Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Corona-bildungslücken kosten bares Geld
Abitur- und Abschlussprüfungen sollen 2021 stattfinden. Aber Forscher fordern Extra-betreuung für ärmere Schüler.
DÜSSELDORF Das Abitur und alle anderen Abschlussprüfungen sollen in diesem Jahr wie derzeit geplant stattfinden. Es bleibe das Ziel der Landesregierung und aller Bundesländer, den Schülern am Ende ihrer Schulzeit „vollwertige Abschlüsse auf der Basis von Prüfungen zu ermöglichen, die ohne Abstriche in ganz Deutschland anerkannt werden“, sagte Nrw-schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) nach einer Videoschalte der Kultusministerkonferenz (KMK). Das gelte sowohl für das Abitur als auch die mittleren Schulabschlüsse. Grundsätzlich sollen die Prüfungen auch in geschlossenen Schulen möglich sein.
Beim Abitur sollen die Länder sich auch weiterhin aus dem zentralen Aufgabenpool für das Abitur bedienen, „wenn dem nicht zwingende Gründe entgegenstehen“, wie es in dem Kmk-beschluss heißt. Mündliche Prüfungen sollen in diesem Jahr notfalls per Video stattfinden. In NRW kann im Distanzunterricht überdies ab sofort ein Videokonferenztool eingesetzt werden, das an die Landesplattform Logineo angebunden ist. Sie bietet Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit, ihre Schüler zu Videokonferenzen einzuladen. Auch Bildschirmpräsentationen können über diese Funktion geteilt werden.
Den Kmk-beschluss müssen die Bildungsminister nun noch für ihr eigenes Bundesland konkretisieren. Das gilt auch für die Frage des Sitzenbleibens. Hier hat sich die KMK darauf geeinigt, dass Kinder und Jugendliche freiwillig ein Schuljahr wiederholen können, ohne dass es ihnen als Sitzenbleiben angerechnet wird, auch in der gymnasialen Oberstufe.
Ob diese Regelung in NRW so übernommen wird, ist allerdings noch offen: „Fragen zu Versetzungsentscheidungen und weiteren Aspekten, die den Unterricht oder das Schuljahresende betreffen, werden sehr zeitnah entschieden und veröffentlicht“, hieß es aus dem Schulministerium auf Nachfrage.
Nach der Verlängerung der Schulschließungen bis zum 14. Februar warnen Bildungsforscher insbesondere vor den Folgen für ärmere Kinder. Die Spd-nahe Friedrich-ebert-stiftung rät, neben Grundschülern und Abschlussklassen auch sozial benachteiligte Kinder vorrangig in die Schulen zurückkehren zu lassen, sobald es die Infektionslage zulässt. Auf wen dies zutreffe, könnten die Schulen vor Ort am besten entscheiden. In der Phase des Distanzlernens müssten Kinder aus ärmeren Familien zudem einen Ansprechpartner haben, der sie möglichst täglich kontaktiere. Noch besser wäre es, so die Forscher, wenn diese Kinder in festen Kleingruppen in Räumen außerhalb der Schule betreut werden könnten.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte vor massiven Nachteilen für die Schulabgänger in diesem Jahr. „Der Lockdown und die Schulschließungen treffen diejenigen Jugendlichen besonders hart, die in diesem Sommer nach der Schule eine Ausbildung beginnen wollen“, sagte die Dgb-vizevorsitzende Elke Hannack. Die Gefahr sei groß, dass gerade Jugendliche mit einem mittlerem Schulabschluss oder dem Hauptschulabschluss zu den Verlierern der Corona-krise würden.
So hat das Handwerk große Schwierigkeiten, in der Pandemie an passende Bewerber zu kommen. „Im Herbst 2020 kamen die jungen Leute und die Betriebe gar nicht mehr zusammen“, sagte Handwerkspräsident Andreas Ehlert bei einer Veranstaltung mit der Nrw-schulministerin. Der Dachdeckerverband etwa klagte, dass vor allem lernschwache Schüler große Lücken hätten. Gebauer sagte, es gebe Empfehlungen eigens für diese Schüler. Ihrem Krisenmanagement insgesamt erteilte sie die Note 2 minus.
Der Schaden ist für einzelne Schüler wie für die gesamte Volkswirtschaft groß: Sollten die Schulen bis Ende Februar geschlossen bleiben, müsse mit einem Verlust beim Lebenseinkommen der Schüler von 4,5 Prozent gerechnet werden, sagte der Bildungsökonom des Ifo-instituts, Ludger Wößmann, dem „Handelsblatt“. Nichts sei in der Bildungsökonomie so gut dokumentiert wie der Zusammenhang von Bildung und Einkommen. „Auf die Volkswirtschaft hochgerechnet würde sich als Folge von 18Wochen Schulausfall – zwölf Wochen im Frühjahr 2020 und weitere sechs jetzt – ein Verlust von 3,3 Billionen Euro bis zum Ende des Jahrhunderts ergeben“, warnte Wößmann.