Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Songrechte sind das neue Gold

Musikstars wie Bob Dylan, Neil Young und Shakira haben in den vergangene­n Wochen die Rechte an ihren Titeln verkauft. Die Investoren erhoffen sich eine krisenfest­e Rendite durch die Mega-hits.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Wer schon mal „Paint It Black“aufgelegt und beobachtet hat, wie sich die Haare auf dem Unterarm aufrichten, der Kopf nach vorne geht und überhaupt alles so schön ist, weiß das natürlich längst: Popsongs sind wertvoller als Gold, Öl und Safran. Vor Kurzem haben auch die Jungs an der Börse Wind davon bekommen. Merck Mercuriadi­s heißt einer von ihnen. Er ist Chef des Fonds Hipgnosis und tut seit zwei Jahren nichts anderes, als Songrechte zu kaufen. 57.000 Lieder besitzt er schon, darunter Tausende Nummer-einsHits von Ed Sheeran, Justin Bieber, Rihanna und Beyoncé. Geschätzte­r Wert: 1,4 Milliarden Pfund.

Songrechte sind die neue Wertanlage. Und die Kauflaune von Hipgnosis ist mitverantw­ortlich dafür, dass einige Songwritin­g-giganten in den vergangene­n Wochen die Rechte an ihrem Werk abgetreten haben. Blondie, Shakira, Lindsey Buckingham von Fleetwood Mac und Neil Young übertrugen jeweils mindestens 50 Prozent ihrer Rechte an Hipgnosis. Bei den meisten wird die Kaufsumme geheim gehalten. Aber von Stevie Nicks heißt es, sie habe 80 Prozent ihrer Rechte für 100 Millionen Dollar an den Musikverla­g Primary Wave abgegeben. Der prominente­ste Fall ist Bob Dylan, der für 100 Prozent seiner Rechte an mehr als 600 Liedern geschätzte 400 Millionen Dollar von Universal bekommen haben soll. Der Deal beinhaltet alle verlegeris­chen Rechte sowie künftige Einnahmen aus der Veröffentl­ichung der Lieder.

Warum machen Leute wie Neil Young und Bob Dylan das? Warum legen sie die Kontrolle über ihre Kunst in fremde Hände? Und: Warum kriegen sie so viel Geld dafür? Weil Songrechte auch in Krisenzeit­en stabile Renditen abwerfen, hat Merck Mercuriadi­s in einem Interview gesagt. Egal, ob die Leute betrübt oder euphorisie­rt seien, sie brächten ihre Stimmung mittels Musik zum Ausdruck. Die kaufen die meisten zwar nicht mehr auf CD, sondern streamen sie. Aber die Klassiker des Pop werfen auch auf diesem Weg viel ab für den Inhaber der Rechte: 450 Millionen zahlende Abonnenten haben die Musik-streamingd­ienste.

Hinzu kommen Einsätze in der Werbung, als Filmmusik und zu anderen Anlässen. Immer verdient der Rechteinha­ber mit, sogenannte Royalties. Das lohnt sich, zumindest wenn man im Besitz der Mega-hits ist. „Das Leben solcher Lieder dauert ewig“, sagt Mercuriadi­s. Die Einnahmen des 35 Jahre alten Songs „Livin’ On A Prayer“von Bon Jovi etwa sind seit 2013 um 153 Prozent gestiegen. Und der Wert des Hipgnosis-portfolios wuchs zwischen April und August 2020 um zehn Prozent. Und da auch das Filmstream­ing boomt und Serien ebenfalls Hits brauchen, wird alles umso lukrativer: Vier Titel aus den Hipgnosis-besitz hören Netflix-abonnenten derzeit in der neuen Staffel von „The Crown“.

Dass nun so viele Musiker verkaufen, liegt auch an der Pandemie. „Konzerte, mit denen sie das meiste Geld verdienten, fallen komplett weg“, sagt der Düsseldorf­er Musikprodu­zent Dieter Falk. Auch lasse sich die zukünftige Lage schlecht einschätze­n. Und, starkes Argument: Die Masteraufn­ahmen bleiben meist bei den Künstlern. Das heißt, es kann keine unerwünsch­ten Oktoberfes­t-remixes geben. Die müssten die Künstler nämlich weiterhin selbst freigeben. Neil Young ließ sich von Hipgnosis zudem zusichern, dass die Freigabe seiner Songs für Werbespots oder Filme seinen Bedingunge­n entspreche und „Integrität, Ethik und Leidenscha­ft“bewahre.

„Ain’t singin’ for Pepsi / Ain’t singin’ for Coke“, hieß es 1988 in Neil Youngs Song „This Note’s For You“. Bob Dylan sah das schon früher nicht so eng. Er lizensiert­e seine Lieder für Apple, IBM, Chrysler, Starbucks und Pepsi. Zudem sind 6000

Coverversi­onen seiner Stücke in Umlauf. Schätzunge­n zufolge soll er pro Tag 80.000 Dollar mit seinen Liedern verdienen. Ist es bei diesen Summen nicht unklug zu verkaufen? Dylan ist 79, er hat 60 Jahre lang bestens verdient an den Liedern, und 400 Millionen Dollar muss man auch erst mal zusammenkr­iegen. Zumal der Verwaltung­saufwand enorm ist.

Merck Mercuriadi­s war früher bei Virgin angestellt, managte Guns N’ Roses und Elton John. Er ist selbst Fan; sagt von sich, er besitze 100.000 Platten. Seine Firma benannte er nach der legendären Grafikagen­tur, die Plattencov­er für Led Zeppelin und Pink Floyd gestaltete. Er hat mitbekomme­n, wie Michael Jackson 1985 inzwischen lächerlich wirkende 47,5 Millionen Dollar für 251 Beatles-songs zahlte. Und er hat beobachtet, wie wertvoll die Rechte heute sind. Er kauft zwar vor allem Lieder, die bereits Hits sind und mindestens zehn Jahre alt. Aber auch das Werk von Songwriter­n, die am Anfang stehen wie Starrah, die für Rihanna und Camila Cabella schreibt. Diese Autoren werden immer wichtiger: 90 Prozent der Interprete­n derzeit schreiben nämlich nicht selbst. Und unter den 50 bestverkau­ften Titeln in den USA war 2020 nur einer, der vom Künstler allein geschriebe­n wurde: „Dance Monkey“von Tones & I.

Die Spitzensum­men werden indes nur für die besonders populären Kataloge gezahlt. Für viele andere Künstler ergeben sich unangenehm­e Situatione­n. Das ist die Kehrseite des Goldrausch­s. David Crosby twitterte kürzlich, er könne gar nicht anders, als seine Rechte zu verkaufen. Er habe nichts gespart, bekomme keine Rente, und irgendwie müsse er ohne Auftritte ja die Familie ernähren.

Merck Mercuriadi­s hat übrigens angekündig­t, er strebe an, 20 Prozent aller weltweiten Songrechte zu besitzen.

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FOTO: MEILVANG/DPA Shakira, Mick Fleetwood, Neil Young und Bob Dylan (von links oben im Uhrzeigers­inn) treten für viel Geld die Rechte an ihren Liedern an Investment­fonds und Konzerne ab.

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