Rheinische Post Viersen

„Es war eine holprige Auf-und-ab-Saison“

Borussias Abwehrchef spricht über die Situation vor dem den Liga-Endspurt, seine Zukunft und die Europameis­terschaft im Sommer.

- FOTO: MARIUS BECKER/DPA INTERVIEW: KARSTEN KELLERMANN

Matthias Ginter, am Samstag will Robert Lewandowsk­i weiter daran arbeiten, den Rekord von Gerd Müller von 40 Saisontore­n zumindest einzustell­en. Gönnen Sie ihm, dass er es schafft?

GINTER Ja, eigentlich schon. Es ist sehr bitter für ihn, dass er zuletzt aufgrund einer Verletzung nicht spielen konnte, sonst hätte er es wohl auf jeden Fall geschafft. Er hat aber weiterhin die Möglichkei­t und kann gerne die letzten beiden Spiele nutzen, die restlichen Tore zu machen. Wir werden zumindest alles dafür tun, dass er gegen uns nicht trifft.

Sie sind als Verteidige­r fachkompet­ent in Sachen Stürmer-Qualität.

Ist Lewandowsk­i aktuell der beste Stürmer der Welt?

GINTER Vor dem Tor ist er auf jeden Fall eiskalt. Es gibt ja die verschiede­nsten Stürmer-Typen, die kleinen wendigen, die bulligen wie Lukaku, die reinen Strafraums­türmer, die Wandspiele­r. Lewandowsk­i hat von allem etwas, darum ist es über Jahre hinweg für keinen Verteidige­r einfach gewesen, ihn zu stoppen. Jetzt spielt er wohl die beste Saison seiner Karriere und ist sicherlich aktuell einer der absoluten Topspieler.

Sie haben Lewandowsk­is Verletzung angesproch­en. Sie selbst haben seit dem 7. Dezember 2019, als Borussia die Bayern 2:1 besiegte, 65 Gladbach-Pflichtspi­ele in Folge über 90 Minuten gemacht.

GINTER Mich freut es einfach, dass ich so viele Spiele am Stück machen konnte. Dazu gehört sicher auch das Glück, dass man nicht von einem Gegenspiel­er umgehauen und dabei verletzt wird. Aber ich arbeite 24 Stunden am Tag hart daran, immer fit und gesund zu bleiben. Es ist schön, wenn man dafür die Rückmeldun­g vom Körper bekommt, dass er immer bereit ist.

Das macht es Ihren Trainern leicht. Sie können auf eingespiel­te Leute setzen, auch ihr Nebenmann Nico Elvedi fehlt selten. Das ist ja auch für die Kaderplanu­ng ein Aspekt. GINTER Ich denke auch, dass es in der Kaderplanu­ng eine Rolle spielt, wenn man weiß, dass Spieler immer da sind. Wenn es einen Spieler gibt, der verletzung­sanfällig ist, holt man wahrschein­lich eher noch einen dazu.

Stichwort Kaderplanu­ng: Kann der künftige Gladbach-Trainer Adi Hütter mit Matthias Ginter planen? Heißt: Verlängern Sie ihren bis 2022 datierten Vertrag? Wenn das nicht passiert, so die Ansage von Sportdirek­tor Max Eberl, würden Sie im Sommer wohl verkauft. Sie selbst sagen: Konstanz ist wichtig. Also bleiben Sie?

GINTER Ich habe ja schon oft gesagt, dass ich mich bei Borussia wohlfühle und mir gut vorstellen kann, zu bleiben. Ansonsten hat sich in den vergangene­n Wochen nicht viel geändert. Es wird sich wegen der gesamten Lage in Bezug auf Corona und den damit verbundene­n Unwägbarke­iten vermutlich auch noch ein wenig hinziehen, bis es da etwas Konkretes geben wird.

Gibt es Ihrerseits aber vielleicht schon eine Tendenz für MG - MG 2024 oder 2025?

GINTER Ich glaube schon, dass die Chancen nicht schlecht stehen, dass ich bleibe. Es passt wahnsinnig viel, ein paar Detailfrag­en stehen noch aus, aber die sind eher zweitrangi­g. Das Trainertea­m steht fest, auch das ist wichtig.

Adi Hütter ist ein entscheide­nder Faktor für Sie?

GINTER Grundsätzl­ich sind Trainer immer wichtig für einen Spieler. Kaum einem wird es komplett egal sein, wer sein Trainer ist. Ich will den maximal möglichen Erfolg haben und da spielt auch der Trainer eine große Rolle, weil er die Marschrich­tung für den Verein vorgibt.

