Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Markus Gehling und seine Sehnsucht nach Schafen
Markus Gehling bekam Pünktchen und Anton vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt. Mittlerweile hat der Pastoralreferent der katholischen Kirchengemeinde Peter und Paul die beiden Tiere fest ins Herz geschlossen.
VOERDE (P.K.) Neugierig nähern sich Pünktchen und Anton dem Zaun, als Markus Gehling mit zwei Fremden im Schlepptau an diesem tristen Nachmittag bei ihnen vorbeischaut. „Wer die beiden wohl sind?“, scheinen sich die beiden Tiere mit dem natürlich wärmenden Mantel um den Leib zu fragen. Ganz geheuer sind ihnen der Mann, der sich mehrmals in einigem Abstand vor ihnen aufstellt, einen Kasten vor sich hält und sie damit in den Fokus nimmt, und die Frau, die ständig etwas aufs Papier kritzelt, nicht zu sein: Vielleicht ist’s der Scherer, der ihnen schon wieder an die Wolle will, und die Frau womöglich jene Tierärztin, die sie vor Jahren ihres Mannseins beraubt hat. Näää-hähä – da bleiben die beiden Schafe mal lieber auf Sicherheitsabstand.
Die kleinen schwarzen Punkte auf der Nase haben dem einen Schaf seinen Namen beschert. Damit war klar, wie sein Weggefährte – die beiden sind wohl Halbgeschwister – heißen soll. „Da hat Anton dann Pech gehabt“, erzählt Markus Gehling schmunzelnd. Also tragen sie die Namen der beiden Hauptfiguren aus dem Kinderroman von Erich Kästner. Zwar hat Pünktchen in dem Fall ohne eigenes Zutun gezeigt, wo es langgeht, dafür ist ansonsten Anton klar der „Chef im Ring“– der, der als erster von beiden da ist, der vorläuft. Und so kommt’s, dass er schon genüsslich in den Apfel beißt, mit dem sein Halter ihn zu sich gelockt hat, bevor Pünktchen nach einer Weile dazu stößt. Der will auch etwas von dem Leckerbissen abhaben. „Anton ist der Dominantere“, dennoch kämen beide gut miteinander klar, verrät Markus Gehling, den viele in Voerde durch seine berufliche Tätigkeit als Pastoralreferent der katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul kennen.
Die Schafe hat er vor einigen Jahren von seiner Frau Stephanie zu Weihnachten geschenkt bekommen. Der 53-Jährige hatte vorher oft von diesen Tieren geschwärmt, beseelt von der romantischen Idee des Schäfers, der draußen bei seinen Schafen am Lagerfeuer sitzt. „Das war vor der Zeit, seit der wir hier über Wölfe reden“, sagt Markus Gehling. Als Kind machte er erstmals in der Lüneburger Heide nähere Bekanntschaft mit Schafen. Eine Heidschnucke suchte seine Nähe und ließ sich von ihm kraulen. „Schafe sind faszinierende, schöne Tiere“, sagt er.
Pünktchen und Anton waren nicht für die Nachzucht vorgesehen. Ihr Weg wäre wohl gewesen, dass sie als Jungtiere entweder „in der Wurst oder im Topf“gelandet wären. Doch das Schicksal meinte es gut mit ihnen, die Gehlings nahmen sich ihrer an. „Ich habe den Eindruck, sie haben ein schönes Leben“, sagt der Besitzer über seine Schützlinge, die er mindestens einmal am Tag besucht. Seit der gemeinsamen Zeit hat er einiges über sie gelernt: Die Warnung eines Schäfers, dass sich
Pünktchen und Anton womöglich nicht mehr erkennen und aufeinander losgehen könnten, nachdem sie geschoren wurden, hat sich zum Beispiel nicht bestätigt. Was sie gar nicht mögen, ist, wenn sie die Klauen geschnitten bekommen und dafür auf den Hosenboden gesetzt und festgehalten werden.
Die Weideplätze des Schafsduos wechseln. An diesem Nachmittag stehen sie auf der Wiese von Marco Reichel. Dort und andernorts leisten sie als natürliche Rasenmäher ganze Arbeit, und es bieten sich ihnen durch Fallobst begehrte Leckereien. Brombeeren naschen sie trotz Dornen gerne und sie „lieben Weißdorn“. „Die beiden haben aber auch ein Gespür dafür, was nicht geht“, erzählt Markus Gehling: Fingerhut etwa steht nicht auf dem Speiseplan von Pünktchen und Anton.
Die beiden „Monster“, wie ihr Halter sie einmal nennt, machen ihm viel Spaß. Wenn sie gut drauf sind, springen sie auf allen Vieren in die Luft, „wie ein Flummi“, erzählt der in Vreden im Westmünsterland geborene und aufgewachsene Wahl-voerder. Andererseits schenken die beiden ihm auch Ruhe. Und: Wer Tiere halte, habe einen ganz anderen Blick auf die Natur, auf die der Mensch letztendlich angewiesen sei, findet Markus Gehling. Von Computern alleine könne er nicht leben, davon könne er sich nicht ernähren. Der 53-Jährige ist der Meinung, dass die Landwirtschaft hierzulande einen zu geringen Stellenwert hat. „Was wäre es für ein Mangel, wenn wir einen Mangel an Getreide und Mehl hätten“, stellt er mit Blick auf die heutige Konsum- und schnelllebige Gesellschaft fest, in der es bei den Menschen wieder eine Sehnsucht „nach dem Ursprung des Lebens, nach einem unkomplizierten Leben“gebe. Der Umgang mit Tie
„Schafe sind faszinierende Tiere. Ich habe den Eindruck, sie haben ein schönes Leben“Markus Gehling Hobby-schafzüchter
ren eröffne einen anderen Zugang zum Leben, sagt Markus Gehling.
Von Pünktchen und Anton wird etwas ihre Zeit auf Erden überdauern: Einmal hat ihr Halter ihre Wolle verspinnen lassen. „Daraus wird ein Pulli gestrickt“, kündigt Markus Gehling an. Früher sei Wolle ein ganz wertvolles Gut gewesen, heute bekomme man dafür nichts mehr. Der Schafscherer nimmt Pünktchens und Antons geschorene Körperbekleidung mit. Daraus werden dann Wollpellets zum Düngen oder zum Dämmen von Häusern ge
macht. Die Zeit vergeht an diesem Nachmittag wie im Flug und nach etwa anderthalb Stunden hat sich Anton, der zwei kleine Hörner auf dem Kopf trägt, an den Zaun herangetraut. Augenkontakt – der Mensch wagt ganz vorsichtig, einen Finger über des Schafs Nase streichen zu lassen. Dann tastet sich die Hand in die nasse, kräftige Wolle. Anton lässt’s geschehen. Nur die Flummi-einlage gibt es diesmal nicht – Vorführeffekt. Aber vielleicht ja während des nächsten Besuches bei Pünktchen und Anton.