Spion unter Ingenieuren
Die Uni Duisburg-Essen hat seit sieben Jahren Kontakt mit einem Düsseldorfer, der wegen des Verdachts auf Agententätigkeit für China festgenommen wurde. Vor allem beim Lehrstuhl für Mechatronik war Herwig F. ein gefragter Mann.
Etwa zwei Monate, bevor Herwig F. mit seiner Frau Ina in der gemeinsamen Wohnung in Düsseldorf wegen Spionageverdachts verhaftet wurde, hielt der Ingenieur einen Vortrag bei einem Netzwerktreffen des Landes Nordrhein-Westfalen. Unter dem Motto „Erfolgreiche Forschung und Innovation in Europa“kamen Mitte Februar 300 Menschen auf Einladung von Zenit zusammen – der Innovationsagentur des Landes, getragen vom Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium.
Herwig F. präsentierte am 15. Februar in einem Tagungshotel am Düsseldorfer Flughafen ein Unternehmen namens „Flait“. F. stellte sich als Technikchef (CTO) vor und führte aus, wie man mithilfe von autonom fahrenden und elektrisch betriebenen Kleinfahrzeugen den städtischen Verkehr „sauberer, sicherer und effizienter“machen könne. Die Folien des Vortrags liegen unserer Redaktion vor. Am Schluss listet F. sein „Netzwerk“auf. Ganz oben: der Lehrstuhl für Mechatronik an der Universität Duisburg-Essen.
Eine Sprecherin der Uni schreibt auf Anfrage, dass sich der mutmaßliche Spion schon seit sieben Jahren am Campus vernetzt: „Seit 2017 besteht ein Kontakt zwischen der Universität Duisburg-Essen und der Firma Innovative Dragon Limited“, heißt es in einer Stellungnahme. Dazu muss man wissen: Auch bei dieser Firma war F. nach eigenen Angaben technischer Leiter. Und aus dieser Firma ging das Fahrzeug-Forschungsprojekt „Flait“hervor, das der Beschuldigte nur Monate vor seiner Festnahme bei dem Netzwerktreffen in Düsseldorf präsentiert hatte.
Die langjährige Verbindung zwischen dem mutmaßlichen Spion und der Duisburger Uni ist mehr als brisant. Denn die Bundesanwaltschaft wirft Herwig F., seiner Frau und einem Geschäftspartner „geheimdienstliche Agententätigkeit“vor. Die drei wurden an diesem Montag verhaftet und sind „dringend verdächtig, seit einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor Juni 2022 für einen chinesischen Geheimdienst tätig zu sein“.
Konkret wird dem Ehepaar F. vorgeworfen, dass sie „von Düsseldorf aus eine Firma betreiben. Diese dient als Medium zur Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit Personen aus der deutschen Wissenschaft und Forschung“. Die Bundesanwaltschaft will nicht sagen, welche Firma und welche Hochschule benutzt wurde, um deutsche Technik an den chinesischen Geheimdienst zu verraten. Auf der (mittlerweile offline gestellten) Internetseite von „Innovative Dragon“stehen sechs deutsche Universitäten als Referenz, darunter auch der
Lehrstuhl für Mechatronik an der Uni Duisburg-Essen. Fakt ist, dass Herwig F. über seine Firma und das Projekt „Flait“an dieser Uni bis zuletzt sehr gute Kontakte hatte.
Die Sprecherin der Universität betont, dass man „aufgrund der aktuellen Erkenntnisse ab sofort den Kontakt mit dem Unternehmen und seinen Akteuren“einstelle. Als erste Maßnahme wurde Herwig F. aus dem Programm einer Fachtagung gestrichen, die im Juni 2024 im Duisburger City Palais stattfindet. Ursprünglich war auch dort ein Präsentationsstand des mutmaßlichen Spions vorgesehen, um das Projekt „Flait“vorzustellen.
Die jährlich stattfindende Fachtagung heißt „Wissenschaftsforum Mobilität“und ist ein prestigeträchtiges
Event der Fakultät für Ingenieurwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen. Schon bei der Veranstaltung im Jahr 2019 hatte Herwig F. teilgenommen und sein Projekt präsentiert. Im dazugehörigen Tagungsband gibt es ein ganzes Kapitel über sein „Mobilitätssystem“.
