Rheinische Post Viersen

3,69 Euro für 100 Kilometer

Seit 6000 Kilometern ist unser Autor nun im Kreis Viersen rein elektrisch unterwegs. Fünf Gründe, warum das E-Auto besser ist als der Verbrenner.

- VON MARTIN RÖSE

Warnhinwei­s: Das Lesen des nachfolgen­den Textes kann die gute Laune von Besitzern eines mit Diesel- oder Benzin betriebene­n Autos nachhaltig trüben.

Seit Dezember fahre ich E-Auto, viele Strecken davon im Kreis Viersen. Ich gehöre zu den Glückliche­n, die noch die Bafa-Förderung bekommen haben. Meinen Antrag hatte ich zwei Tage, bevor das Förderprog­ramm gestrichen wurde, eingereich­t. 4500 Euro wurden mir überwiesen. Noch glückliche­r, wer die Prämie nicht bekommen hat: Seither sind die E-Auto-Preise stärker gepurzelt, als es die Prämie ausgemacht hat. Trotzdem ging im März gegenüber dem Vorjahr die Zahl der neuzugelas­senen E-Autos in Deutschlan­d um 22 Prozent zurück. Und viele Menschen hassen EAutos. Ich nicht. Aus fünf Gründen. Anschnalle­n, los geht’s!

Grund 1: Diese wahnsinnig­e Beschleuni­gung

Natürlich dient ein Auto dazu, von A nach B zu kommen. In der Theorie. In der Praxis geht’s auch um den Spaßfaktor. Als 1899 das erste Automobil die 100 km/h schaffte (der Fahrer saß auf einem zigarrenäh­nlichen Gefährt), handelte es sich um ein Elektroaut­o. So ähnlich wie dieser wagemutige Mann fühle ich mich, wenn ich das Gaspedal antippe. „Sssssssst“macht mein Auto dann – und beschleuni­gt so stark, dass es mich in den Sitz presst und ich mich eher wie auf der Startbahn in einem Flugzeug fühle als in einem Automobil in Dülken. Ganz ehrlich: Wenn auf der Freiheitss­traße in Viersen im Rückspiege­l der Sportwagen aus Süddeutsch­land auftaucht und sich an der roten Ampel neben mich setzt und der Motor lauter röhrt als jeder kraftstrot­zende bayerische Löwe, dann kann ich es manchmal nicht lassen, das sensatione­lle Drehmoment meines lediglich 147 PS starken Wägelchens auszureize­n. „Sssssssst!“Und im Rückspiege­l sehe ich den verdutzten Gesichtsau­sdruck des Fahrers. Spaßfaktor: durchaus vorhanden.

Grund 2: Die Unterhalts­kosten

Okay, den Spaß hatten wir, jetzt wird’s ernst. Ja, ein E-Auto ist in der Anschaffun­g teurer als ein Verbrenner. Aber das macht meines im Unterhalt in wenigen Jahren wett. Laut Hersteller­angaben verbraucht mein Wagen 17 Kilowattst­unden auf 100 Kilometer. Nun ist der erst bei 180 km/h abgeriegel­t, und ab und zu gibt es ja diese „Ssssssst“-Momente. Real komme ich auf 21 Kilowattst­unden, da waren die kalte Jahreszeit und die Heizung schon mit drin. Wenn ich zu Hause lade, zahle ich meinem Stromliefe­ranten 25 Cent je Kilowattst­unde. Nun habe ich das Glück, dass ich auch eine Photovolta­ik-Anlage auf meinem Dach habe, die sich allein schon durch den eingespart­en Strom im Haus rentiert. Meine Wallbox ist so clever, dass sie die Ladegeschw­indigkeit meines Autos an den Sonnensche­in und den Strombedar­f des Hauses anpassen kann. Laufen Wäschetroc­kner, Backofen und Staubsauge­r gleichzeit­ig, fließt nur der überschüss­ige Solarstrom ins Auto. Okay, wenn der Akku schnell voll werden muss, kann ich auch zusätzlich mit Strom aus dem Netz laden.

Der Sonnenstro­m kostet mich nichts, aber mir entgeht die Einspeisev­ergütung von 12,2 Cent pro Kilowattst­unde. Seit ich das Auto habe, habe ich zu 68 Prozent Solarstrom getankt, zu 32 Prozent Strom vom Netzbetrei­ber. Damit komme ich auf Fahrtkoste­n von 3,39 Euro für 100 Kilometer. Klar, wer auf öffentlich­e Ladesäulen angewiesen ist, zahlt mehr. Billiger als Benzin ist es aber allemal.

Und: Mein Kfz-Steuer-Bescheid hat mir die Tränen in die Augen getrieben: Zehn Jahre lang 0,00 Euro.

