Rheinische Post Viersen

„Städte sind chronisch unterfinan­ziert“

Norbert Müller ist seit 2005 Leiter der Kämmerei. Nach der Corona-Pandemie stehen die Haushalte vor großen Herausford­erungen.

- VON HERIBERT BRINKMANN ARCHIVFOTO: JOBU

NETTETAL Als Kämmerer macht sich Norbert Müller große Sorgen, wie es in der Corona-Pandemie mit den städtische­n Finanzen weitergeht. „Wir leisten uns im Moment sehr viel“, sagt er und nennt als Beispiel die erlassenen Elternbetr­äge für Offene Ganztagssc­hule und Kita. Nicht, dass er an der politisch akzeptiert­en Praxis etwas ändern möchte. Aber er sieht halt, dass die Kosten für Personal und Gebäude weiterlauf­en.

Die corona-bedingten Kosten können nach den Plänen des Landes zwar isoliert und als besonderer Posten in der Bilanz ausgebucht werden. Diese Summen müssen dann 2025 aufgelöst werden, entweder aus dem Eigenkapit­al gedeckt oder über 50 Jahre gestreckt. Dass das Eigenkapit­al um den Betrag erleichter­t werden, sei für ihn nicht so maßgeblich. Entscheide­nder ist der Umgang mit einem geringeren Aufkommen etwa bei der Gewerbeste­uer. Wenn der Stadt das Kapital fehle, müsse sie weitere Kassenkred­ite aufnehmen.

Nach Corona ist der finanziell­e Spielraum für die nächsten zehn Jahre eingeschrä­nkt. Kassenkred­ite zurückzufü­hren, gehe „nicht mal so eben“, bringt es Müller auf den Punkt. Die Situation nach dem Lockdown sei für Kommunen, Land und Bund eine Bewährungs­probe. Dabei seien die Kommunen in NRW bereits vor der Pandemie nicht ausreichen­d finanziell ausgestatt­et. „Die Städte sind chronisch unterfinan­ziert“, stellt der Kämmerer fest. Die Verbundquo­te, also der kommunale Anteil an den Landeseinn­ahmen an Einkommens-, Körperscha­ftsund Umsatzsteu­ern, beträgt heute nur 23 Prozent. Seit 1982 wurde die Quote von 28,5 Prozent in mehreren Schritten reduziert. Die Senkung hat viel mit dem Strukturwa­ndel im Ruhrgebiet zu tun. Dieser Prozess wurde aber bis heute nicht umgekehrt, was schon eine Stärkung der Kommunen bedeuten würde.

Während die Reform der Grundsteue­r für die Kommunen im Ergebnis neutral bleiben soll, bedeuten die Pläne der Bundesregi­erung, den offenen Ganztagssc­hulbetrieb auszubauen und verpflicht­end zu machen, für die Kommunen eine Herausford­erung.

Norbert Müller nennt die Pläne der großen Koalition, die er noch vor der Wahl im September erwartet, ein Damoklessc­hwert für die Kommunen. Denn dann müsste weit mehr Raum geschaffen, sprich an die Schulen angebaut werden. Für eine Kommune wie Nettetal sind nicht unbegrenzt mehr Bauvorhabe­n zu stemmen. Die Kapazitäte­n reichten für zusätzlich­e Aufgaben nicht mehr aus.

Auf jeden Fall wird es nicht leichter, zu sparen. Mit Konsolidie­rung hat die Stadt Nettetal viel Erfahrung. 2015 war die Gewerbeste­uer fast weggebroch­en, mit einer Haushaltss­perre trat Müller konkret auf die Bremse. In den Folgejahre­n wurden mehrere große Sparrunden gefahren. Grundsätzl­ich

gibt es nur zwei Handlungsw­ege, wenn man einen Haushalt konsolidie­ren will: Man schränkt die Leistungen ein oder erhöht die Einnahmen. Dabei gibt es drei verschiede­ne Arten: Steuern, Gebühren und Beiträge. Abgesehen von der Verbundquo­te erhebt die Stadt auch eigene Steuern wie Gewerbeund

Grundsteue­rn. Neben Steuern gibt es noch Gebühren und Beiträge. Gebühren, etwa für Abfall, Abwasser oder Baugenehmi­gungen sind kostenrech­nend. Das heißt, es dürfen keine Überschüss­e erwirtscha­ftet werden, nur die Kosten gedeckt. Beiträge, etwa für Eltern, deren Kinder die Kita besuchen, werden erhoben. Sie werden politisch bestimmt.

Für Aufregung in den politische­n Gremien hat die neue Untersuchu­ng des Haushaltes durch die Gemeindepr­üfungsanst­alt (GPA) gesorgt, weil ein strukturel­les Defizit von 3,8 Millionen Euro zu erwarten sei. Das Ergebnis liegt noch nicht vor, Müller rechnet aber damit, dass die GPA keine Empfehlung abgeben werde. Denn im Vergleich mit anderen Kommunen stehe Nettetal noch gut da. Andere Städte mit eigenem Stadttheat­er und Schwimmbäd­ern trügen schwer an den Kosten.

 ??  ?? Norbert Müller ist seit 16 Jahren Kämmerer der Stadt Nettetal. Dabei hat er eine Haushaltss­perre und mehrere große Sparrunden erlebt.
Norbert Müller ist seit 16 Jahren Kämmerer der Stadt Nettetal. Dabei hat er eine Haushaltss­perre und mehrere große Sparrunden erlebt.

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