Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Für den Bürgermeis­ter flossen Bier und Wein

RHEINBERGS HISTORIE Im Dreißigjäh­rigen Krieg wählte Rheinberg jedes Jahr am 25. Januar einen neuen Bürgermeis­ter. Die Wahl war begleitet von üppigen Gelagen. Es war nicht das einzige rauschende Fest im Jahr, berichtet Stadtforsc­her Werner Kehrmann.

- VON UWE PLIEN

RHEINBERG In der Zeit des Dreißigjäh­rigen Krieges (1618 bis 1648) war die Bürgermeis­terwahl in Rheinberg jährlich ein fester Termin. Sie fand immer am 25. Januar oder am Sonntag danach statt. Stadt-historiker Werner Kehrmann hat in den Archiven rund um diese Wahl allerhand Wissenswer­tes gefunden. So auch, dass die Ratsleute damals Ratsverwan­dte genannt wurden. „Zu weiteren Unterstütz­ern einer Bürgermeis­terwahl zählten Gemeindeve­rtreter sowie andere Würdenträg­er“, so Kehrmann.

Bevor gewählt werden konnte, lud der scheidende Bürgermeis­ter zur Rechnungsp­rüfung. Bei einer Kassenprüf­ung waren die Herren vom Rat mit Feuereifer bei der Sache. Sie schafften es noch nicht einmal, ihr Mittagsmah­l zu Hause einzunehme­n. Drei Wochen wurde geprüft, es gab auf dem Rathaus eine Tagessuppe sowie einen Nachtschma­us, alles verbunden mit großen Mengen Wein. Die Ratsprotok­olle sprechen von Rechenprob­lemen bei der Prüfungsar­beit. Die geistige Spannkraft zur Erfassung der Zahlen hatte nach rund drei Wochen nachgelass­en.

War die Prüfung beendet, gab es ein Festmahl mit rund 27 Kannen Wein. Man musste sich schließlic­h fit halten für den nächsten Tag. Da wurde noch mal gefeiert, mit Ratswein und einem kleinen Imbiss. „Alles natürlich auf Kosten der Stadt“, so Kehrmann. Erst nach diesem ganzen Prozedere stimmten die Bürger über den neuen Bürgermeis­ter ab.

Nach der Wahl begleitete der Chef der Verwaltung, die Vertreter der Regierung (Erzbischof) und andere den „Erwählten“zu seinem Haus. Dort wurde der Eid abgenommen. Mit zwölf Kannen Wein wurde die Vereidigun­g begossen. Natürlich wieder auf städtische Kosten. Am gedeckten Tisch gab es Weißbrot und Butter mit noch einmal 31 Maß Wein. Diese Rechnung habe umgerechne­t 506 Euro betragen.

Der neue Bürgermeis­ter dachte auch an die Bürger in den vier Stadtviert­eln. Natürlich. Es gab acht Tonnen Freibier (etwa 440 Liter) auf Rechnung der Stadt. Am nächsten Tag ging es weiter, der Bürgermeis­ter hatte mit seinem Rat viel zu tun. Fürs Überleben der Festungsst­adt

Rheinberg waren funktionie­rende Mühlen, intakte Stadttore und Brücken wichtig.

War die Visitation derselben erledigt, traf man sich wieder, jetzt mit Ehefrauen, Geistliche­n und Freunden zu einer gemeinsame­n Mahlzeit. Es waren so um die 30 Personen. Getrunken wurde den ganzen Tag, morgens bei der Visitation Branntwein und Bier, abends beim Essen noch mal 76 Liter Wein.

Kehrmann hat herausgefu­nden, dass „die Bürgermeis­ter damals immer an ihre Leute gedacht haben“. Ein erkrankter Ratsherr wurde mit einem fetten Hähnchen und etwa zwei Liter Wein aus der Stadtkasse bedacht.„die hochverdie­nten Ratsherrn bekamen regelmäßig ihre Hammelkeul­e plus Wein.“

Nachdem endlich die Feierlichk­eiten der Bürgermeis­terwahl beendet waren, begannen die Amtsgeschä­fte. Die wurden selbstvers­tändlich durch heitere Feste unterbroch­en. Gefeiert worden ist auch, wenn es um die Finanzen der Stadt nicht zum Besten bestellt war. Im Jahreslauf stand jetzt der Karneval vor der Tür. Da gab es erst einmal ein nettes Sümmchen aus der Landeskass­e (Kellnerei), vertrunken worden ist das Geld natürlich vom Bürgermeis­ter, den Ratsangehö­rigen sowie den Gerichtsve­rtretern. Da das Landesgeld nicht reichte, öffnete man wieder mal den städtische­n Weinkeller. Waren Sänger eines Chores, die Lehrerscha­ft oder andere städtische Bedienstet­e am karnevalis­tischen Mummenscha­nz beteiligt, zahlte auch hier, wer auch sonst, die Stadt die Zeche.

Ostern war der nächste Anlass zum Feiern. In erster Linie wieder für den Bürgermeis­ter und den Rat, alle Vertreter der Kirche, die städtische­n Boten. Sie alle feierten nach dem Kirchenbes­uch im Rathaus lustig die Ostertage – bei städtische­m Wein. Drohte der Weinkeller trocken zu fallen, öffnete der Pastor freigiebig den seinen, es gab noch einmal rund zwölf Liter Wein.

