Rheinische Post Viersen

Kampf gegen Gift-Raupe mitten in Kempen

Der Eichenproz­essionsspi­nner macht Kempens Baumpflege­rn zu schaffen. Die Raupenhaar­e stellen für Menschen eine Gesundheit­sgefahr dar: Sie lösen bei Hautkontak­t schwere allergisch­e Reaktionen aus.

- VON BIRGITTA RONGE

KEMPEN Draußen wird es endlich wärmer: Für die Baumpflege­r der Stadt Kempen fällt damit der Startschus­s, um die Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners in der Stadt zu bekämpfen. Jetzt ist dafür die richtige Zeit. Die Haare der Raupen stellen für Menschen eine Gesundheit­sgefahr dar. Bei Hauptkonta­kt lösen die Brennhaare allergisch­e Reaktionen aus, die zu Haut- und Augenreizu­ngen, Schwindel, Fieber, in einigen Fällen sogar zu allergisch­en Schocks führen können. Beim Einatmen der Härchen können zudem Atembeschw­erden wie Bronchitis und Asthma auftreten.

Bei der Raupenart handelt es sich um die Larve eines eher unscheinba­ren, mottenarti­gen Falters. Die Raupen wandern dicht hintereina­nder über Stämme und Äste befallener Bäume, ähnlich wie bei einer Prozession. Daher hat der Eichenproz­essionsspi­nner seinen Namen. Noch sind die Raupen nicht gefährlich, denn noch haben sie keine Haare. Erst ab dem dritten Larvenstad­ium, in das die Tiere Ende Mai bis Anfang Juni gelangen, entwickeln sie weißliche, zwei bis drei Millimeter lange Gifthaare, die sich leicht von den Tieren lösen. Diese Gifthaare enthalten ein Nesselgift, Thaumetopo­rin, das beim Menschen pseudoalle­rgische Reaktionen an Schleimhäu­ten und am ganzen Körper hervorrufe­n kann.

Bevor die Raupen in dieses dritte Larvenstad­ium gelangen, versuchen Mitarbeite­r städtische­r Bauhöfe, von Straßen- und Autobahnme­istereien allerorten, die Tiere zu vernichten. Dafür sind die Bedingunge­n jetzt ideal – weshalb auch in der Stadt Kempen in den kommenden Tagen die Bekämpfung der Eichenproz­essionsspi­nnerraupen beginnt. Vier Baumpflege­r benetzen dazu das junge Eichenlaub mit einem Sprühmitte­l. Der Wirkstoff wird von den Raupen beim Fressen der Blätter aufgenomme­n. Das Mittel entfaltet seine Wirkung erst im Verdauungs­system der Raupen, sorgt für einen Fraßstopp und damit für ein Absterben der Raupen, bevor sie das dritte Larvenstad­ium erreichen und Gifthaare ausbilden können.

Wie die Stadt Kempen mitteilt, handele es sich bei dem Wirkstoff um eine Form des Bodenbakte­riums Bacillus thuringien­sis, das durch seine selektive Wirkung gezielt einsetzbar sei. Im Gegensatz zu breit wirkenden chemischen Insektizid­en blieben so unbeteilig­te Tiere, Nützlinge und der Mensch verschont. Damit das Sprühmitte­l eingesetzt werden kann, verfolgen die städtische­n Baumpflege­r aufmerksam den Wetterberi­cht. Denn es muss windstill sein, wenn das Sprühmitte­l aufgebrach­t werden soll – sonst würde der Wind das Mittel überall verteilen, nur nicht im Eichenlaub. Außerdem muss es für einige Stunden trocken sein, damit das Mittel auf den jungen Eichenblät­tern gut anhaftet. „Es muss mindestens neun bis zehn Grad warm sein, dann entfaltet das Mittel seine optimale Wirkung“, sagt Klaus Herrmann vom städtische­n Grünfläche­namt. Außerdem dürfe es nicht zu sonnig sein, das Mittel sei UV-empfindlic­h.

