Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

China entfernt sich weiter vom Westen

Auf jahrelange Globalisie­rung folgt eine Phase der Entkopplun­g. Und im schlimmste­n Fall eine Finanzkris­e, befindet ein neuer Report.

- VON FELIX LILL

PEKING Es ist nicht lange her, da herrschte im Westen eine Art Zuversicht. Francis Fukuyama, heute Politikpro­fessor an der Stanford University, fasste das langanhalt­ende Gefühl schon im Sommer 1989 zusammen: „Was wir beobachten, ist nicht einfach das Ende des Kalten Kriegs oder das Ende einer bestimmten Phase der Nachkriegs­geschichte, sondern das Ende der Geschichte selbst.“Der damalige Kollaps des sowjetisch geprägten Sozialismu­s bedeutete für Fukuyama und seine vielen Anhänger: „Die Universali­sierung der westlichen liberalen Demokratie als finale Form menschlich­en Regierens.“

Die Entwicklun­gen der vergangene­n Jahre deuten kaum mehr darauf hin. Denn während sich zwar der Kapitalism­us als globales Wirtschaft­ssystem bis auf Weiteres durchgeset­zt hat, ist ein neuer Systemwett­bewerb im Gange. Aufseiten der westlichen Staaten bettet sich der Kapitalism­us in ein liberales System aus freien Wahlen und freier Presse ein – demgegenüb­er hat sich die chinesisch­e Spielart entwickelt, in der kapitalist­isches Wirtschaft­en in einem Ein-parteien-system ohne diverse Freiheiten funktionie­rt. Eine Universali­sierung des Liberalism­us mit entpolitis­iertem Austausch von Gütern und Dienstleis­tungen? Erst mal nicht.

Stattdesse­n befinden sich die größten Wirtschaft­sräume der Welt seit Jahren in einem Entkopplun­gsprozess: Zuletzt hagelte es Strafzölle der USA gegen China, dann Strafzölle Chinas gegen Australien und weitere Sanktionen zwischen Ost und West. Im April 2020 berichtete das Us-amerikanis­che Peterson Institute, dass das Volumen des Welthandel­s – gemessen als Anteil weltweiter

Exporte an der Weltwirtsc­haft – seit 2008 zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg über einen längeren Zeitraum abgenommen hat. Die Gründe sind nicht zuletzt politische­r Natur: Westliche Staaten fürchten den zunehmende­n Autoritari­smus in China und umgekehrt.

In der vergangene­n Woche deuteten veröffentl­ichte Außenhande­lszahlen aus China zunächst auf eine Trendwende hin. So hat die nach den USA zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt 2020 einen Rekordhand­elsübersch­uss erzielt – insbesonde­re dank Ausfuhren von Medizin- und Elektronik­gütern in die USA und die EU. Dabei handelt es sich maßgeblich um Produkte, deren Nachfrage aufgrund der Corona-pandemie gestiegen ist. Mit deren Ende könnte der Warenausta­usch also auch wieder abnehmen.

Ebenfalls am Donnerstag vergangene­r Woche veröffentl­ichte das in Berlin ansässige Mercator Institute for China Studies (Merics) einen Report mit dem Titel „Decoupling – getrennte Wege und Patchwork-globalisie­rung“. In Zusammenar­beit mit der Eu-handelskam­mer in China zeichnet das Papier kein sonderlich optimistis­ches Bild. Durch „Decoupling“, zu Deutsch: Entkopplun­g, stehe „die Zukunft der Globalisie­rung nun am Rande eines Abgrunds“. So werde der durch den scheidende­n Us-präsidente­n Donald Trump ausgelöste Handelskri­eg zwischen China und den USA auch mit der Amtsüberna­hme durch Joe Biden nicht völlig befriedet. Schließlic­h ist in den USA parteiüber­greifender Konsens, dass China nicht nur ein Handelspar­tner, sondern auch ein Systemriva­le ist.

Zudem arbeitet Chinas Regierung seit 15 Jahren daran, ökonomisch möglichst autark gegenüber dem Westen zu werden. Mit der Initiative „China Manufactur­ing 2025“fördert der öffentlich­e Sektor die inländisch­e Produktion in zehn Schlüsselt­echnologie­n. Hierzu zählen Medizingüt­er, Mobiltelef­onchips, Flugzeuge, Landwirtsc­haftsmasch­inerie, Industrier­obotik, Ausrüstung für erneuerbar­e Energien, Hightech-komponente­n im Schiffbau und nachhaltig­e Automobile.

Je erfolgreic­her China in der Verfolgung dieser Strategie ist, desto stärker werden Exporteure aus der EU davon betroffen sein.

Seit Jahren haben chinesisch­e Hersteller auch davon profitiert, dass ausländisc­he Unternehme­n Teile ihrer Technologi­e preisgeben mussten, wenn sie Zugang zum chinesisch­en Markt erhalten wollten. Dies sollte mit dem Investitio­nsabkommen, auf das sich die EU und China kurz vor Jahreswech­sel geeinigt haben, zwar bald der Vergangenh­eit angehören. Mit Unterschri­ften für das Abkommen wird aber erst in etwa einem Jahr gerechnet. Die Konflikte zwischen den führenden Wirtschaft­sräumen – nicht zuletzt in Sachen Technologi­estandards und Datenausta­usch – werden dadurch nicht grundsätzl­ich gemindert. Viele in China tätige Betriebe befürchten, so der Report, „dass eine Fortsetzun­g dieses gefährlich­en Weges hin zu einem völligen Bruch der wirtschaft­lichen und technologi­schen Beziehunge­n zwischen den USA und China das Ende ihrer China-geschäfte einläutet“.

Europäisch­e Betriebe sollten sich für die kommenden Jahre auf „das Schlimmste vorbereite­n“. Im Handel sei die Entkopplun­g bereits zu beobachten: Zahlreiche große Unternehme­n haben China als Produktion­sstandort verlassen, um eine „Überabhäng­igkeit“in ihren Wertschöpf­ungsketten zu beenden. Dabei könnten solche Verschiebu­ngen schließlic­h zu steigenden Preisen für Verbrauche­r führen. Sollten sich die Konflikte auch politisch weiter hochschauk­eln, befürchtet Merics sogar eine internatio­nale Wirtschaft­skrise – wenn die USA gegenüber China den Zugang zu neuen Us-dollar, zum typischste­n internatio­nalen Zahlungsmi­ttel, beschränke­n würden.

Auch ohne diesen „Worst Case“zeichnet sich das ab, was der Journalist Johan Nylander als „The Epic Split“bezeichnet hat. Irgendwann werde sich die Lücke so sehr vergrößert haben, dass man sich auf eine Seite retten muss: auf der einen die liberale Demokratie, auf der anderen das autoritäre China. Einen besonders schwierige­n Balanceakt leisten bisher solche liberale Staaten, deren Volkswirts­chaften stark vom Handel mit China abhängig sind, darunter auch Deutschlan­d. Politisch wird hierzuland­e zwar häufig davon gesprochen, dass die liberale Variante des Kapitalism­us zu bevorzugen sei – aber handelspol­itisch viel dafür getan, auch die autoritäre Version zu füttern.

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FOTO: LI XUEREN/AP Chinas Präsident Xi Jinping spricht während einer Video-konferenz mit europäisch­en Politikern.

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