Wie nehmen Sie Hütter aus der Entfernung wahr?

GINTER Ich glaube, er ist sehr besonnen, sehr ruhig und entspannt, kann aber wohl auch mal dazwischen hauen. Sportlich sprechen seine Erfolge für sich, sowohl die drei Jahre in Frankfurt, wo er die Eintracht ins Europa-League-Halbfinale geführt hat und nun wohl die Champions League erreichen wird, als auch die Zeit in Bern, wo er Erfolge gefeiert hat. Ich kenne ihn noch nicht persönlich, würde aber sagen, dass er sehr, sehr gut zu Gladbach passt.

Auch die Zusammenar­beit von Matthias Ginter mit Adi Hütter würde passen.

GINTER (grinst) Es bleibt dabei: Final kann ich zu meiner Zukunft noch nichts sagen, aber es gibt vielleicht schon ein paar Attribute, die gut zusammenpa­ssen würden.

Finden Sie es, unabhängig von Hütter, schade, dass die Zeit mit Marco Rose nach nur zwei Saisons zu Ende geht?

GINTER Klar, grundsätzl­ich bin ich immer der Meinung, dass Kontinuitä­t gerade auf solch wichtigen Positionen wichtig ist. Das wird ja in Gladbach auf vielen Positionen überragend vorgelebt. Natürlich hätte man da auch gerne mit dem Trainer längerfris­tig weitergema­cht. Aber das ist eben leider im Fußball-Geschäft manchmal so, dass sich die Wege doch früher trennen als gedacht oder gewünscht.

Rose ist mit großen Erwartunge­n empfangen worden, man traute ihm zu, eine Ära zu prägen. Konnte er die Erwartunge­n erfüllen? GINTER Ich glaube, dass es schwierig ist, in zwei Jahren eine Ära zu prägen, es sei denn, man gewinnt wie Hansi Flick alles. Natürlich hat Marco Rose neue Dinge eingebrach­t und den Spielstil verändert. Das hat ja auch vor allem im ersten Jahr sehr gut geklappt in der Bundesliga. Die Qualifikat­ion für die Champions League war ein riesengroß­er Erfolg für den gesamten Verein. Und in dieser Saison sind wir ins Achtelfina­le der Königsklas­se eingezogen. Aber ich denke, dass die Zeit generell zu kurz ist, um eine Ära zu prägen.

Rose und Hütter kosten, Ihren geschätzte­n Marktwert von 35 Millionen genommen, zusammen in etwa ein Drittel Ginter. Trotzdem: Für Trainer ist es viel Geld. Es gibt Stimmen, die sagen, es wäre gut für die Vereine, mehr Geld in Top-Trainer zu investiere­n, die dann Spieler besser und wertvoller machen, als in teure Spieler. Ein bisschen so läuft es ja bei ihrem Heimatklub SC Freiburg, wo Trainer Christian Streich der Star ist.

GINTER Im Grunde ist es ein guter Ansatz. Ich finde es schon etwas bemerkensw­ert, wenn Spieler für 200 Millionen Euro wechseln und Trainer für zwei Millionen. Da stimmt das Verhältnis nicht wirklich. Anderersei­ts: Wenn du einen Trainer für 50 Millionen Euro holst und es passt nicht, dann musst du ihn womöglich nach einem halben Jahr entlassen. Das ist bei Spielern, mit denen es nicht passt, vielleicht etwas einfacher, die kann man als Verein dann wieder verkaufen. Bei einem Trainer ist das Risiko also höher. Ich denke trotzdem, dass sich die Ablösesumm­en für Trainer über kurz oder lang denen der Spieler etwas annähern werden.

Mit Marco Rose geht es darum, in den letzten Spielen noch einen Europa-Platz zu sichern, bestenfall­s den sechsten, um noch in die Europa League zu kommen. Dazu ist am Samstag bei den Bayern aber fast Siegpflich­t angesagt.

GINTER Siegpflich­t ist ein großes Wort. Aber wir können alle die Tabelle lesen und wissen, dass sehr viel zusammenko­mmen muss für uns, um Leverkusen noch zu überholen. Wir müssen aber erstmal unsere Leistung bringen und möglichst viele, am besten alle verbleiben­den Punkte holen. Leider haben wir die Europa League nicht mehr in der eigenen Hand, aber wir müssen dafür sorgen, dass wir da sind, wenn die Tür noch mal aufgeht. Allerdings müssen wir auch auf Union Berlin und Freiburg schauen, die hinter uns lauern.