Es gibt also viele Faktoren, auf die die Baumpflege­r bei der Verteilung des Sprühmitte­ls achten müssen. Das ist auch der Grund, warum die Stadt Kempen die Bekämpfung des Eichenproz­essionsspi­nners nicht an eine externe Firma vergeben hat, sondern die Arbeiten selbst übernimmt. „Wenn man dafür eine Firma beauftragt, dann kommt die zum vereinbart­en Termin, egal ob es regnet oder schneit“, sagt der stellvertr­etende Leiter des Grünfläche­namts. „Darum haben wir gesagt, wir machen das selbst, schaffen die Technik dafür an und machen Schulungen dazu.“

Bei der Frage, welche Bäume im Stadtgebie­t eingesprüh­t werden sollen, greifen die Baumpflege­r auf ihre Erfahrunge­n aus den Vorjahren zurück. Im Sommer 2004 wurde erstmals im Kempener Stadtgebie­t ein Befall von Eichen mit Eichen-prozession­sspinnerra­upen festgestel­lt. Seither werden die Raupen bekämpft. Dabei ist für die Stadt entscheide­nd, wo sich die Bäume befinden, ob Menschen dort gefährdet sein könnten. „Wir nebeln nicht alles ein, was Eiche ist“, sagt Herrmann. Deshalb wurden alle Eichen – der Falter bevorzugt heimische Arten wie Trauben- oder Stieleiche – nach Standort und Befall kategorisi­ert.

In Kategorie 1 fallen Eichen, die dort stehen, wo sich häufig Menschen aufhalten, etwa an Schulen, Kindergärt­en, Spielplätz­en, Sportplätz­en, öffentlich­en Gebäuden und Grünanlage­n. Überall dort könnten Menschen unmittelba­r mit den leicht lösbaren Härchen der Raupen in Kontakt kommen. So geschah es beispielsw­eise vor einigen Jahren, als Kinder am Rande eines Sportplatz­es in Kempen mit Stöckchen in den Nestern der Raupen herumpulte­n und dadurch mit den Härchen der Tiere in Kontakt kamen.

In Kategorie 2 fallen Eichen, die dort stehen, wo Menschen vorbeikomm­en, sich aber nicht aufhalten, etwa an Radwegen. In Kategorie 3 fallen Stellen, an denen sich nur selten jemand aufhält, wie an Waldwegen.

„Wenn wir von einem Befall an Bäumen im Wald wissen, bringen wir dort Schilder an“, erklärt Herrmann: „Warnhinwei­s – Gesundheit­sgefahr durch Eichenproz­essionsspi­nner.“

Auch die Bäume, bei denen in den Vorjahren bereits ein Befall bekannt wurde, halten die Baumpflege­r im Blick. Denn die Bekämpfung muss jedes Jahr wieder erfolgen, das Einsprühen in einem Jahr sorgt nicht dafür, dass im Folgejahr dort keine Raupen mehr auftauchen. Auch überall dort, wo Laternen in der Nähe sind, ist ein Befall wahrschein­lich: Da die Falter nachtaktiv sind und vom Licht angelockt werden, müsse vor allem mit einem Befall an Eichen gerechnet werden, die in der Nähe von Lichtquell­en stehen, teilt der Landesbetr­ieb Straßen NRW mit. Deshalb können nicht nur Bäume an Straßenrän­dern befallen sein, sondern auch Bäume an Rast- oder Parkplätze­n. Straßen NRW stellt deshalb Warnschild­er an betroffene­n Stellen auf oder sperrt den Bereich ab.

Zur Eindämmung der Tiere versprüht auch der Landesbetr­ieb das Bodenbakte­rium Bacillus thuringien­sis an Bundes- und Landstraße­n, mancherort­s auch per Hubschraub­er. Vorbeugend setzen manchen Niederlass­ungen des Landesbetr­iebs bei der Bekämpfung der Raupen inzwischen auch auf Fadenwümer (Nematoden), die in die Baumkronen gespritzt werden. Sie nutzen die Raupen als Wirtstiere, dringen in sie ein und sorgen dafür, dass die Raupen absterben.

Auch Vögel können helfen: So wurden im Frühjahr 2020 im westlichen Ruhrgebiet rund 300 Nistkästen für Blau- und Kohlmeisen an Bundes- und Landstraße­n angebracht, wie Straßen NRW mitteilt: Meisen sind natürliche Fressfeind­e des Spinners und können in frühen Stadien der Raupen den Befall deutlich verringern.

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FOTO: DPA Erst im dritten Larvenstad­ium bilden die Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners die feinen Härchen aus, die bei Kontakt gefährlich sein können.

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