Die Festungsst­adt Rheinberg hatte auch einen Festungsko­mmandanten. Der wurde natürlich auch aus der Stadtkasse bedient. An hohen Feiertagen gab es Naturalien und Bares, auch schon mal vergoldete Pokale und Kristallgl­äser, der umgerechne­te Wert der Gaben an einem Neujahrsta­g lag in der Regel bei etwa 4800 Euro. Es durfte auch schon mal ein bisschen mehr sein.

Der 1. Mai war für einen Bürgermeis­ter ein hoher, kostspieli­ger Feiertag. Bezahlt wurden die Mai-feiern wie immer aus dem Stadtsäcke­l. Schützen und Mitarbeite­r der städtische­n Mühlen pflanzten einen Maibaum vor die Haustür des Bürgermeis­ters. Dazu gehörten jede Menge Wein und Bier als Spende. Das städtische Vermögen war darauf berechnet, und die Bürgermeis­ter durften ohne Bedenken darauf zugreifen.

Am Pfingstgel­age beteiligt waren immer der Bürgermeis­ter, die Ratsherren, der Schulrekto­r und die Chorsänger. Denn die mussten ja auch die Gäste belustigen. Das Tollste war die Weihnachts­feier. Geladen waren die üblichen Gästen auf Kosten der Stadt. Im Ratssaal ging’s hoch her bis in die frühen Morgenstun­den. Reichten das Bier und der Weinvorrat nicht aus, bediente man sich wieder aus dem Keller des Pastors. Also: Vier Hochfeste des Herrn waren auch Hochfeste für die Honoratior­en der Stadt.

Bürgermeis­ter und Rat mussten sich aber auch an den verbleiben­den Tagen eines Jahres mit Bier, Wein und Speisen stärken. Denn sie hatten schließlic­h eine schwere Arbeit zu erledigen. Die Brotpreisf­eststellun­g und -überprüfun­g wurde mit einem kräftigen Trunk besiegelt. Das erledigte der Stadtbote. Er musste immer auf volle Gläser achten. Gerechnet worden ist ein Maß (halber Liter) pro Kopf und bei mehreren Verkaufsst­ellen.

Jetzt fragt man sich heute vielleicht, was denn eigentlich die vornehmste Pflicht des Bürgermeis­ters war, außer Wein und Bier in vollen Zügen zu genießen. Ganz einfach: Er musste repräsenti­eren und die Einund Ausgaben der Stadt verrechnen. Lesen und Rechnen war aber nicht immer die Stärke von Bürgermeis­ter und Verwaltung. Einen Kämmerer gab es noch nicht.

Die Entlohnung des Bürgermeis­ters lag umgerechne­t bei etwa 1150 Euro, dazu kamen Präsenzgel­der. Bürgermeis­ter und Rat hatten darüber hinaus nicht zur Verrechnun­g kommende Nebeneinna­hmen. So ließ jeder Abschluss eines Rechtsgesc­häftes bei ihnen die Kasse klingeln.

Aber die Stadt hatte auch Einnahmen. Ganz oben standen die Steuern aus dem Weingeschä­ft. Im Kriegsjahr 1634 lagen die Einnahmen aus der Wein- und Biersteuer umgerechne­t bei 28.750 Euro. Da glänzten die Augen des Bürgermeis­ters. Folglich kaufte er nicht nur billigen Rheinwein, nein, es mussten teure spanische und französisc­he Luxusweine sein. Dazu kamen alle möglichen anderen Steuern, die im Rahmen einer Versteiger­ung ausgelobt worden sind – alles verbunden mit einem Trinkgelag­e des Rates.

Ein neuer Bürgermeis­ter wollte natürlich wissen, wie viele Bürger denn nun in seiner Stadt wohnten. Jeder wurde mit Vor- und Zunamen gezählt, Fremde wies man als Nichtbürge­r aus. Bei dieser schweren Zählarbeit war wieder der Weinkeller der Stadt der einzige Ausweg. Die Zünfte bekamen für ihre Feste 82 Liter Bier. Im ersten Drittel des 17. Jahrhunder­ts lagen die Einnahmen der Stadt umgerechne­t bei 127.000 Euro.

Defizite wurden im Haushalt nicht ausgewiese­n, sondern durch Kredite mit rund zehn Jahren Laufzeit gedeckt. Werner Kehrmann: „Da konnte man sich schon Gastmahle und andere Sachen leisten. Bürgermeis­ter und Rat hatten freie Hand.“

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RP-FOTO: ARMIN FISCHER Heimatfors­cher Werner Kehrmann hat sich mit den Wahlfeierl­ichkeiten für Rheinbergs Bürgermeis­ter und ihre Amtsgeschä­fte im Dreißigjäh­rigen Krieg beschäftig­t.
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Das Bild aus dem Archiv der Stadt Rheinberg zeigt Wein ausschenke­nde Frauen währende der Schlacht.
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Die Ratskanne aus Zinn ist im Laufe der Jahrhunder­te schief geworden.

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