Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Schulleiterin geht in den Ruhestand
Über Jahrzehnte hat die Rektorin der Hünxer Förderschule die Inklusion in der Schullandschaft beobachtet, begleitet und vorangetrieben. Sie war Pionierin auf diesem Feld. Vieles ist besser geworden, sagt sie – auch, wenn Familien behinderter Kinder immer
Über Jahrzehnte hat die Rektorin der Hünxer Förderschule die Inklusion in der Schullandschaft beobachtet, begleitet und vorangetrieben.
BUCHOLTWELMEN Wenn Edda Bimmermann-dorn Ende Januar den Schreibtisch räumt, dann nimmt sie mehr als 36 Jahre Erfahrung als Förderschullehrerin und Förderschulleiterin mit in den Ruhestand. Und Erfahrung als Pionierin in Sachen Inklusion im Kreis Wesel. Unter ihrer Ägide wurde das Förderzentrum Xanten ins Leben gerufen, das erste so genannte „Kompetenzzentrum“im Bundesland. Heute sagt sie: „Ich glaube, wir sind immer noch der Kreis in Nordrhein-westfalen, der am meisten Inklusion betreibt. Wir haben sicherlich eine der höchsten Inklusionsquoten.“
Bimmermann-dorn ist im Jahr 2001 als Rektorin an die Waldschule in Bucholtwelmen gewechselt. Die Förderschule hat den Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“. Dort werden Kinder und junge Leute mit geistigen Behinderungen ausgebildet.
In den Jahrzehnten, in denen sie die Entwicklung der bildungspolitischen Landschaft in Sachen Inklusion beobachtet, hat sie eine Veränderung in der Atmosphäre ausgemacht, und zwar etwa seit dem Jahr 2013. Die Stimmung sei „ein wenig gekippt, als auf einmal die allgemeinen Schulen die Aufgabe bei sich ansiedeln mussten“, sagt sie.
Nicht, weil man das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung nicht prinzipiell für wertvoll hielte:„es gibt keine grundsätzlichen Hemmnisse“, attestiert sie speziell den Schulen im Kreis Wesel. Sie würden auch gut durch das Schulamt begleitet. Schwierig sei für die Einrichtungen ab 2013 aber schlicht die zusätzliche Belastung gewesen, „und auch das Gefühl, darauf nicht genügend vorbereitet zu sein“.
Damit spricht sie ein Problem an, das bis heute besteht. „Dennoch ist gemeinsamer Unterricht nicht grundsätzlich zu hinterfragen“, betont Edda Bimmermann-dorn. „Es gibt viele Kinder, auch im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, die sehr vom gemeinsamen Lernen profitieren.“
Gesellschaftlich sei beim Thema Inklusion vieles besser geworden im Laufe der Zeit. Als junge Lehrerin habe sie noch Aufsehen erregt, wenn sie mit ihren Schülern in der Stadt unterwegs war. Heute sei das eine Selbstverständlichkeit, „es ist Teil des alltäglichen Lebens“.
Und auch die Lebensperspektiven von Menschen mit Behinderungen seien heute viel besser als ehedem, ergänzt Reiner Nitschke, stellvertretender Rektor der Waldschule. „Es bleibt eigentlich kein geistig Behinderter ohne Job“, sagt er. „Vor 20 Jahren war der Arbeitgeber beinahe zu 100 Prozent die Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Heute geht ein Teil direkt auf den ersten Arbeitsmarkt.“Es gebe Praktika, Kontakte zu Organisationen. Und auch die Werkstätten hätten jetzt den Auftrag, „unsere Schüler auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten“.
Ebensoviel habe sich im Hinblick auf Selbstbestimmung und Freiheit getan. „Wo lebten geistig Behinderte?“, blickt Nitschke 20 Jahre zurück und antwortet: „Entweder zu Hause bei den Eltern, bis die nicht mehr konnten, oder sie gingen in irgendwelche Heime.“Heute gebe es Wohngruppen, teilselbstständiges oder betreutes Wohnen: viel mehr Chancen auf individuelle Weiterentwicklung.
Allerdings machen es all die positiven Entwicklungen Eltern trotzdem nicht leichter, eine geistige Behinderung beim eigenen Kind zu akzeptieren. Edda Bimmermann-dorn erlebt nach wie vor, dass Eltern auch deshalb davor zurückschrecken, ihr Kind an einer Förderschule anzumelden. Viele Menschen hätten eben ein Bild davon im Kopf, was „geistig behindert“bedeute. „Das stimmt aber nicht mit dem eigenen Kind überein.“
Ihrer Erfahrung nach entscheiden sich Familien häufig am Ende der Grundschulzeit für einen Wechsel auf die Förderschule. Dann, wenn die Anforderungen und der Stress, sich an einer neuen, großen Einrichtung zurechtzufinden, zu groß scheinen. Aber auch, wenn sich zeigt, dass Unterschiede zwischen dem eigenen und anderen Kinder sich nicht ausgleichen, sondern größer werden.
Derzeit gehen 157 Kinder und junge Leute zur Waldschule. „Das
ist ein Allzeit-hoch. So viele Schüler hatte die Waldschule noch nie“, sagt Reiner Nitschke. Edda Bimmermann-dorn wünscht „ihrer“Schule zum Abschied und für die Zukunft, dass eine neue Leitung frische Impulse mitbringt. Dass das Haus die Digitalisierung vorantreibt und das Kollegium sein Engagement und seine Begeisterung beibehalte. Kommissarisch übernimmt ab Februar Reiner Nitschke ihre Aufgaben. Ihre Nachfolge ist bislang ungeklärt.