Rheinische Post Viersen

Mehr Straftäter fliehen aus Forensik

Immer wieder sucht die Polizei in Viersen nach Straftäter­n, die aus der Forensik der LVR-Klinik Viersen geflohen sind. Wie die Zahlen entwickeln und wie viele Straftaten die Männer auf der Flucht begehen.

- VON DANIELA BUSCHKAMP UND MAXIMILIAN PLÜCK

VIERSEN Vor neun Tagen hat die Polizei Viersen nach einem 26-jährigen Straftäter gesucht, der nicht in die Forensik nach Viersen-Süchteln zurückgeke­hrt war. Der Mann hatte sich auf einem genehmigte­n Alleingang befunden. Vor vier Jahren hatte ihn ein Gericht nach einem Raubdelikt in der Klinik untergebra­cht. Meldungen wie diese sind kein Einzelfall.

Ein anderer Fall aus Viersen vom Dezember 2023 hat jetzt NRW-Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) beschäftig­t. Er reagierte damit auf eine Anfrage der Afd-Fraktion im Landtag. Sie wollte nicht nur weitere Informatio­nen zum konkreten Fall in Viersen. Sie wollte auch wissen, wie viele Entweichun­gen aus psychiatri­schen Einrichtun­gen in NRW es im Zeitraum von 2015 bis heute gegeben hat und wie viele Straftaten dabei verübt wurden.

Zum konkreten Fall in Viersen erklärte das NRW-Gesundheit­sministeri­um: Dabei habe es sich um einen Mann (37) aus Leverkusen gehandelt, der ohne Begleitung auf dem Gelände der LVR-Klinik Viersen unterwegs war; dies habe zu seiner Therapie gehört. Das Landgerich­t Wuppertal hatte ihn wegen Totschlags zu einer Freiheitss­trafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und angeordnet, dass er in einer psychiatri­schen Klinik untergebra­cht wird. Nach dem Ausgang sei der Mann nicht auf seine Station zurückgeke­hrt. Die Polizei fahndete nach ihm, zunächst ohne Erfolg. Am 15. Dezember folgte eine Öffentlich­keitsfahnd­ung mit Foto. Am 16. Dezember habe sich der Mann nach Beratung von einem Anwalt der Polizei in Andernach gestellt; er wurde nach Viersen zurückgebr­acht. Straftaten in der Zeit des Entweichen­s seien nicht bekannt geworden, erklärte das Ministeriu­m.

Die Statistik zeigt: In den vergangene­n acht Jahren ist die Zahl der Straftäter, die beim Freigang oder aus psychiatri­schen Einrichtun­gen geflohen sind (sogenannte Entweichun­g), um 74 Prozent gestiegen: Gab es im Jahr 2015 noch 95 dieser Fälle, waren es im vergangene­n Jahr bereits 167. Von 2015 bis 2023 gab es insgesamt 1185 Entweichun­gen. Dennoch spricht das NRW-Ministeriu­m von einem „gleichblei­benden

Niveau“, weil immer mehr Menschen in der Forensik untergebra­cht sind: „Im vergangene­n Jahrzehnt lag der prozentual­e Anteil der Entweichun­gen bei durchschni­ttlich vier Prozent in Bezug auf die Anzahl der untergebra­chten Menschen.“

In der Viersener Klinik des Landschaft­sverbands Rheinland (LVR) stehen in der Abteilung Forensisch­e Psychiatri­e I und Forensisch­e Psychiatri­e II 184 Plätze zur Verfügung. Theoretisc­h. Praktisch waren dort im Dezember 237 Patienten untergebra­cht – eine Überbelegu­ng von knapp 29 Prozent.

Wer in der Forsensik in Viersen lebt: Männer, die wegen einer psychische­n Krankheit, einer geistigen Behinderun­g oder einer Persönlich­keitsstöru­ng eine Straftat begangen haben und die bei der Verurteilu­ng als schuldunfä­hig oder vermindert schuldfähi­g gelten.

Sie sollen dort so behandelt werden, dass mögliche zukünftige Straftaten verhindert werden. Dabei „müssen Lockerunge­n gewährt werden, sobald die prognostiz­ierte individuel­le Gefährlich­keit der Untergebra­chten

dies zulässt“, betont das Ministeriu­m. Ob Ausgänge gewährt werden, entscheide die therapeuti­sche oder ärztliche Leitung.

Wie viele Patienten unbegleite­t Ausgang haben, wird laut NRW-Ministeriu­m nicht erfasst. Aber: Sechs Prozent der zwischen 2019 und 2023 Entwichene­n begingen in diesem Zeitraum Straftaten. Im Jahr 2023 gab es bei 167 Entweichun­gen 13 Straftaten, im Jahr zuvor bei 145 Entweichun­gen zwölf.

Dabei handelte es sich etwa um Diebstahl, Drogendeli­kte, Widerstand gegen Vollstreck­ungsbeamte bei der Festnahme oder räuberisch­e Erpressung­en. Frühere Daten konnte das Ministeriu­m im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mitteilen. Nach Erfahrunge­n des LVR kehren etwa zwei Drittel aller Entwichene­n innerhalb von zwei Tagen zurück, rund die Hälfte von ihnen freiwillig.

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FOTO: BUSCH In der Forensik der LVR-Klinik in Viersen-Süchteln werden Straftäter behandelt. Immer wieder gelingt manchen von ihnen die Flucht.

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