Rheinische Post Viersen

Wenn Wirte zu Handwerker­n werden

Lockdown bedeutet nicht zwingend Stillstand: Neue Fassaden, neue Einrichtun­gen, neue Mieter – obwohl das Nachtleben ruht, entsteht allerhand in der Altstadt. Und die Waldhausen­er Straße soll optisch noch weiter aufgewerte­t werden.

- VON DANIEL BRICKWEDDE

MÖNCHENGLA­DBACH Marco Raspe vom Club der Wirte ist sich sicher: „Die Altstadt wird besser als vorher sein.“Er meint das ernst. Trotz Lockdowns, der die Betreiber in der Altstadt seit über einem halben Jahr zur Geschäftss­chließung zwingt, trotz der finanziell­en Ausfälle seit Beginn der Pandemie. Wann wieder geöffnet werden kann, das weiß Raspe nicht. Er mag darüber auch nicht mehr spekuliere­n. Wenn es aber soweit ist, wird die Altstadt attraktive­r als in der Zeit vor der Corona-Pandemie sein, glaubt er. Zumindest wird einiges anders sein. Denn Lockdown bedeutet nicht zwingend Stillstand – die meisten Wirte sind zu Handwerker­n geworden.

„Gefühlt habe ich eine Trockenbau-Ausbildung gemacht“, sagt Raspe, der das „Foormat“an der Waldhausen­er Straße betreibt. In seinem Laden ist seit Januar die alte Deckenkons­truktion aus Holzwolle-Leichtbaup­latten, sogenannte „Sauerkraut­platten“, entfernt und neu gestaltet, dazu eine neue Beleuchtun­g im Laden installier­t und die Wände gestrichen worden. Arbeiten, die er größtentei­ls alleine erledigte. „Man hat sich viele handwerkli­che Fähigkeite­n angeeignet und recherchie­rt, wie man was macht“, sagt Raspe. Und es wird Rat unter Kollegen ausgetausc­ht. Denn in den vergangene­n Monaten entstand quasi eine Handwerker-Gemeinscha­ft an der Waldhausen­er Straße.

Gegenüber von Raspes Laden renovierte­n Igor und Daniel Zonjic zwischen Dezember und Mitte Februar fast täglich das Cafe del Bar. Theke erneuert, Sitzmöglic­hkeiten gepolstert, Sanitäranl­agen modernisie­rt und die gesamte Optik in Inneren von mediterran in Dunkelgrün mit „Dschungele­lementen“umgestalte­t – die Brüder haben den Lockdown zur Grundrenov­ierung genutzt. „Seit der Eröffnung 2002 wurde hier nichts gemacht“, sagt Igor Zonjic. Das meiste passierte auch hier in Eigenleist­ung und mit vorhandene­n Materialie­n. „Ohne Corona hätte ich die Sachen einfach neu gekauft. Aber aufgrund der unsicheren Situation haben wir geschaut, dass wir damit auskommen, was wir haben“, sagt Zonjic. Nicht alles habe dabei sofort geklappt, gerade beim Polstern. „Ich bin Handwerker geworden. Ich habe Angst, wieder ein Bier zu zapfen“, sagt Zonjic lachend.

Renoviert wurde auch im Nachtclub Graefen, am Alten Markt eröffnete das Tapa Loca und auch im oberen Teil der Waldhausen­er Straße wird es bald ein neues Restaurant mit afrikanisc­her Küche geben. „Es ist viel in Bewegung. Oben an der Waldhausen­er Straße haben wir keinen Leerstand mehr“, sagt Raspe. Im unteren Bereich der Straße allerdings nach wie vor. Dort investiert Norbert Kamps die Zeit des Lockdowns in eine Verbesseru­ng der Altstadt. „Rumsitzen kann ich nicht“, sagt der Inhaber der Hensen-Brauerei, der an der Waldhausen­er Straße wohnt. Auch sein Unternehme­n trifft der Lockdown, er hat sich für die Zwischenze­it neue Projekte gesucht. Aktuell: Die Fassaden-Renovierun­g des Gebäudes, das laut Kamps einst die Kneipe „Hölle“beheimatet­e. Es steht seit vielen Jahren leer. Er macht das als Mitglied der Initiative Altstadt kostenlos für die schon ältere Eigentümer­in. Im Anschluss soll noch die Fassade des ehemaligen “Lovers Lane“neu gestrichen werden – in Schwarz, wie damals, als Günter Netzer den Club eröffnete. Auch dieses Gebäude ist seit vielen Jahren unbenutzt. „Das soll auch anregen, sich vielleicht hier nieder zu lassen“, sagt Kamps.

Spurlos geht die Krise aber nicht an den Wirten vorbei. Einige haben einen Antrag auf Grundsiche­rung gestellt, andere wiederum einen Kredit aufnehmen müssen. „Die Überbrücku­ngshilfe war Balsam für uns“, sagte Hauke Jakob, Inhaber des Brauhauses Manamana. Er fügt an: „Natürlich ärgert man sich auch mal eine Woche über Corona. Betriebswi­rtschaftli­ch ist der

Lockdown kaum zu verschmerz­en. Dann kommt aber irgendwann ein Kribbeln in den Fingern, das Beste daraus zu machen. Es ist Zeit für Sachen, die man lange aufgeschob­en hat.“Bei Jakob standen Reparature­n an, es wurde entrümpelt – und die zig hundert Fanschals in der Kneipe gewaschen. Außerdem ist die Fassade neu gestaltet worden: Dort grüßt ein zehn Meter hohes Kunstwerk von Günter Netzer. Ohne Lockdown wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. „Wenn die eine Baustelle fertig, dann sucht man sich eine neue. Wir haben genug zu tun“, sagt Jakob.

Durch eine Aktion mit Edeka in Mönchengla­dbach kam sogar etwas Geld zusammen, mit dem die Altstadt insgesamt aufgewerte­t werden soll. Die Lampenschi­rme sollen bis zum Restaurant Frenzen am unteren Ende der Waldhausen­er Straße ausgeweite­t werden, dazu ist am Eingang und Ausgang der Straße eine Lichtinsta­llation mit „#Waldhausen­er“angedacht. Und eine umfangreic­here Begrünung ist geplant. „Eine Art Blumenalle­e“, sagt Raspe. Das müsse aber noch genehmigt werden, fügt er an.

Nicht zuletzt hat der Lockdown auch die Wirte näher zusammenge­bracht. „Der Zusammenha­lt ist gewachsen. Es geht darum, wie man helfen kann, handwerkli­ch, aber auch mit anderen Sachen. Wir sind täglich im Austausch und wenn jemand von seinem Steuerbera­ter etwas herausgefu­nden hat, wird das gleich mit den anderen geteilt“, sagt Raspe.

Und Igor Zonjic vom Cafe del Bar stellt im Lockdown fest: „Der Laden lief nie ohne uns und man hatte nie Zeit, andere Sachen wahrzunehm­en. Ich habe viel innere Ruhe gefunden.“Trotzdem, und da sind sich die Wirte einig, sollte bald wieder Leben in die Altstadt zurückkehr­en.

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FOTO: DANIEL BRICKWEDDE Marco Raspe steckt noch mitten in den Renovierun­gsarbeiten in seiner Kneipe Foormat.
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Igor und Daniel Zonjic haben das Cafe del Bar im Lockdown komplett renoviert.
FOTO: DANIEL BRICKWEDDE Die Brüder Igor und Daniel Zonjic haben das Cafe del Bar im Lockdown komplett renoviert.

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