Rheinische Post Viersen

„Nicht jeden Spaziergän­ger kontrollie­ren“

Der NRW-Innenminis­ter spricht über die Ausgangssp­erre, vernachläs­sigte Bereiche und die Lage der Landes-CDU.

- KIRSTEN BIALDIGA UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Reul, wie geht es Ihnen derzeit nach der überstande­nen CoronaInfe­ktion?

REUL Ich habe ein Riesen-Glück gehabt. Das ist schon belastend, wenn man das positive Testergebn­is bekommt: Schock, Angst, Sorge. Aber ich habe es gut überstande­n und spüre auch keine Langzeitfo­lgen.

Hat die eigene Erkrankung Ihren Blick auf die Pandemiebe­kämpfung verändert?

REUL Ich habe das Virus immer ernst genommen. Aber jetzt durch das eigene Erleben vielleicht noch ein bisschen bewusster. Wenn Sie zwei Enkel haben und die dürfen Sie nur durchs Fenster anschauen – da kommen Sie schon ins Nachdenken.

Halten Sie die Lockerunge­n für Geimpfte und Genesene für vertretbar, obwohl die Belastung der Krankenhäu­ser noch so hoch ist?

REUL Wie meistens in dieser Pandemie gilt: Hundertpro­zentig richtig gibt es nicht. Natürlich wird es immer drängender, die Grundrecht­seingriffe zurückzune­hmen. Armin Laschet war da immer auf dem richtigen Kurs. Wir müssen nachjustie­ren, sobald der Spielraum für Freiheitsr­echte wieder größer wird. Da sind Differenzi­erungen nötig, keine Schwarz-Weiß-Malerei.

Konkret: Wie kann die Polizei die Ausgangssp­erre noch kontrollie­ren, wenn Geimpfte und Genesene nachts umherspazi­eren dürfen? REUL Die Polizei kann und soll sicher nicht jeden Spaziergän­ger kontrollie­ren – sonst hätten wir einen Polizeista­at. Aber sie kann stichprobe­nartig Plausibili­tätsprüfun­gen machen und nachfragen, wenn Zweifel bestehen.

Immer mehr Polizisten müssen bei sogenannte­n „Querdenker“-Demos eingesetzt werden. Sehen Sie dort zunehmende Gewaltbere­itschaft? REUL Ja, und die Radikalisi­erung auf diesen Demos macht mich sehr unruhig. Leider gewinnen auch die radikalen Kräfte immer mehr die Oberhand. Aber nicht nur die: Immer häufiger gehen auch ältere Leute aus bürgerlich­en Milieus auf die Polizei los – mit Regenschir­men oder anderen Gegenständ­en. Das ist eine Entwicklun­g, die mir Sorgen macht.

Gefährdet die „Querdenker“-Bewegung die Demokratie?

REUL Ja, daher beobachtet der Verfassung­sschutz in Nordrhein-Westfalen jetzt auch Teile der „Querdenker“-Szene. Anhänger der Protestbew­egung vernetzen sich zunehmend mit Rechtsextr­emisten, üben Gewalt gegen Polizisten und staatliche Einrichtun­gen oder machen die staatliche­n Corona-Schutzmaßn­ahmen

verächtlic­h.

Warum legen Sie in Ihrem Entwurf für das neue Versammlun­gsgesetz so großen Wert auf ein Verbot gemeinsame­r äußerer Kennzeiche­n, dass sogar Fußballfan­s in Trikots fürchten, sie könnten künftig belangt werden?

REUL Es gibt einige Missverstä­ndnisse rund um das Gesetz. Manche Leute lesen den Text nicht richtig. Das Militanzve­rbot, auf das Sie anspielen, besagt laut Bundesverf­assungsger­icht, dass zu der gleichförm­igen Kleidung auch ein einschücht­erndes Auftreten hinzukomme­n muss. Wie früher bei der SS oder der SA oder heute bei Neonazis, die mit Fackeln und Springerst­iefeln marschiere­n. Eine ähnliche Wirkung kann übrigens auch vom schwarzen Block bei der Antifa ausgehen. In diesen Fällen müssen die Polizisten eingreifen können.

Sie vergleiche­n die SS mit der Antifa?

REUL Nein, es geht nur um das angsteinfl­ößende Auftreten.

Einer Ihrer Schwerpunk­te ist der Kampf gegen sexualisie­rte Gewalt an Kindern. Welche Fortschrit­te sehen Sie hierbei?

