Wenn Wirte zu Handwerkern werden
Lockdown bedeutet nicht zwingend Stillstand: Neue Fassaden, neue Einrichtungen, neue Mieter – obwohl das Nachtleben ruht, entsteht allerhand in der Altstadt. Und die Waldhausener Straße soll optisch noch weiter aufgewertet werden.
MÖNCHENGLADBACH Marco Raspe vom Club der Wirte ist sich sicher: „Die Altstadt wird besser als vorher sein.“Er meint das ernst. Trotz Lockdowns, der die Betreiber in der Altstadt seit über einem halben Jahr zur Geschäftsschließung zwingt, trotz der finanziellen Ausfälle seit Beginn der Pandemie. Wann wieder geöffnet werden kann, das weiß Raspe nicht. Er mag darüber auch nicht mehr spekulieren. Wenn es aber soweit ist, wird die Altstadt attraktiver als in der Zeit vor der Corona-Pandemie sein, glaubt er. Zumindest wird einiges anders sein. Denn Lockdown bedeutet nicht zwingend Stillstand – die meisten Wirte sind zu Handwerkern geworden.
„Gefühlt habe ich eine Trockenbau-Ausbildung gemacht“, sagt Raspe, der das „Foormat“an der Waldhausener Straße betreibt. In seinem Laden ist seit Januar die alte Deckenkonstruktion aus Holzwolle-Leichtbauplatten, sogenannte „Sauerkrautplatten“, entfernt und neu gestaltet, dazu eine neue Beleuchtung im Laden installiert und die Wände gestrichen worden. Arbeiten, die er größtenteils alleine erledigte. „Man hat sich viele handwerkliche Fähigkeiten angeeignet und recherchiert, wie man was macht“, sagt Raspe. Und es wird Rat unter Kollegen ausgetauscht. Denn in den vergangenen Monaten entstand quasi eine Handwerker-Gemeinschaft an der Waldhausener Straße.
Gegenüber von Raspes Laden renovierten Igor und Daniel Zonjic zwischen Dezember und Mitte Februar fast täglich das Cafe del Bar. Theke erneuert, Sitzmöglichkeiten gepolstert, Sanitäranlagen modernisiert und die gesamte Optik in Inneren von mediterran in Dunkelgrün mit „Dschungelelementen“umgestaltet – die Brüder haben den Lockdown zur Grundrenovierung genutzt. „Seit der Eröffnung 2002 wurde hier nichts gemacht“, sagt Igor Zonjic. Das meiste passierte auch hier in Eigenleistung und mit vorhandenen Materialien. „Ohne Corona hätte ich die Sachen einfach neu gekauft. Aber aufgrund der unsicheren Situation haben wir geschaut, dass wir damit auskommen, was wir haben“, sagt Zonjic. Nicht alles habe dabei sofort geklappt, gerade beim Polstern. „Ich bin Handwerker geworden. Ich habe Angst, wieder ein Bier zu zapfen“, sagt Zonjic lachend.
Renoviert wurde auch im Nachtclub Graefen, am Alten Markt eröffnete das Tapa Loca und auch im oberen Teil der Waldhausener Straße wird es bald ein neues Restaurant mit afrikanischer Küche geben. „Es ist viel in Bewegung. Oben an der Waldhausener Straße haben wir keinen Leerstand mehr“, sagt Raspe. Im unteren Bereich der Straße allerdings nach wie vor. Dort investiert Norbert Kamps die Zeit des Lockdowns in eine Verbesserung der Altstadt. „Rumsitzen kann ich nicht“, sagt der Inhaber der Hensen-Brauerei, der an der Waldhausener Straße wohnt. Auch sein Unternehmen trifft der Lockdown, er hat sich für die Zwischenzeit neue Projekte gesucht. Aktuell: Die Fassaden-Renovierung des Gebäudes, das laut Kamps einst die Kneipe „Hölle“beheimatete. Es steht seit vielen Jahren leer. Er macht das als Mitglied der Initiative Altstadt kostenlos für die schon ältere Eigentümerin. Im Anschluss soll noch die Fassade des ehemaligen “Lovers Lane“neu gestrichen werden – in Schwarz, wie damals, als Günter Netzer den Club eröffnete. Auch dieses Gebäude ist seit vielen Jahren unbenutzt. „Das soll auch anregen, sich vielleicht hier nieder zu lassen“, sagt Kamps.
Spurlos geht die Krise aber nicht an den Wirten vorbei. Einige haben einen Antrag auf Grundsicherung gestellt, andere wiederum einen Kredit aufnehmen müssen. „Die Überbrückungshilfe war Balsam für uns“, sagte Hauke Jakob, Inhaber des Brauhauses Manamana. Er fügt an: „Natürlich ärgert man sich auch mal eine Woche über Corona. Betriebswirtschaftlich ist der
Lockdown kaum zu verschmerzen. Dann kommt aber irgendwann ein Kribbeln in den Fingern, das Beste daraus zu machen. Es ist Zeit für Sachen, die man lange aufgeschoben hat.“Bei Jakob standen Reparaturen an, es wurde entrümpelt – und die zig hundert Fanschals in der Kneipe gewaschen. Außerdem ist die Fassade neu gestaltet worden: Dort grüßt ein zehn Meter hohes Kunstwerk von Günter Netzer. Ohne Lockdown wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. „Wenn die eine Baustelle fertig, dann sucht man sich eine neue. Wir haben genug zu tun“, sagt Jakob.
Durch eine Aktion mit Edeka in Mönchengladbach kam sogar etwas Geld zusammen, mit dem die Altstadt insgesamt aufgewertet werden soll. Die Lampenschirme sollen bis zum Restaurant Frenzen am unteren Ende der Waldhausener Straße ausgeweitet werden, dazu ist am Eingang und Ausgang der Straße eine Lichtinstallation mit „#Waldhausener“angedacht. Und eine umfangreichere Begrünung ist geplant. „Eine Art Blumenallee“, sagt Raspe. Das müsse aber noch genehmigt werden, fügt er an.
Nicht zuletzt hat der Lockdown auch die Wirte näher zusammengebracht. „Der Zusammenhalt ist gewachsen. Es geht darum, wie man helfen kann, handwerklich, aber auch mit anderen Sachen. Wir sind täglich im Austausch und wenn jemand von seinem Steuerberater etwas herausgefunden hat, wird das gleich mit den anderen geteilt“, sagt Raspe.
Und Igor Zonjic vom Cafe del Bar stellt im Lockdown fest: „Der Laden lief nie ohne uns und man hatte nie Zeit, andere Sachen wahrzunehmen. Ich habe viel innere Ruhe gefunden.“Trotzdem, und da sind sich die Wirte einig, sollte bald wieder Leben in die Altstadt zurückkehren.