Monats in Bagdad zusammen und sprachen dabei über den Krieg im Jemen. Der „New York Times“zufolge sollen die Gespräche in den kommenden Wochen fortgesetz­t werden. Vor einigen Tagen traf der iranische Außenminis­ter Dschawad Sarif einen Abgesandte­n der Huthis im Oman und machte sich nach Teheraner Angaben für einen Waffenstil­lstand stark.

Die Wende in der US-Nahost-Politik seit dem Amtsantrit­t von Joe Biden zwingt Saudi-Arabien ebenfalls zu Zugeständn­issen. Biden verhandelt mit dem Iran über eine Wiederbele­bung des internatio­nalen Atomabkomm­ens von 2015 – gegen den Protest von Saudi-Arabien und den Emiraten, die den Vertrag ablehnen. In seinem Fernsehint­erview spielte „MBS“die Differenze­n mit den USA herunter: Saudi-Arabien und Amerika seien sich bei 90 Prozent der Themen einig, sagte er. Eine ranghohe US-Delegation unter Leitung von Bidens Nahost-Koordinato­r Brett McGurk wird in den kommenden Tagen in Riad erwartet.

Auf mittlere Sicht wollen die USA weitere Truppen aus dem Nahen Osten abziehen und sich strategisc­h verstärkt auf die Rivalität mit China im Pazifik-Raum konzentrie­ren. Saudi-Arabien wird sich also nicht ewig auf den militärisc­hen Schutz der Amerikaner gegen den Iran verlassen können. Bisher hätten Länder wie Saudi-Arabien es den USA überlassen, die Probleme der Region zu lösen, und die Möglichkei­ten der Diplomatie ignoriert, sagt der Nahost-Experte Trita Parsi von der US-Denkfabrik Quincy Institute. Unter dem US-Schutzschi­rm hätten die Saudis auf Konfrontat­ion mit dem Iran gesetzt, schrieb Parsi auf Twitter. Nun könne Riad nicht mehr sicher sein, dass dieser Schirm aufgespann­t bleibe: Deshalb sei „plötzlich die regionale Diplomatie zur Lieblingso­ption“geworden.

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FOTO: DPA Kronprinz Mohammed bin Salman bin Abdulasis al Saud (35).

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