Impfwillige werden aggressiver
Im Impfzentrum und in Arztpraxen kommt es für die Mitarbeiter zunehmend zu unschönen Begegnungen: In Diskussionen um die Impfpriorisierung oder die Wahl des Impfstoffs vergreifen sich viele Menschen im Ton.
KREIS VIERSEN Vor einigen Tagen erhielt Arndt Berson, Allgemeinmediziner aus Kempen, diese Nachricht: „Im Moment werden ja vom Hütchenspieler bis zum Parkwächter alle geimpft. Wann wird meine Frau geimpft?“Diese Nachricht gehört noch zu den harmloseren, die Berson derzeit bekommt. Per E-Mail oder über den Nachrichtendienst Whatsapp gingen viele Mitteilungen ein, die die Grenzen des guten Tons überschritten. „Unfassbar, was sich da auftut“, sagt Berson.
Und damit sei er nicht allein. Berson ist als Vorsitzender der Kreisstelle Viersen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein Vertreter der Ärzte im Kreis Viersen. Deshalb weiß er, dass viele Kollegen ähnliche Erfahrungen machen. Die Mitarbeiter in den Hausarztpraxen, in denen Patienten nun auch eine Corona-Schutzimpfung erhalten können, führten „wirklich irre Diskussionen“mit Impfwilligen, berichtet Berson. Mal geht es um die Frage, warum der eine als Angehöriger einer priorisierten Personengruppe geimpft wird und der andere nicht, mal geht es um den Impfstoff selbst – denn bei einer Impfung mit Astrazeneca haben viele Patienten Bedenken. Die äußern sie mitunter auch lautstark. „Da gibt es keine Grenzen von Höflichkeit und Anstand mehr“, sagt der Ärztevertreter.
Auch im Impfzentrum des Kreises Viersen in Viersen-Dülken würden Diskussionen mit Impfwilligen mitunter lauter, aber aus anderen Gründen. „Da diskutieren wir nicht über Impfstoffe, sondern eher über Formalia“, berichtet Berson als Leiter der Impfkampagne im Kreis Viersen. So wollten manche Impflinge dort etwa auch gleich ihre Begleitperson mit impfen lassen – was Berson zufolge im Impfzentrum entschieden werden muss und nicht immer möglich ist. Denn die Termine sind auf die vorhandenen Impfdosen abgestimmt. „In der vergangenen Woche war ein Ehepaar da, da wurde der Mann geimpft“, erzählt Berson. „Er wollte, dass seine Frau auch geimpft wird, doch das war nicht möglich. Daraufhin rief er, er wolle eine Atombombe auf das Impfzentrum werfen.“
In der vergangenen Woche hatte der Kreis Viersen mitgeteilt, dass für den Impfstoff des Herstellers Astrazeneca die Impfpriorisierung aufgehoben wurde. Seither können alle Erwachsenen ab 18 Jahren einen Termin für eine Impfung damit beim Hausarzt vereinbaren. „Ob und wann eine Impfung mit Astrazeneca möglich ist, liegt im Ermessen der Hausarztpraxis“, teilte der Kreis mit. Die Freigabe von Astrazeneca für alle Erwachsenen führt nun dazu, dass die Praxen deutlich mehr Anfragen für einen Impftermin bekommen. Allein aus seiner eigenen Praxis berichtet Berson von „unzähligen E-Mails von Impfwilligen, die jetzt mit Astrazeneca geimpft werden wollen“. Allerdings gehe das nicht sofort, die Praxen müssten den Impfstoff erstmal organisieren.
„Wir können bis dienstags, 12 Uhr, für die Folgewoche bestellen“, erklärt der Ärztevertreter. Deshalb seien in den Praxen nun gar nicht so viele Impfdosen von Astrazeneca da, wie es Impfwillige für Astrazeneca gebe. Mit Blick auf die Diskussionen mit Patienten, die nur Biontech wollten, habe er in der vergangenen Woche nur Biontech bestellt.
Dabei sei auch Astrazeneca ein guter Impfstoff, wenn man schwere Verläufe einer Covid-Erkrankung vermeiden wolle, betont der Mediziner: „Jeder Impfstoff ist besser, als sich nicht impfen zu lassen.“Der Hausarzt kenne den Patienten, und der könne sich auf die ärztliche Expertise verlassen, wenn es um die Wahl des passenden Impfstoffs gehe, „wir können das gut einschätzen“. Viele Patienten seien durch täglich neue Meldungen verunsichert, „und man tut immer so, als sei nur Biontech nebenwirkungsfrei und andere Impfstoffe nicht – aber das ist nicht so“, sagt Berson.
Im Impfzentrum werden derzeit Personen unter 60 Jahre, die bei der ersten Impfung Astrazeneca bekommen haben, beim zweiten Termin mit Biontech geimpft. Über-60-Jährige, die beim ersten Mal Astrazeneca bekamen, erhalten bei der zweiten Impfung ebenfalls Astrazeneca. Für diese Woche zur Verimpfung dort geplant sind nach Angaben des Kreises 8597 Dosen Biontech sowie 64 Dosen Astrazeneca.
Als Vertreter der Ärzte im Kreis Viersen appelliert Berson an die Menschen, ruhig zu bleiben und den Mitarbeitern in den Praxen und im Impfzentrum gegenüber „den Respekt entgegenzubringen, den sie auch von uns zu Recht erwarten“. Die Impfkampagne im Kreis gehe voran, und weil derzeit so viele Menschen geimpft werden dürfen (und geimpft werden wollen), gebe es Überlegungen, vielleicht über Pfingsten ein besonderes Impfangebot zu machen, berichtet Berson. Er bittet um Höflichkeit – und Geduld: „Wir wollen ja alle impfen. Aber das geht eben nicht auf einen Fingerschnipp.“