Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein Pakt gegen die Bombe
ANALYSE An diesem Freitag tritt der Un-vertrag zum Verbot von Atomwaffen in Kraft. Auf den ersten Blick scheint er wenig zu bewirken – die Atommächte wollen nichts wissen von dem Abkommen. Doch indirekt könnte es Nutzen bringen. USA und Russland besitzen
Auf dem mühsamen Weg zu einer atomwaffenfreien Welt kommt die Menschheit ein Stück weiter. Denn der Vertrag der Vereinten Nationen über das Verbot von Kernwaffen tritt an diesem Freitag in Kraft. Damit schließen die Vertragsstaaten ein klaffendes Loch im globalen Regime der Abrüstung. Der Pakt gegen die Bombe ziele auf die „totale Abschaffung der nuklearen Waffen“, betont Un-generalsekretär António Guterres. Das habe „höchste Priorität“. Tatsächlich verlangte die Un-vollversammlung bereits in ihrer ersten Resolution vom 24. Januar 1946 die Eliminierung der Atomwaffen – vor einem Dreivierteljahrhundert. Doch noch immer verfügen die neun Atomwaffenmächte über 13.400 nukleare Sprengköpfe.
Jetzt verbietet das neue Un-abkommen die Entwicklung, Herstellung, Stationierung, den Einsatz und praktisch alle anderen Aktivitäten rund um die Massenvernichtungswaffen. Die Ächtung der schlimmsten Kriegsgeräte, die je entwickelt wurden, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Denn ein atomarer Schlagabtausch würde die Welt in die größte anzunehmende Katastrophe stürzen. Alles Leben auf dem Planeten könnte ausgelöscht werden. Welches unermessliche Leid Atomwaffen auslösen, weiß die Menschheit spätestens seit Hiroshima und Nagasaki 1945.
Kein Wunder, dass Pazifisten und Konfliktforscher rund um die Welt das neue Un-abkommen begrüßen. So sagt Jan Eliasson, der Vorsitzende des Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm: „Nur eine atomwaffenfreie Welt schließt das Risiko aus, dass die Waffen zum Einsatz kommen.“Doch ob das jemals erreicht wird, bleibt auch mit dem Pakt gegen die Bombe offen.
Bislang sind dem Vertrag nur 51 Länder beigetreten, die meisten von ihnen sorgen militärisch und politisch kaum für Aufsehen: Die Liste reicht von Honduras über Gambia bis Irland. Die fünf offiziellen Kernwaffenmächte aber – die USA, Russland, China, Frankreich sowie Großbritannien – und die meisten ihrer Verbündeten, darunter auch Deutschland, wollen von dem Vertrag nichts wissen. Ebenso weisen die anderen vier Atomwaffenmächte Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea den Pakt zurück. „Der Vertrag ist nicht gültig für Länder, die ihn nicht ratifiziert haben“, erläutert John Krzyzaniak vom Bulletin of the Atomic Scientists in Washington.
Die Regierungen der USA, Russlands, Chinas, Frankreichs und Großbritanniens betrachten ihre Länder als auserwählt: Die fünf beharren auf ihrer rechtlichen Sonderstellung als offizielle Atomwaffenmächte, die sie sich selbst im Atomwaffensperrvertrag von 1970 zuschrieben. Auch wenn sie sich mit demselben Abkommen zu einer vollständigen Abrüstung verpflichtet haben: Wer einmal die Bombe im Arsenal hat, der gibt sie so schnell nicht wieder her.
Dass die führende Atomwaffenmacht, die USA, den neuen Verbotsvertrag fürchtet, zeigt ihre Politik. Seitdem die ersten Gespräche ernsthaft starteten, versuchten die Vereinigten Staaten, das Abkommen zu vereiteln. Das geschah sogar unter dem Präsidenten Barack Obama. Die Us-delegation bei der Nato „ermutigte in starker Form“die Alliierten in einem Brief vom Oktober 2016, die Un-verhandlungen über den Vertrag abzulehnen. Unter Präsident Donald Trump drängten die USA sogar in ruppiger Weise andere Staaten, wieder aus dem Pakt auszutreten.
