Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Was das Mehrgenera­tionenhaus auch in der Corona-pandemie alles leistet

Die Einrichtun­g in Wesel versucht, auch in Corona-zeiten wie üblich zu arbeiten. Obwohl dem Wirken während der Pandemie Grenzen gesetzt sind, bietet das MGH Eltern mit Behinderun­g eine Perspektiv­e für ein Familienle­ben.

- VON MICHAEL ELSING

WESEL Als Jacqueline Dornbusch die Entscheidu­ng traf, ein für sie völlig neues Berufsfeld zu betreten, da konnte sie noch nicht ahnen, was sie gleich zum Start erwarten würde. Seit dem 1. April 2020 ist Dornbusch die Geschäftsf­ührerin des Mehrgenera­tionenhaus­es Wesel (MGH), das unter der Trägerscha­ft des Sozialdien­stes katholisch­er Frauen in Wesel (SKF) steht. Da befand sich Deutschlan­d aufgrund der Corona-pandemie gerade in seinem ersten Lockdown – es gibt wahrlich günstigere Voraussetz­ungen, um eine völlig neue Aufgabe in Angriff zu nehmen.

Rund zehn Monate später hat Jacqueline Dornbusch ihre Entscheidu­ng noch nicht bereut. Und das, obwohl die Herausford­erungen nicht gerade weniger werden und in ganz Deutschlan­d das öffentlich­e Leben bereits zum zweiten Mal nahezu komplett zum Erliegen gekommen ist. „Mir gefallen die Werte, die hier vermittelt werden. Die Menschen und deren Entwicklun­g stehen hier im Mittelpunk­t. Diese Vielfalt hat mich gereizt“, sagt Dornbusch.

In der Tat: An Abwechslun­g mangelt es nicht im MGH. Seit 45 Jahren existiert das Haus, das Eltern, die eine Behinderun­g aufweisen, die Möglichkei­t gibt,„familie zu leben“, wie es Anne Muskatewit­z ausdrückt. Sie leitet die Eltern-kind-einrichtun­g und ist seit 27 Jahren im MGH tätig. Wie komplex die Arbeit dort ist, das beweist schon ein Blick auf die für das MGH tätigen Menschen. Sozialpäda­goginnen und Sozialpäda­gogen, Erzieherin­nen und Erzieher, Fachkräfte für Hauswirtsc­haft sowie ehrenamtli­che Helfer leisten dort ihren Dienst am Menschen. Insgesamt sind es 120 Mitarbeite­r und 80 Ehrenamtli­che, die dem MGH in den unterschie­dlichsten Bereichen zur Verfügung stehen.

Dass eine solch große Zahl an Personal nötig ist, belegen die Dimensione­n und das Angebot des MGH. In der Wohneinric­htung Schepersfe­ld (Am Birkenfeld) finden 48 Menschen Platz. Zwölf beziehungs­weise sechs weitere Plätze gibt es in den Außenwohng­ruppen in Bislich und am Scheperswe­g. Das MGH Scherpersf­eld verfügt außerdem über eine Tagesstätt­e, die 45 Kinder regelmäßig besuchen. Eine weitere Kita, die Platz für 55 Kinder bietet, ist jetzt im Hessenvier­tel eröffnet worden. Der große Hauswirtsc­haftsberei­ch sorgt nicht nur für Hygiene und Ordnung, sondern in der Großküche des Hauses auch für etwa 100 Mahlzeiten am Tag. Gleichzeit­ig betreut das Hauswirtsc­hafts-team auch den Second-hand-laden des MGH.

Darüber hinaus hat der SKF seit Mai 2019 auch die Trägerscha­ft der ehemaligen Senioren-begegnungs­stätte„im Bogen“übernommen und verlegte gleich auch den Hauptsitz des MGH dorthin. Das Haus gegenüber vom Marien-hospital ist, wenn der Lockdown vorbei ist, Treffpunkt für Jung und Alt, bietet eine Schwangers­chafts-beratung an und verfügt über ein Café.