Auch in den Jahren nach der ersten Teilnahme an diesem Forum blieb der Austausch eng. Die UniSprecherin schreibt: „2019 und 2021 wurden gemeinsame Projektanträge zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der Förderung von Elektromobilität gestellt, die jedoch keinen Erfolg hatten.“Und: „Vom Februar 2021 bis Dezember 2022 schloss sich eine informelle Beratung zum Thema ,Autonomes Fahren‘ an. In diesem Rahmen wurden auch Abschlussarbeiten angefertigt.“
Man weiß nicht, seit wann genau sich Herwig F. mit seinem Projekt für den chinesischen Geheimdienst zu Spionagezwecken andiente – die Generalbundesanwaltschaft schreibt nur von „einem Zeitpunkt vor Juni 2022“. Damit ist aber klar, dass sich die Spionage wohl auch am Duisburger Campus und rund um das autonome Fahrzeugprojekt „Flait“abgespielt haben muss.
Und die Verbindungen haben sich über die Zeit intensiviert: „Im Jahr 2022 fanden Gespräche über die Einrichtung einer Teststrecke statt“, heißt es von der Uni. 2024 schließlich begann eine ganz persönliche Beziehung zwischen einem Duisburger Professor und dem mutmaßlichen Düsseldorfer Spion. Die Sprecherin schreibt: „Seit diesem Frühjahr ist einer der Lehrstuhlinhaber der Universität DuisburgEssen als stiller Teilhaber mit fünf Prozent an einer neu gegründeten Firma beteiligt. Das Unternehmen wurde gemeinsam mit Personen aus dem Umfeld der Innovative Dragon Limited angemeldet.“
Tatsächlich wurde das Unternehmen namens „Flait GmbH“im Januar dieses Jahres ins Handelsregister eingetragen. Genau jene Firma hatte Herwig F. im Februar bei dem Netzwerktreffen in Düsseldorf vorgestellt und wollte sie auch im Juni in Duisburg präsentieren. Auf der Internetseite wirbt „Flait“damit, „Verkehrsanalysen mit der Uni Duisburg-Essen“gemacht zu haben.
Am Lehrstuhl für Mechatronik der Uni Duisburg-Essen war Herwig F. mit seinem Konzept so präsent, dass sich dort 2021 sogar drei Studenten in ihren jeweiligen Abschlussarbeiten dem Projekt „Flait“gewidmet haben. Mindestens einer davon ist chinesischer Staatsbürger. Das ist relevant, weil die Regierung in China nach Angaben des deutschen Verfassungsschutzes gezielt Studenten als Spitzel für ausländische Technologie auswählt.
Die Uni Duisburg-Essen betont zwar mehrfach, dass der Austausch zwischen der ingenieurwissenschaftlichen Fakultät und dem mutmaßlichen Spion „ausschließlich zivile Anwendungen des autonomen Fahrens“behandelt habe. Allerdings kann genau das ein Einfallstor für Spionage gewesen sein. Denn Teil der nationalen Strategie Chinas ist eine „Zentralkommission für integrierte militärische und zivile Entwicklung“. Im Kern geht es darum, moderne Technologie für chinesische Interessen einzusetzen.
Wer, so wie Herwig F., ein autonom fahrendes Fahrzeug entwickeln möchte, braucht eine Menge moderne Technologie – und kann den Zugang über ein ingenieurwissenschaftliches Netzwerk bekommen.
Die Generalbundesanwaltschaft wirft Herwig F. und den beiden anderen Beschuldigten ganz konkret vor, „im Auftrag und mit Bezahlung des chinesischen Geheimdienstes MSS von Deutschland aus einen Speziallaser angeschafft“und „ohne Genehmigung nach China ausgeführt“zu haben. Mögliche Anhaltspunkte dazu liefert ebenfalls der Vortrag, den F. im Februar in Düsseldorf hielt. Denn auf der Folie zu seinem „Netzwerk“führt der mutmaßliche Spion neben dem Duisburger Lehrstuhl für Mechatronik auch ein Unternehmen aus dem Saarland an, das auf Mess- und Navigationssysteme spezialisiert ist. Zu dessen Portfolio gehört nach eigenen Angaben auch ein „System für das Laserscanning mit höchster Genauigkeit“.