Diplomatische Kreise stellen unterdessen klar, dass die USA auch unter dem neuen Präsidenten Joe Biden von ihrem eisernen „No“zu dem Anti-nuklear-abkommen nicht abrücken werden. Solange aber die Vereinigten Staaten unnachgiebig bleiben, ist auch von den anderen Atomwaffenstaaten kaum ein Einlenken zu erwarten.
Insgesamt Das schwedische Institut Sipri gibt die Zahl der nuklearen Sprengköpfe in seinem Jahrbuch 2020 mit 13.400 an. Davon seien 3720 gefechtsbereit; 1800 wiederum befänden sich auf „hoher operativer Alarmstufe“. Der Rest bleibt zum Beispiel in Reserve.
Atommächte Russland verfügt demnach über 6375 Sprengköpfe, die
USA über 5800 – beide zusammen besitzen also 90 Prozent aller Atomwaffen. Die übrigen Sprengkörper verteilen sich auf die sieben weiteren Nuklearwaffenmächte China (320), Frankreich (290), Großbritannien (215), Pakistan (160), Indien (150), Israel (90) und Nordkorea (wohl 30 bis 40). Nur die Vereinigten Staaten, Russland, Großbritannien und Frankreich haben laut Sipri Sprengkörper in Gefechtsbereitschaft.
Entwicklung Sipri hält fest, dass alle Mächte ihre Atomarsenale modernisieren. Das letzte bilaterale Abkommen zur atomaren Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland, New Start, läuft im Februar 2021 aus. Vor wenigen Tagen kündigte nach den USA auch Russland seinen Ausstieg aus dem Abkommen über militärische Beobachtungsflüge an.
Was kann der neue Vertrag dann überhaupt bewirken? Langfristig könnte er mehr als eine symbolische Wirkung entfalten. Das hoffen zumindest seine Befürworter. Die Stigmatisierung und Delegitimierung der nuklearen Waffen dürften auf Regierungen abschreckend wirken, die auf den Erwerb der Bombe schielen, lautet die Erwartung. Auch die Atomwaffenmächte geraten fortan in Erklärungsnot, wieso sie Milliarden über Milliarden von Dollar in ihre umstrittenen „Nukes“stecken.
Zudem müssen Länder mit den Massenvernichtungswaffen damit rechnen, dass die Staaten des Anti-atom-pakts sie ständig zum Beitritt drängen. Der Artikel 12 des Abkommens verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, diplomatischen Druck auf Nicht-teilnehmer auszuüben. Das Abkommen „wird die Nuklearwaffen als Währung der internationalen Politik abwerten und ihre militärische Nützlichkeit und ihren politischen Wert beeinträchtigen“, erklärt Ramesh Thakur, ein Abrüstungsfachmann. Der Pakt könnte auch Firmen, die an Atomwaffenprogrammen mitarbeiten oder sie finanzieren, zum Umdenken zwingen. Wer will schon seinen guten Namen für die Produktion verbotener Waffen hergeben? Die Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen ruft Investoren dazu auf, ihr Engagement in den Firmen zu stoppen. Der Slogan lautet: „Don’t bank the bomb.“
Auf einer schwarzen Liste der Kampagne steht beispielsweise der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Zwar hält Airbus fest, dass seine Rüstungssparte Defence and Space keine nuklearen Waffen herstellt. Wohl aber produziere eine 50-Prozent-tochter, die Ariane Group, die M51-trägersysteme für das französische Nuklearwaffenprogramm. Solche Verbindungen zur Bombe dürften in Zukunft noch anrüchiger werden.
Die Deutsche Bank hat die Zeichen der Zeit schon erkannt. Das Geldhaus gab 2018 bekannt, alle Geschäfte mit Firmen vermeiden zu wollen, die im Sektor „kontroverse Waffen“aktiv sind. Darunter fallen Atomwaffen.
„Der Vertrag ist nicht gültig für Länder, die ihn nicht ratifiziert haben“John Krzyzaniak Atomexperte