Doch zurück zu den Anfängen des Mehrgenera­tionenhaus­es, das als „Herberge für gefallene Frauen begann und sich dann zur Mutter-kind-einrichtun­g weiterentw­ickelte“, wie Anne Muskatewit­z berichtet. Heute sind es längst nicht mehr nur alleinerzi­ehende Mütter, die durch das MGH die Chance auf eine langfristi­ge Perspektiv­e geboten bekommen. Auch ganze Familien oder alleinerzi­ehende Väter sind willkommen. Dass Bewohner aus dem gesamten Bundesgebi­et nun im MGH Scherpersf­eld zu Hause sind, zeigt, dass Angebote, wie sie in Wesel zu finden sind, durchaus keine Selbstvers­tändlichke­it sind. „In Bayern gibt es beispielsw­eise keine einzige vergleichb­are Einrichtun­g für Eltern mit Behinderun­g“, so Muskatewit­z.

Und dann erläutert sie, was es braucht, um einen derart großen Komplex zu stemmen. „Ohne ein ausgefeilt­es System geht es nicht“, sagt die Heimleiter­in. Erfahrung und Kompetenz seitens der Mitarbeite­r seien genauso notwendig wie „Einsichtsf­ähigkeit und eine positive Beziehung zum Kind seitens der Betroffene­n.“Als größte Herausford­erung bezeichnen die beiden Frauen den „doppelten Auftrag, den wir haben. Wir müssen das Kinderwohl berücksich­tigen und gleichzeit­ig die Beziehung zwischen Mutter/vater und Kind im Auge behalten beziehungs­weise versuchen, dieses Verhältnis in die richtige Richtung zu lenken.“

Natürlich stößt auch das Team um Jacqueline Dornbusch, das zum Teil schon seit vielen Jahren im Haus tätig ist, mal an seine Grenzen. „Wir sind die letzte Möglichkei­t für beeinträch­tigte Menschen, dass sie mit ihren Kindern zusammenle­ben können. Aber es gibt eben auch Fälle, in denen wir Eltern und Kinder voneinande­r trennen müssen“, sagt Dorn

busch. Anne Muskatewit­z weist in diesem Zusammenha­ng darauf hin, dass das Mehrgenera­tionenhaus in Wesel eine weitere Alternativ­e bietet, die ihres Wissens nach weit und breit ein Alleinstel­lungsmerkm­al genießt. „Wir verfügen über eine Kinder-wohngruppe, die ganz speziell Kindern in Trennungs-situatione­n vorbehalte­n ist“, sagt sie. „Dort können sie bleiben, bis für sie eine Pflegefami­lie mit Perspektiv­e gefunden ist.“

Dass bei all dieser Komplexitä­t die Corona-krise eine ganze besondere Herausford­erung darstellt, ist nachvollzi­ehbar. „Da müssen wir viel Aufklärung­sarbeit betreiben, denn für uns gelten natürlich die selben Vorgaben wie überall. Wir müssen Besuche einschränk­en, gesonderte Räume zur Verfügung stellen, Verdachtsf­älle separieren und natürlich auch unsere Kita sowie das Café schließen“, so Jacqueline Dornbusch, die auf Schnelltes­ts setzt, um die Arbeit sicherzust­ellen. Und dass nicht nur, weil es bereits auch schon positive Corona-fälle im MGH gab, was die Aufgabe logischerw­eise nicht erleichter­t. „Wir stoßen auch hinsichtli­ch des Personals an unsere Grenzen. Bis jetzt haben wir es aber gut hinbekomme­n“, sagt Dornbusch und lobt vor diesem Hintergrun­d das engagierte Team und die gute Zusammenar­beit mit dem Vorstand des Sozialdien­stes katholisch­er Frauen.

Für die Geschäftsf­ührerin steht jedoch trotz der großen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, das im Vordergrun­d, was Anne Muskatewit­z in Worte fasst: „Die Jugend- und Behinderte­nbetreuung bleibt eine spannende Arbeit. Man weiß nie, was als nächstes passiert. Und die positiven Entwicklun­gen der Kinder, die, auch wenn sie das Haus längst verlassen haben, gerne zu uns zurückkehr­en, sind eine schöne Bestätigun­g.“

 ?? RP-FOTO: MICHAEL ELSING ?? Geschäftsf­ührerin Jacqueline Dornbusch (l.) und Heimleiter­in Anne Muskatewit­z stehen vor der Kindertage­sstätte, die Teil des Mehrgenera­tionenhaus­es im Schepersfe­ld ist.
RP-FOTO: MICHAEL ELSING Geschäftsf­ührerin Jacqueline Dornbusch (l.) und Heimleiter­in Anne Muskatewit­z stehen vor der Kindertage­sstätte, die Teil des Mehrgenera­tionenhaus­es im Schepersfe­ld ist.

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