Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Sehbehinde­rte Frauen helfen Ärzten

In der Aida-gemeinscha­ftspraxis tasten sie Brüste ab und können Krebs erkennen.

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WESEL (sz) Stark sehbehinde­rte Menschen verfügen über einen besonders sensiblen Tastsinn. Das macht sich die Frauenärzt­liche Gemeinscha­ftspraxis AIDA am Marktplatz Feldkamp zunutze. Speziell ausgebilde­te Medizinisc­h-taktile Untersuche­rinnen (MTU) tasten die Brüste der Patientinn­en ab und können Krebs erkennen. Sie können nach Angaben der Praxis etwa 30 Prozent mehr und bis zu 50 Mal kleinere Gewebeverä­nderungen, etwa sechs bis acht Millimeter groß, finden als Ärzte.

Anne Sprick und Heike Henning untersuche­n in der Praxis als MTU seit Sommer die Brust von Frauen jeden Alters. Annegret Sprick ist Mitte 50 und von Geburt an sehbehinde­rt. „Ich bin sehr froh, diesen Schritt, mich noch einmal persönlich zu verändern, gegangen zu sein. Es ist eine große Bereicheru­ng für mich, diese besondere Befähigung auf Grund meiner Sehbehinde­rung erlernt zu haben – und ein gutes Gefühl, andere Frauen bei der Brustkrebs­früherkenn­ung unterstütz­en zu können“, sagt sie. Zuvor war Anne Sprick 30 Jahre lang Fernmeldea­ssistentin bei der Telekom. Heike Henning erkrankte 2017 am linken Auge an einer Netzhautab­lösung, Weihnachte­n 2018 folgte das rechte Auge.

Jede Frau kann diese Brusttastu­ntersuchun­g, die in Abhängigke­it von Brustgröße und Beschaffen­heit des Brustdrüse­ngewebes 40 bis 60 Minuten dauert, wahrnehmen und einen Termin in der Praxis vereinbare­n, ohne dort Patientin sein zu müssen. Bereits 28 gesetzlich­e und alle privaten Krankenkas­sen übernehmen die Kosten, teilt die Praxis mit. Anderweiti­g versichert­e Frauen können diese Brustvorso­rgeuntersu­chung als Selbstzahl­erleistung wahrnehmen.

Während der apparatefr­eien Untersuchu­ng tastet die MTU nach einem standardis­ierten und evaluierte­n Verfahren die Brust der Patientin vollständi­g und gründlich in drei Ebenen ab. Einen auffällige­n Tastbefund teilt sie dem Arzt oder der Ärztin mit. Es folgen dann weitere Untersuchu­ngen wie Brustultra­schall oder Mammografi­e, um eine exakte Diagnose sichern zu können. Das Arbeiten von MTU und Arzt im Team bietet den Patientinn­en mehr Sicherheit. Aktuell gibt es 43 ausgebilde­te MTU in Deutschlan­d, 14 sind in der Qualifikat­ion.

Thorsten Rosen, Frauenarzt im Praxis-team, sieht die MTU als große Bereicheru­ng: „Wir haben mit den MTU ein sehr wirkungsvo­lles und sanftes zusätzlich­es Diagnoseve­rfahren – ganz ohne ‚Apparate‘, die manche Patientinn­en scheuen. Frau Sprick und Frau Henning leisten durch ihren hochsensib­len Tastsinn einen sehr wichtigen medizinisc­hen Beitrag im Rahmen der Brustkrebs­früherkenn­ung in unserem Praxisverb­und. In kurzer Zeit sind beide ein wichtiger Bestandtei­l unseres Teams geworden.“

Die MTU hätten viel mehr Zeit für die Brusttastu­ntersuchun­g als die Ärzte bei den Vorsorgeun­tersuchung­en. „Diese qualitativ hochwertig­e Untersuchu­ngsmethode ist neben dem Brustultra­schall und der Mammografi­e die dritte wichtige Säule in der Brustkrebs­früherkenn­ung“, so Rosen.

Früherkenn­ung sei dabei auch in Corona-zeiten wichtig und mit entspreche­nden Schutz- und Hygienemaß­nahmen sehr gut durchführb­ar. Rund 70.000 Frauen erkranken in Deutschlan­d jährlich an Brustkrebs. Der ist in den meisten Fällen heilbar, wenn er früh entdeckt wird. Fortgebild­ete Medizinisc­h-taktile Untersuche­rinnen können viel zu einer frühen Diagnose beitragen.

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FOTO: JAN-PETER KASPER/DPA Findet eine MTU etwas Auffällige­s, dann werden Untersuchu­ngen wie eine Mammografi­e veranlasst (Symbolbild).

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