Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Manchmal habe ich richtig Heimweh“
Ältere Menschen gehören in der Pandemie zur Hochrisiko-gruppe. In Senioren- und Pflegeheimen gelten deshalb besonders strenge Regeln: kaum Besuche, keine Feiern oder Ausflüge. Drei Bewohner eines Kölner Heims erzählen, wie es ihnen geht.
KÖLN Für ältere Menschen kann das Coronavirus besonders gefährlich sein, in Pflegeeinrichtungen gibt es deshalb viele Schutzmaßnahmen. Im Frühjahr wurden die Bewohner komplett isioliert. Im jetzigen Teil-lockdown dürfen sie zwar Besuche empfangen – allerdings auf ein Minimum beschränkt. Elvira Böhne, Elfriede Hinrichsen und Wilhelm Schmidt leben im Caritas-altenzentrum St. Maternus in Köln. Hier erzählen sie, wie Corona ihr Leben verändert hat.
Elvira Böhne (92) „Als das alles losging im Frühjahr, habe ich das gar nicht so ernst genommen. Das haben wir doch alle nicht. Wir hatten gerade noch Karneval gefeiert, mit Federboa und Hütchen schräg auf dem Kopf. Die Ehrengarde war hier, wir haben Karnevalslieder gesungen und es gab sogar Bier. Danach ging das los mit der Krise. Ich war erst mal sprachlos. Ich dachte erst noch, ach, wir haben ja heutzutage Antibiotika... Dann durften wir das erste Mal nicht mehr raus und keinen Besuch bekommen. Ich habe mich beschäftigt mit Lesen und Sudoku. Mein Zimmer ist eigentlich nicht so klein, aber wenn man eingesperrt ist, hat man natürlich das Bedürfnis, rauszugehen.
Ich habe drei Kinder, vier Enkel und zwei Urenkel, aber alle zusammen haben wir uns zuletzt im Sommer gesehen. Einer meiner Söhne versorgt mich hier und ein Enkel kommt ab und zu. Ich will aber auch nicht, dass die anderen kommen, weil ich Angst habe, dass sie hier jemanden anstecken. Wir haben ja das Telefon.
Manchmal habe ich richtig Heimweh ins Sauerland. Dort haben wir früher gelebt. Mein Sohn war vor dem zweiten Lockdown noch mal mit mir dort, da habe ich meine alten Freunde getroffen, wir hatten alle zusammen viele Jahre eine herrliche Hausgemeinschaft. Das fehlt mir. Und die Berge fehlen mir auch.
Mein Mann ist schon 20 Jahre tot. Ich bin es gewohnt, allein zu sein. Im Oktober 2019 war ich noch mit meinem Sohn in den Alpen. Dieses Jahr wollten wir auch noch mal weg, aber das hat ja nicht geklappt. Na ja, wir sind froh, wenn alles so bleibt jetzt und nicht alles wieder komplett zugemacht wird.
An Weihnachten bin ich eigentlich bei den Kindern, aber ich werde nirgendwo hingehen. Ich habe zu viel Angst, irgendetwas ins Haus zu bringen. Früher bin ich viel gereist, mit meinem Mann, aber auch alleine mit Reisegruppen. Ich habe mir die ganze Welt angeschaut. Jetzt müssen wir erst mal mit Corona fertig werden. Aber wenn ich noch einmal reisen dürfte, würde ich gerne Abschied von den Alpen nehmen.“
Elfriede Hinrichsen (80) „Es ist eine schlimme Zeit, aber ich habe ja auch den Krieg erlebt, das war noch viel schlimmer. Ich glaube, Corona wird uns noch lange beschäftigen. Die Kneipen und Gaststätten bleiben sicher zu, die kleinen Betriebe gehen bestimmt alle baden. Wegen Corona bin ich viel allein. Ich habe zwar viele Freunde, aber die sind ja auch alle in meinem Alter und haben Angst, sich anzustecken. Mein Mann ist 1993 gestorben. Ich habe nur noch eine Cousine, die kommt jetzt wieder jede Woche. Eigentlich haben wir hier viele Veranstaltungen: Sommerfest, Herbstfest, Elfter im Elften und einen Weihnachtsmarkt. Das wurde alles abgeblasen.
Ich schaue viel Fernsehen und lese Bücher. Den Jauch guck’ ich gerne mit seiner Ratesendung oder auch ‚Bauer sucht Frau’, das schau’ ich halt, weil es lustig ist. Ich habe bei der Bundesbahn gearbeitet, als Fernschreiberin und Telefonistin. Bis 1997. Weil ich mit meiner Arthrose die Treppen nicht mehr hochkam, musste ich umziehen ins Heim. Weihnachten verbringe ich auch hier. Die Betreuerinnen werden alles schön schmücken, dann essen wir Abendbrot, vielleicht gibt es was Besonderes. Danach schau ich ein bisschen Fernsehen und gehe ins Bett, so ist es eben. An den Adventswochenenden soll es einen Weihnachtsmarkt ‚To go’ geben, da kann ich mir dann einen Glühwein und Lebkuchen aufs Zimmer bestellen. Vielleicht kommt wieder eine bessere Zeit.“
Wilhelm Schmidt (91) „Ich habe noch nie so eine Isolation erlebt wie in diesem Jahr. Man muss mit sich allein sein können. Ich kann das. Ich höre Mozart und Beethoven und lese Kant und viel Goethe. Wenn ich Glück habe, bringt meine Frau mir eine gute Zeitung mit, damit bin ich dann ein paar Stunden beschäftigt. Sie lebt zwei Kilometer entfernt in unserer Wohnung in der Südstadt.
Mein Erinnerungsvermögen ist inzwischen ganz schlecht, aber meine Frau ist mein Gedächtnis. Sie leidet viel mehr als ich unter der Situation. Sie sagt, dass sie bei jedem Einkauf Angst hat, dass sie mich hinterher anstecken könnte. Eigentlich ist sie gern unter Leuten, das ist alles schwierig für sie. Im Frühjahr durften wir ein paar Wochen lang ja gar keinen Besuch bekommen. Aber ich bin heimlich ganz hinten in den Garten gegangen, meine Frau kam dann oben zur Straße, dann konnten wir uns sehen. Jetzt kommt sie wieder jeden Tag zu mir.
Für mich ist es mit 91 Jahren leichter als für die Jungen, die noch voll im Leben stehen. Ich habe auch keine Angst vor dem Virus. Ich könnte auch die Treppe herunterfallen oder eine schwere Grippe kriegen, für mich macht das keinen Unterschied. Früher war ich als Journalist in Afrika und Nordamerika und habe Geschichten gemacht, unter anderem für den Deutschlandfunk. Was ich erlebt habe, war schön, das muss ich aber nicht wiederholen. Mein Leben ist nicht immer nach meinem Willen gelaufen, aber ich habe die Möglichkeiten ergriffen, die es gab. Ich kann zwar nicht mehr loslaufen wie früher, aber hier macht mir keiner Vorschriften. Keiner sagt etwas, wenn ich erst um Mitternacht ins Bett gehe. Es ist zwar kein freies Leben wie früher. Aber es ist so, wie ich es noch leben kann. Früher bin ich viel Rad gefahren. Wenn ich unten am Rhein bin, kann ich schon traurig sein, wenn ich die Radfahrer sehe. Aber so wie die heute rasen, bin ich nie gefahren.“