Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Brychs Elfmeter-pfiff tut Borussia weh
Der Schiedsrichter fügte beim 2:2 in Stuttgart der Geschichte der verspielten Gladbacher Siege ein neues Kapitel hinzu.
STUTTGART Es fehlten Sekunden für den perfekten Start ins Jahr 2021. Mit einem 2:1 beim VFB Stuttgart hätte Borussia Mönchengladbach mit dem dritten Sieg im dritten Spiel des Jahres die Punkte 25, 26 und 27 in dieser Saison eingesammelt und wäre richtig dran gewesen an den Europa-plätzen. Gladbach hätte Druck gemacht auf die Konkurrenten, hätte mit einem Sieg am Dienstag gegen Werder Bremen sogar die Hinrunde theoretisch auf einem Champions-league-rang beenden können. Hätte, hätte, hätte.
Doch bekam Schiedsrichter Felix Brych in der sechsten Minute der Nachspielzeit ein Signal aus dem Kölner Keller, sichtete die Videobilder und entschied dann: Das Klammern von Gladbachs Verteidiger Ramy Bensebaini gegen Stuttgarts Sasa Kalajdzic hatte er im Original als nicht strafwürdig erachtet, bei der zweiten Sichtung aber schon – Elfmeter für Stuttgart. Dass der dritte Blick später dazu führte, dass Brych den Fehler zugab, war der pikante Abschluss der Geschichte, die Gladbach weh tut, weil mit dem 2:2 zum wiederholten Mal zwei Punkte verloren gingen.
Die Borussen bleiben in der Verfolgerrolle. Statt des erneuten Sieges und noch mehr Selbstvertrauen, ist da wieder ein frustrierendes Remis. Wie gegen Union Berlin, Wolfsburg, Augsburg (alle 1:1), Hoffenheim (1:2) gab es ein spätes Gegentor, das Punkte kostete. Insgesamt gingen 18 Punkte nach Führungen verloren, das ist der Spitzenwert in der Liga. Nur ein Bruchteil dieser Punkte mehr auf dem Konto würde die Bundesliga-saison der Borussen in ein anderes Licht rücken. So aber ist der Status quo nach 16 Spieltagen: Gladbach bleibt auf Abstand, statt – was möglich gewesen wäre – mittendrin zu sein. Die Chance, das Straucheln der Konkurrenten aus Leverkusen, Dortmund und Wolfsburg zu nutzen und so neben Union Berlin der große Gewinner des Spieltags zu sein, blieb ungenutzt.
Auch weil Brych übersah, was kaum zu übersehen war. „Es ist eine absolute Frechheit“, giftete Gladbachs Nationalspieler Jonas Hofmann. Vor allem, dass es überhaupt zur Regung aus Köln gekommen war, ärgerte Gladbach. „Ich frage mich, warum kommt dann Köln dazu? Keine klare Fehlentscheidung heißt, der Video-assistent bleibt weg, das ist eine klare Ansage“, sagte Trainer Marco Rose. „Bensebaini geht ein hohes Risiko, weil er den Spieler umklammert. Aber letztlich gibt es noch einen Kontakt vom eigenen Spieler am Fuß. Ich glaube auch, dass der mitentscheidend war“, sagte der Schiedsrichter. „Der Kontakt unten ist mir verborgen geblieben. Ich glaube, Stuttgart kann mit dem Elfmeter glücklich sein.“Unglücklich für Gladbach.
Er fügte der Geschichte der verpassten Siege, die sich durch die Gladbacher Saison zieht, eine neue Variante hinzu. Waren es vorher vor allem individuelle Fehler gewesen, die zu späten Gegentoren führten, so war es dieses Mal eine Schiedsrichterentscheidung, die Gladbach die Punkte kostete. Hätte der Videoassistent Brych in Ruhe gelassen, wären die Borussen wohl mit ihrem 2:1 davon gekommen. Dann wäre erneut Kapitän Lars Stindl der Mann des Tages gewesen, weil er zunächst per Elfmeter traf und dann Denis Zakaria das 2:1 auflegte. So aber gab es keine Gewinner bei den Gladbachern, sondern ein Team, das nicht besiegt wurde, sich aber als betrogener Verlierer fühlte.
Dass die Borussen mit vielen Fehlpässen (nur 78 Prozent Passquote), zu viel Passivität (nur 40 Prozent Ballbesitz, 8:19 Torschüsse), der Tatsache, dass immer wieder lange Bälle in den Straufraum zugelassen wurden, und Bensebainis zu intensives Klammern dem VFB und Brych erst die Möglichkeit eröffneten, noch für das 2:2 zu sorgen, wird den Borussen nicht erst die Spiel-analyse zeigen. So ist es neben Brych der Konjunktiv, der die Gladbacher extrem schmerzt, der Blick auf die Diskrepanz zwischen dem Möglichen und dem Tatsächlichen. „Es ist das fünfte Spiel in der Bundesliga, in dem wir zum Schluss die Punkte liegen lassen. Das sind Punkte, die wir gerne hätten“, gab Hofmann zu.
Den Bayern-sieg konnten die Gladbacher mit dem 2:2 nicht veredeln. Statt einem noch größeren Selbstvertrauen ist nun der Frust über das Remis und seine Umstände da. Schon am Dienstag geht es aber weiter mit dem Heimspiel gegen Werder Bremen. Da will Borussia dafür sorgen, dass es nicht wieder einen traurigen Konjunktiv gibt, sondern Erfolgs-fakten.