Anders Behring Breivik zündete erst eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo, dann erschoss er 69 Jugendliche in einem Feriencamp auf der Insel Utøya: Die Anschläge vom 22. Juli 2011 trafen die Norweger ins Herz. Sie ringen zehn Jahre später immer noch mi
Anderen erscheine das Blutvergießen eher als eine Art Unglück, ausgelöst von Breiviks krankhaftem Gehirn. Für sie verbiete sich jede politische Betrachtung des Massakers. „Viele mögen es nicht, wenn Überlebende Fragen stellen. Zum Beispiel, inwiefern die Art, wie manche Politiker oder Medien über Migranten oder Muslime in Norwegen diskutiert haben, Breivik ermutigt hat“, sagt Skjervø. „Und unserer Partei wird jetzt vorgeworfen, sie ziehe mit der Kandidatur von Überlebenden die Utøya-Karte, um wieder an die Macht zu kommen.“
Die Schriftstellerin Erika Fatland hat wenige Wochen vor dem Jahrestag der Anschläge auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen zu tun. Sie galt damals als renommierte Expertin für Terrorismus und hatte es geschafft, nur kurz nach dem Anschlag Zeugnisse von Überlebenden und Hinterbliebenen für eine über 500 Seiten lange Reportage über die toten Kinder ihres Landes zu sammeln. Ihr Buch „Die Tage danach“wühlte 2012 eine Nation auf, die während des Jahrhundertprozesses gegen von April bis August 2012 jeden Tag das mal reglose, mal feixende Gesicht des Mörders in den Nachrichten ertragen musste. Auch einige ihrer damaligen Interviewpartner erhalten inzwischen Drohungen und Schmähungen in den sozialen Netzwerken. Sie müssten dann so etwas lesen wie „Schade, dass Breivik dich vergessen hat“.
Die Verrohung der Sprache erschreckt Fatland, die verhärteten Fronten in der Diskussion um die Anschläge erstaunen sie aber nicht. Nach einem Ereignis, das jeden betreffe, lägen sich die Menschen erst einmal in den Armen und legten Blumen nieder. „Dann kommt die Wut und die Suche nach Sündenböcken“, sagt Fatland. Für viele scheinen es ausgerechnet diejenigen zu sein, die durch ihr Überleben immer an den Anschlag erinnern werden.
Vielleicht überfordert die Dimension des Erlebten auch ein kleines Land, in dem das Vertrauen zueinander lange die Basis für das Zusammenleben bildete. Und der Täter war ein Mann, der so unscheinbar und so norwegisch schien. Die Sicherheitsbehörden überprüften ihn nicht einmal, als sie vor dem Anschlag von Breiviks Kauf von fast einer Tonne explosiven Kunstdüngers erfuhren. Er hatte ja einen Bauernhof außerhalb von Oslo. Behörden und Regierung hätten zumindest ihre Fehler eingeräumt, sagt Fatland. Sicherer sei das Land aber nur bedingt geworden. Die Norweger hielten fest an ihrer Vorstellung einer offenen Gesellschaft – und Taschenkontrollen beim Betreten öffentlicher Gebäude vertrügen sich mit dieser Idee nicht. Fatland kann die Haltung nachvollziehen. Denn Norwegen war und ist kein Land mit einer gewaltbereiten rechten Szene von Bedeutung. Und doch sind die Anschläge hier geschehen. Es brauchte nur einen Täter, den keine Sicherheitsbehörde auf dem Schirm hatte. „Es ist auch ziemlich schwierig, sich vor jemand wie Breivik zu schützen“, meint Fatland. „So etwas kann überall passieren.“