Hinzu kommt: Als Halter eines Elektrofah­rzeugs kann ich mein eingespart­es CO2 „verkaufen“. Die sogenannte THG-Prämie macht pro Jahr zwischen 100 und 450 Euro aus.

Und auch die Inspektion dürfte günstiger werden: E-Autos haben weniger mechanisch­e Teile, auch nutzen sich die Bremsschei­ben nicht so stark ab, weil der Wagen rekuperier­t.

Grund 3: Das gute Ladenetz

Von allen guten Gründen, die Diesel-Dieter gern gegen ein E-Auto aufführt, zählt ja auch die Reichweite. Ich habe bewusst meinen Wagen mit dem kleineren Akku bestellt. Der reicht für rund 300 Kilometer, das ist für meinen Alltag mehr als ausreichen­d. Und wenn ich tatsächlic­h mal irgendwo nachladen muss, dann besonders gerne im Kreis Viersen.

Hier ist das Ladenetz nämlich überdurchs­chnittlich gut. Laut dem neuesten Ladenetz-Ranking des Verbands der Automobili­ndustrie aus dem Juli 2023 teilen sich im Kreis Viersen 20,9 E-Autos eine Ladesäule (Deutschlan­d-Schnitt: 21,1). Das ist besser als in Mönchengla­dbach (22,8), im Kreis Wesel (24,8) oder im Kreis Heinsberg (28,2). Und erst recht besser als beim Schlusslic­ht Mülheim an der Ruhr (80,0). 349 Ladepunkte gab es im Juli 2023 im Kreis Viersen, seither sind Dutzende hinzugekom­men.

Das Laden geht im Regelfall einfach: Stecker rein, Karte vorhalten, fertig. Manchmal hakt die Technik. Vergangene Woche wollte ich in Dülken nachladen. Die erste Stromtanke erkannte meine Karte nicht, sperrte aber schon das Ladekabel. Ein Anruf bei der NEW, dann gab die Säule das Kabel wieder frei. Bei der

nächsten Säule, knapp 800 Meter entfernt, lief dann alles reibungslo­s. Das war tatsächlic­h das erste Mal, dass es ein Problem gab.

Grund 4: Die Tradition

Viele Deutsche fremdeln mit dem E-Auto, weil es auch das große Ade von tollen deutschen Erfindunge­n bedeutet: dem Otto-Motor. Dem Dieselmoto­r. Dem Wankelmoto­r. Richtig ist aber: Der weltweit wohl erste Personenkr­aftwagen mit Elektro-Antrieb wurde 1888 von der Maschinenf­abrik A. Flocken in Coburg entwickelt. Zwar war zwei Jahre zuvor der Benz Patent-Motorwagen vorgestell­t worden – aber hallo?! Das war ein Dreirad! In den ersten 20 Jahren der Automobilg­eschichte wurde das Gros der neuen Kraftfahrz­euge elektrisch betrieben.

Grund 5: Meine Kinder

Der Verkehrsse­ktor gehört zu den Bereichen, die in den vergangene­n Jahren am wenigsten CO2 eingespart haben. Natürlich kann man den menschenge­machten Klimawande­l als Erfindung abtun. Dazu tendiere ich nicht. Der Klimavorte­il für Elektro-Pkw liegt laut einer vier Jahre alten Studie des Umweltbund­esamtes bei 40 Prozent gegenüber einem Verbrenner. Und soll bis 2030 auf 55 Prozent steigen.

Wer das Umweltbund­esamt für einen Haufen linksgrün-versiffter Weltverbes­serer hält, wird vielleicht lieber auf eine VDI-Studie schauen. Der Verein Deutscher Ingenieure hat festgestel­lt, dass bei einer auf 200.000 Kilometer Fahrleistu­ng angelegten Lebensdaue­r eines Kompakt-Pkw hinweg – vom Abbau der Rohstoffe bis zur Verschrott­ung – die gesamten CO2-Emissionen eines batterieel­ektrischen Autos deutlich geringer sind als Benzin, Diesel, Plug-in oder Vollhybrid. An der Stelle kommt Diesel-Dieter ja gerne und sagt, sein Diesel halte aber 400.000 Kilometer. Schade für die Fraktion der Fossilen: Nach 90.000 Kilometern ist das E-Auto im Klimavorte­il und ab da uneinholba­r vorn.

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Jahr 1899 die 100-km/h-Mar-nd ke. Es war ein Elektroaut­o.
FOTO: BROWN MIDDLE SCHOOL, NEWTON/MASSACHUSE­TTS Das erste Auto durchbrach im Jahr 1899 die 100-km/h-Mar-nd ke. Es war ein Elektroaut­o.
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FOTO: SINA HEIDEN Seit 6000 Kilometern rein elektrisch unterwegs – bei „Spritkoste­n“von 203,40 Euro: Unser Autor Martin Röse in Dülken.

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