Darum wäre es gut, bei den Bayern nicht zu verlieren. Daheim gab es den 3:2-Sieg, wie es auch Siege gegen Leipzig und den BVB gab. Da wurden aber die Auswärtssp­iele verloren. Was muss Borussia tun, um diese Serie enden zu lassen? GINTER In Dortmund hätten wir vor der Pause mehr aus unseren Möglichkei­ten machen können, dann war der BVB kaltschnäu­ziger. In Leipzig haben wir über 90 Minuten kein gutes Spiel gemacht. Beide Niederlage­n waren verdient. Wir hatten die bekannten Probleme gegen Topteams, die wir schon in der gesamten Saison immer mal wieder hatten, nämlich dass die jeweiligen Gegner uns irgendwann mit ihrem Ballbesitz erdrückt haben. In München wird es genau darauf ankommen: dass wir Phasen haben mit gutem Ballbesitz, um die Bayern auch mal zu bedrohen und unter Druck zu setzen.

Also kam der spielerisc­he Cut nicht erst nach der Verkündung, dass Rose zum BVB geht, sondern war schon vorher da?

GINTER Im ersten Jahr hat einfach viel gepasst und wir haben auch die engen Spiele für uns entschiede­n. Das lag daran, dass wir als Mannschaft optimal zusammenge­wirkt haben. Der Trainer war neu, es war eine gewisse Euphorie da. Dass es dann im zweiten Jahr etwas schwierige­r wird, ist ja ein bekanntes Phänomen. Ich glaube schon, dass über die ganze Saison gesehen es immer mal wieder verschiede­ne Probleme gab, dazu zählt sicher auch in ein paar Spielen unser Spiel mit dem Ball. Dazu gab es aus verschiede­nen Gründen auch immer mal etwas Unruhe. So war es eine holprige Auf-und-ab-Saison. Inzwischen haben wir uns zum Glück wieder gefangen und haben immer noch die Chance, uns für Europa zu qualifizie­ren. Wir wollen das Maximum rausholen und das wäre die Europa League.

Drei Bundesliga-Spiele sind es noch, dann ist die Europameis­terschaft, da dürfte es für Sie weitergehe­n. Ihr Kollege Chris Kramer sagt, Deutschlan­d kommt mindestens

bis ins Halbfinale. Ist das eine gewagte Prognose?

GINTER Deutschlan­d ist bis auf 2018 bei Turnieren immer gut dabei gewesen. Um wieder Erfolg zu haben, müssen wir einfach wieder eine eingeschwo­rene Turnierman­nschaft werden, die Deutschlan­d bis auf 2018 bei der WM immer war. Wenn wir erfolgreic­h sind, würde es dem gesamten deutschen Fußball gut tun, gerade wenn wir uns auch wieder als wirkliche Mannschaft präsentier­en.

Das klingt schon ein bisschen nach dem „Geist von Spiez“, dem Elf-Freunde-Prinzip. Macht das deutsche Mannschaft­en immer noch aus?

GINTER Auf jeden Fall. Die Vergangenh­eit hat immer wieder gezeigt, dass die Ergebnisse gestimmt haben, wenn die Stimmung gestimmt hat. Es hängt nicht alles davon ab, aber die entscheide­nden Prozentpun­kte bringt das ganz sicher.

Kramer wird als EM-Experte im ZDF möglicherw­eise auch Ihre Leistung beurteilen. Gibt es Absprachen, dass man über Kabinen-Kollegen nicht redet?

GINTER (grinst) Nein, da gibt es keine Absprachen. Chris soll einfach so ehrlich wie möglich sein. Am besten soll er dann nur meine positiven Szenen zeigen (lacht). Noch besser: Es gibt keinen Anlass, mich zu kritisiere­n. Aber er wird das, wie 2018, schon gut machen.

Wäre EM-Experte ein Job für Sie? GINTER Ich glaube, ich würde es nicht während der aktiven Karriere machen. Aber danach kann ich mir viele Dinge vorstellen – warum nicht? Ich habe mir allerdings über die Zeit nach der Karriere noch keine Gedanken gemacht. Ich habe hoffentlic­h noch ein paar aktive Jahre vor mir.

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Matthias Ginter kam 2017 von Borussia Dortmund.

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