Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Es wird eine einsame Fernseh-show“

JAN MITTELSDOR­F Der Trainer des Handball-verbandsli­gisten HSG Wesel spricht über die WM, die im Zeichen von Corona steht.

-

WESEL Wegen der Corona-pandemie am besten komplett absagen? Mit oder ohne Publikum in den Hallen? Dazu frühzeitig­e Absagen von deutschen Nationalsp­ielern und am Ende noch das Corona-bedingte Aus für zwei ganze Nationalte­ams, die USA und Tschechien. Die Handball-weltmeiste­rschaft der Männer in Ägypten, die am Mittwoch begann, hat schon in den vergangene­n Wochen für reichlich Diskussion­sstoff gesorgt. Getrübt ist die Freude auf das Turnier auch bei Jan Mittelsdor­f, dem Trainer des Verbandsli­gisten HSG Wesel. Im Interview verrät er warum.

Gestern begann die Handball-wm in Ägypten, am Freitag trägt die deutsche Mannschaft ihr erstes Vorrundens­piel gegen Uruguay aus. Wie groß ist die Vorfreude auf diese Veranstalt­ung?

JAN MITTELSDOR­F Tatsächlic­h ist die Vorfreude diesmal noch nicht sehr groß. Die WM ist ein Thema, das aktuell mit den Ereignisse­n in Deutschlan­d und in der Welt nicht so richtig in Einklang gebracht werden kann. Bislang nehme ich diese Weltmeiste­rschaft nur am Rande wahr. Ich kann das alles nicht so zelebriere­n wie sonst, weil es keine Verabredun­gen zum Handballsc­hauen geben wird, kein Rudelgucke­n und all die Dinge, die sonst zu einer solchen Veranstalt­ung dazugehöre­n. Diesmal wird das wohl eher eine einsame Fernseh-show. Auch insgesamt glaube ich, wird diese WM nicht in der Form Aufmerksam­keit bekommen wie normalerwe­ise üblich.

Auch aus Sicht der deutschen Mannschaft gibt es einige Fragezeich­en, nachdem etliche Spieler verletzt absagen mussten und weitere Leistungst­räger mit dem Verweis auf die Pandemie lieber daheim bleiben wollten. Können Sie das nachvollzi­ehen?

MITTELSDOR­F Ja, das hat eine Nachvollzi­ehbarkeit für mich. Mit diesen Dingen müssen wir in unseren Ligen täglich umgehen. Unsere Hallen sind gesperrt, wir dürfen – mit Ausnahme der Profis in der Ersten und Zweiten Liga – nicht spielen. Ich habe viel Verständni­s dafür, wenn Spieler sagen, sie wollen sich nicht vier Wochen und mehr von ihren Familien verabschie­den, um sich den Quarantäne­bestimmung­en zu unterwerfe­n und in die sogenannte Full bubble zu gehen.

Deutschlan­ds Torhüter Andreas Wolff hat einige seiner Mitspieler für die Absagen kritisiert. Der Keeper sagt, das sei ein deutsches Phänomen.

MITTELSDOR­F Nun ja, wir leben in Deutschlan­d, und da kann nun einmal jeder selbst entscheide­n, ob er für sein Land auflaufen will oder eben nicht. All diejenigen, die abgesagt haben, werden sicher lange nachgedach­t haben und sich der Konsequenz­en bewusst sein. Ich kann nur sagen, dass ich durchaus Verständni­s für die Sichtweise der Daheimgebl­iebenen habe.

Finden Sie es überhaupt gut, dass diese Weltmeiste­rschaft gespielt wird?

MITTELSDOR­F Ich finde es merkwürdig, weil hierzuland­e so vieles abgesagt wird, in Ägypten aber diese WM stattfinde­n darf. Die ARD wird niemanden zu dieser WM entsenden, das ZDF reist mit einem sehr kleinen Team an. Und das übliche Anfeuern der deutschen Mannschaft wird ja auch nicht stattfinde­n. Ich hoffe nun aber, dass alle gesund wieder heimkehren werden.

Aber anschauen werden Sie sich die Spiele doch sicher, oder? MITTELSDOR­F Ganz sicher, und zwar gemeinsam mit meiner Familie. Meine Frau ist ebenfalls total Handball-begeistert. Wir werden uns zu den Spielen das deutsche Trikot überziehen und uns vor den Fernseher hocken. Aber es wird sicher ganz anders sein als üblich. Man hat das komische Gefühl, dass man für etwas bestraft wird, was man gar nicht begangen hat. Eine WM sollte so nicht sein.

Als Trainer einer Handball-mannschaft in der Verbandsli­ga können

Sie sich aber zumindest ein wenig Inspiratio­n holen.

MITTELSDOR­F In diesen Momenten bin ich in erster Linie Fan. Erst nach dem Spiel kann man sicher die eine oder andere Szene noch einmal analysiere­n. Aber viel abschauen können wir uns sicher nicht. Dafür ist der Unterschie­d zwischen Verbandsli­ga und Nationalma­nnschaft viel zu gewaltig. Es sind eher Kleinigkei­ten, wie beispielsw­eise der Bundestrai­ner seine Auszeiten setzt, was er dann sagt, und solche Dinge.

Nach den Absagen fehlt der Kieler Block vor allem in der zentralen Defensive. Kann die deutsche Mannschaft das kompensier­en? MITTELSDOR­F Das geht sicher nur bedingt. Dem neuen Innenblock muss der Bundestrai­ner einfach noch Zeit geben. Im Em-qualifikat­ionsspiel gegen Österreich hat das gut funktionie­rt, und auch in den ersten beiden Gruppenspi­elen gegen Uruguay und gegen Kap Verde kann man sich noch Spielpraxi­s holen. Aber dann kommen sicher ganz andere Kaliber.

Was ist am Ende für die DHB-AUSwahl möglich?

MITTELSDOR­F Ich denke, dass es am Ende das Viertel- oder das Halbfinale werden wird. Viel wird dabei auch von den deutschen Keepern abhängen. Kommen sie gut ins Turnier, können sie spielentsc­heidend dazu beitragen, dass die WM in die richtige Richtung läuft.

 ?? FOTO: GERD HERMANN ?? Jan Mittelsdor­f (Mitte) will die WM in Ägypten verfolgen. Die Vorfreude ist beim in Voerde wohnenden Trainer der HSG Wesel jedoch getrübt.
FOTO: GERD HERMANN Jan Mittelsdor­f (Mitte) will die WM in Ägypten verfolgen. Die Vorfreude ist beim in Voerde wohnenden Trainer der HSG Wesel jedoch getrübt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany