Mehr Straftäter fliehen aus Forensik
Immer wieder sucht die Polizei in Viersen nach Straftätern, die aus der Forensik der LVR-Klinik Viersen geflohen sind. Wie die Zahlen entwickeln und wie viele Straftaten die Männer auf der Flucht begehen.
VIERSEN Vor neun Tagen hat die Polizei Viersen nach einem 26-jährigen Straftäter gesucht, der nicht in die Forensik nach Viersen-Süchteln zurückgekehrt war. Der Mann hatte sich auf einem genehmigten Alleingang befunden. Vor vier Jahren hatte ihn ein Gericht nach einem Raubdelikt in der Klinik untergebracht. Meldungen wie diese sind kein Einzelfall.
Ein anderer Fall aus Viersen vom Dezember 2023 hat jetzt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) beschäftigt. Er reagierte damit auf eine Anfrage der Afd-Fraktion im Landtag. Sie wollte nicht nur weitere Informationen zum konkreten Fall in Viersen. Sie wollte auch wissen, wie viele Entweichungen aus psychiatrischen Einrichtungen in NRW es im Zeitraum von 2015 bis heute gegeben hat und wie viele Straftaten dabei verübt wurden.
Zum konkreten Fall in Viersen erklärte das NRW-Gesundheitsministerium: Dabei habe es sich um einen Mann (37) aus Leverkusen gehandelt, der ohne Begleitung auf dem Gelände der LVR-Klinik Viersen unterwegs war; dies habe zu seiner Therapie gehört. Das Landgericht Wuppertal hatte ihn wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt und angeordnet, dass er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird. Nach dem Ausgang sei der Mann nicht auf seine Station zurückgekehrt. Die Polizei fahndete nach ihm, zunächst ohne Erfolg. Am 15. Dezember folgte eine Öffentlichkeitsfahndung mit Foto. Am 16. Dezember habe sich der Mann nach Beratung von einem Anwalt der Polizei in Andernach gestellt; er wurde nach Viersen zurückgebracht. Straftaten in der Zeit des Entweichens seien nicht bekannt geworden, erklärte das Ministerium.
Die Statistik zeigt: In den vergangenen acht Jahren ist die Zahl der Straftäter, die beim Freigang oder aus psychiatrischen Einrichtungen geflohen sind (sogenannte Entweichung), um 74 Prozent gestiegen: Gab es im Jahr 2015 noch 95 dieser Fälle, waren es im vergangenen Jahr bereits 167. Von 2015 bis 2023 gab es insgesamt 1185 Entweichungen. Dennoch spricht das NRW-Ministerium von einem „gleichbleibenden
Niveau“, weil immer mehr Menschen in der Forensik untergebracht sind: „Im vergangenen Jahrzehnt lag der prozentuale Anteil der Entweichungen bei durchschnittlich vier Prozent in Bezug auf die Anzahl der untergebrachten Menschen.“
In der Viersener Klinik des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) stehen in der Abteilung Forensische Psychiatrie I und Forensische Psychiatrie II 184 Plätze zur Verfügung. Theoretisch. Praktisch waren dort im Dezember 237 Patienten untergebracht – eine Überbelegung von knapp 29 Prozent.
Wer in der Forsensik in Viersen lebt: Männer, die wegen einer psychischen Krankheit, einer geistigen Behinderung oder einer Persönlichkeitsstörung eine Straftat begangen haben und die bei der Verurteilung als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gelten.
Sie sollen dort so behandelt werden, dass mögliche zukünftige Straftaten verhindert werden. Dabei „müssen Lockerungen gewährt werden, sobald die prognostizierte individuelle Gefährlichkeit der Untergebrachten
dies zulässt“, betont das Ministerium. Ob Ausgänge gewährt werden, entscheide die therapeutische oder ärztliche Leitung.
Wie viele Patienten unbegleitet Ausgang haben, wird laut NRW-Ministerium nicht erfasst. Aber: Sechs Prozent der zwischen 2019 und 2023 Entwichenen begingen in diesem Zeitraum Straftaten. Im Jahr 2023 gab es bei 167 Entweichungen 13 Straftaten, im Jahr zuvor bei 145 Entweichungen zwölf.
Dabei handelte es sich etwa um Diebstahl, Drogendelikte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei der Festnahme oder räuberische Erpressungen. Frühere Daten konnte das Ministerium im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mitteilen. Nach Erfahrungen des LVR kehren etwa zwei Drittel aller Entwichenen innerhalb von zwei Tagen zurück, rund die Hälfte von ihnen freiwillig.