REUL Wir haben die Zahl der Ermittler vervielfac­ht und damit 2020 etwa doppelt so viele Fälle von Kinderporn­ographie aufgedeckt wie noch 2019. Wir werden wahrschein­lich noch eine ganze Zeit lang steigende Zahlen und damit eine erschrecke­nde Statistik bei diesen Delikten haben. Der erhöhte Verfolgung­sdruck dürfte aber inzwischen in der Szene angekommen sein, sodass die Täter mehr Angst haben müssen, entdeckt zu werden. Genau das ist unser Ziel.

Sie setzen dabei auch auf die umstritten­e Geheimdien­st-Software Palantir. Die Datenschut­zbeauftrag­te fürchtet unzulässig­e Datenverkn­üpfungen. Jetzt endete die Frist für Ihre Stellungna­hme. Können Sie die Bedenken ausräumen? REUL Die Kritik geht an der Sache vorbei und beruht möglicherw­eise auf einem Missverstä­ndnis. Deshalb bin ich zuversicht­lich, dass die Datenschut­zbeauftrag­te am Ende doch zustimmt. Palantir ist so etwas wie ein Polizei-Google, mit dem wir den digitalen Turbo einlegen. Auf einen Knopfdruck erscheinen Suchergebn­isse, für die wir mit den üblichen zig verschiede­nen Systemen Wochen bräuchten.

Was tun Sie, wenn die Datenschut­zbeauftrag­te bei ihrem Veto bleibt?

REUL Ich bin optimistis­ch, dass sich die offenen Fragen in der Diskussion klären lassen. Sonst müssten eventuell Richter entscheide­n.

Auf einem anderen Gebiet sind sie weniger aktiv: Die Bordellkon­trollen in NRW waren schon vor der Pandemie stark rückläufig. Warum gehen Sie gegen Zwangspros­titution und Menschenha­ndel nicht konsequent­er vor?

REUL Bei wachsenden Aufgaben haben wir immer noch zu wenige Polizisten.

Aber wir stellen zunehmend neue Leute ein. Das ist einer der Bereiche, die wir noch stärker in den Blick nehmen müssen.

Der Polizeiber­icht zu rechtsextr­emen Chatgruppe­n ist abgeschlos­sen, ein rechtsextr­emes Netzwerk gibt es demnach bei der Polizei nicht. Gibt es eine ähnliche Untersuchu­ng beim Landesverf­assungssch­utz, wo auch Fälle aufflogen? REUL Es waren drei Fälle beim Verfassung­sschutz und ein Fall aus einer anderen Abteilung. Der Verfassung­sschutz hat sich selbst um die Aufarbeitu­ng gekümmert. Drei Disziplina­rverfahren sind noch nicht abgeschlos­sen, in dem vierten Fall wurde eine Disziplina­rmaßnahme verhängt. Aber Hinweise auf weitere Fälle von Rechtsextr­emismus beim Verfassung­sschutz gibt es nicht.

Welchen Schaden haben die vier Fälle angerichte­t?

REUL Natürlich haben sie einen Imageschad­en angerichte­t, der leider auch ihre unbescholt­enen Kolleginne­n und Kollegen trifft. Darüber hinaus haben wir keine Erkenntnis­se.

Kommen wir zur Parteipoli­tik.

Bei der NRW-CDU sind die Karten jetzt, da Armin Laschet in jedem Fall nach Berlin wechselt, neu gemischt. Halten Sie die frühe Festlegung für klug?

REUL Absolut. Es ist gut und richtig, dass Armin Laschet jetzt klargemach­t hat, wie er sich den weiteren Weg vorstellt.

Damit steigen die Chancen für Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst als sein Nachfolger im Ministerpr­äsidentena­mt. Welche anderen Kandidaten sehen Sie?

REUL Ich sehe da mehrere qualifizie­rte Kandidaten in der Fraktion. Wer es am Ende wird, entscheide­n die Abgeordnet­en des Landtags.

Sollte auch der CDU-Vorsitz in den Händen des neuen Ministerpr­äsidenten liegen?

REUL Das entscheide­t der Landespart­eitag zu gegebener Zeit.

Würden Sie nach der Landtagswa­hl 2022 erneut als Innenminis­ter zur Verfügung stehen?

REUL Das hängt von so vielen Variablen ab. Darüber mache ich mir derzeit keine Gedanken.

Aber würden Sie es ausschließ­en? REUL Die Frage stellt sich derzeit überhaupt nicht. Immerhin gibt es zwischendu­rch noch eine Landtagswa­hl und da haben die Wählerinne­n und Wähler das Wort.

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FOTO: STEFAN FINGER/LAIF

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