Flussregenpfeifer verhindern Baustart
Die zweite Bauphase der Niers-Renaturierung beginnt später als geplant. Was seltene Vögel damit zu tun haben.
VIERSEN In der kommenden Woche sollten die Lastwagen im Auftrag des Niersverbands im Fritzbruch in Viersen-Süchteln anrollen – doch daraus wird nichts. „Wir haben ein ganz seltenes Brutvorkommen mitten auf der Baustraße“, sagt Jörg Langner, Fachbereichsleiter Gewässer beim Niersverband. Das Gelege der Flussregenpfeifer sei zufällig entdeckt worden, die drei bis vier Eier sähen ähnlich aus wie die Steine auf der Straße. „Der Flussregenpfeifer legt seine Eier in eine Umgebung, die aus Sand, Kies und Stein besteht“, erläutert Langner – das trifft auf den Belag der Baustraße zu. „Jetzt muss alles getan werden, um das Gelege zu schützen“sagt er. Bedeutet: Die zweite Bauphase der Renaturierung der Niers im Naturschutzgebiet Fritzbruch beginnt erst, wenn die Flussregenpfeifer die Straße verlassen haben.
Der Niersverband hat 2019 begonnen, im Fritzbruch ein 750 Meter langes, künstlich angelegtes und gerades Teilstück des Flusses zu renaturieren. Bis September 2020 lief dafür die erste Bauphase. Insgesamt entstehen rund 1,6 Kilometer neue kurvige Strecke auf rund 16 Hektar Fläche. Diese Auenlandschaft dient künftig als zusätzlicher Regenrückhalteraum und zum Hochwasserschutz, außerdem als Brutfläche für Wat- und Wiesenvögel. Im nächsten Schritt wird der Regenrückhalteraum ausgestaltet.
Ganz in der Nähe betreibt der Niersverband ein Pumpwerk, von dem aus Abwasser in die Kläranlage nach Mönchengladbach befördert wird. Bei Starkregen staut sich dort Schmutz- und Regenwasser, das unter anderem in einem 10.000 Kubikmeter fassenden Rückhaltebecken gesammelt, gereinigt und in die Niers weitergeleitet wird. Das sogenannte Mischwasser gelangt schwallartig in den Fluss, durch die Umwälzung werden Kleintiere wie Libellenlarven und Bachflohkrebse schnell Richtung Niederlande gespült. Im neuen kurvigen Teilstück im geplanten Rückhalteraum soll das Wasser deutlich langsamer fließen. Und: Eine Kontrolltechnik mit Wehrkörpern aus Beton und Schläuchen soll dafür sorgen, dass Wasser nicht mehr schwallartig in die Niers eingeleitet wird. Zudem werde es auch besser gefiltert, bevor es in die Niers gelangt, sagt Langner. Er geht davon aus, dass je nach Witterung Ende 2021 der Rückhalteraum fertig ist. 2022 wird voraussichtlich die Kontrolltechnik installiert.
Anfangs hatte der Verband mit Gesamtkosten von 7,5 Millionen Euro gerechnet, mittlerweile sind es eher neun Millionen Euro. Das sei die Summe, die sich der Verband von seinen Gremien habe genehmigen lassen – „ich glaube aber, dass wir das nicht ausschöpfen müssen“, sagt Langner. Die Finanzierung des Projekts sei Teil des Masterplans Niersgebiet. Die Kosten teilen sich die Mitglieder des Niersverbandes, also zum Beispiel die angehörigen Kommunen. Der Gebührenzahler merke davon letztendlich nichts, sagt Langner. Dass die Renaturierung
teurer wird als geplant, liegt, wie der Abteilungsleiter erläutert, unter anderem an den allgemein in Folge der Corona-Pandemie gestiegenen Baukosten. Ein weiterer Grund: Die Belastung der Böden, etwa durch Schwermetalle aus der Textilindustrie, sei höher als vorerkundet. Die Entsorgung sei also teurer als gedacht.
Langner hofft, dass die zweite Bauphase etwa zwischen dem 17. und 21. Mai beginnen kann – dann sollten die Flussregenpfeifer die Baustraße geräumt haben. Um weitere Bauverzögerungen zu vermeiden, hat der Niersverband entlang der Baustraße Pfähle mit Flatterband
aufgestellt. Das solle Wiesenbrüter davon abhalten, dort zu brüten, erklärt Langner. Diese Vergrämungsmaßnahme sei erlaubt, „weil es in direkter Nachbarschaft mögliche Ausweichquartiere gibt“.
Und auch, wenn die Auenlandschaft derzeit noch eine Baustelle ist, die für Beobachter vom Aussichtspunkt außerhalb des Naturschutzgebietes nicht allzu einladend wirkt: Viele Vögel hätten sich das Gebiet bereits als Lebensraum erschlossen, berichtet Langner. Gesichtet worden seien zum Beispiel Schwäne und Teichhühner, Eisvögel, Waldwasserläufer, Rohrammern und Uferschwalben.