Erinnerungen einer Reporterlegende
Literatur Joseph Mitchell war der legendärste Reporter der Welt. Er schrieb für den „New Yorker“, und ebenso berühmt wie für seine Texte war er fürs Verstummen. Seit den 1960er-Jahren lähmte ihn eine Schreibblockade, er konnte nichts mehr zu Papier bringen. Trotzdem betrat er jeden Tag sein Büro, setzte sich vor die Schreibmaschine und schwieg. Der Diaphanes-Verlag hat in den vergangenen Jahren die großartigen Texte des 1996 gestorbenen Mitchell herausgebracht. In „Street Life“sind erstmals Erinnerungen versammelt, die das Gerücht bestätigen, dass er an einer Autobiografie arbeitete. Es ist großartig zu lesen, wie die Reporterlegende ins Schwärmen kommt und sich selbst mit einem Satz ins Wort fällt, den ihm jeder Redakteur streichen würde: „Jetzt muss ich aber zur Sache kommen.“Philipp Holstein
Klassik Wofür lieben wir Robert Schumann? Seltsame Frage, aber die allermeisten Musikfreunde verbinden die großen Komponisten mit ausgewählten Werken, mit prominenten Favoriten und heimlichen Lieblingen. Schumann steht in der Gunst der Fans ganz vorn wegen seiner herrlichen Klavierwerke, seiner schwungvoll-tiefsinnigen Sinfonien, seiner multiperspektivischen Lieder.
Als Komponist von Kammermusik wird Schumann nicht so häufig wahrgenommen, dabei gibt es da kostbare Werke; Schumann liebte die Klarinette, das Horn und die Geige. Immer mal wieder werden seine Streichquartette gespielt, die 1842 in einer einzigen Inspirationsphase entstanden. Nun gibt es die Gelegenheit, auch die Klavierkammermusik in einer tollen Gesamtaufnahme kennenzulernen. Das Trio Wanderer (mit Vincent Coq, Klavier; Jean-Marc Phillips-Varjabédian, Violine; Raphaël Pidoux, Violoncello) hat die drei Klaviertrios, die Fantasiestücke für diese Besetzung, das Klavierquartett und das Klavierquintett (auf drei CDs beim französischen Label Harmonia Mundi) eingespielt; bei den beiden letzten Werken wirken noch die Kollegen Christophe Gaugué,
Joachim Mischke:
Kammermusik von Robert Schumann
Viola, und Catherine Montier, Violine, mit.
Schumann erkunden wir hier von einer anderen Seite: als Erfinder geistreicher, leidenschaftlicher Gespräche. Vor allem die beiden ersten Trios übertreffen einander in Originalität und dem typisch schumannesken Ton aus Ritterlichkeit und Enthusiasmus; das 1851 in Düsseldorf entstandene dritte Trio fällt dagegen ab. Für das Quartett und das Quintett wiederum muss niemand mehr werben; hier steht Schumann im Jahr 1842 auf dem Gipfel seiner Kunst, der auch in kontrapunktischen Szenen Bedeutendes und Kreatives leistet.
Die französischen Musiker legen ihren Schumann vorbildlich an; überall herrscht beispielhafte Klarheit, Schumanns lyrische Poesie versuppt nie. Wer diese Musik in einer exemplarischen Gesamtaufnahme kennenlernen möchte, ist hier richtig. Wolfram Goertz