Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Schon längst Verdachtsfall
MEINUNG Neonazi-vergangenheit, antisemitische Hetze, Schulterschluss mit Querdenkern: Die Einzelfälle in der AFD sind in der Summe bereits genug, um sie zu beobachten. Das will der Verfassungsschutz jetzt wohl tun. Gut so.
Es wäre keine Überraschung, nicht einmal für die Partei selbst: Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang wird die AFD wohl in der kommenden Woche in Gänze zum rechtsextremen Verdachtsfall erklären. Das berichteten mehrere Medien übereinstimmend in dieser Woche. In der siebenjährigen Parteigeschichte, die die AFD nicht nur in alle Länderparlamente brachte, sondern auch in den Bundestag, wäre das eine Zäsur. Und zwar eine notwendige, fast schon überfällige.
Die Dynamik mag mit dem aktuellen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BFV) zusammenhängen:
Thomas Haldenwang erklärte nur wenige Wochen, nachdem er im November 2018 Hans-georg Maaßen abgelöst hatte, die AFD als Ganzes zum Prüffall. Der von ihm gesetzte Zeitrahmen von zwei Jahren ist nun um, und es ist davon auszugehen, dass die Prüfung sorgfältig erfolgte – nach „Spiegel“-berichten lässt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) das gerade nochmals prüfen. Es soll schließlich absolut rechtssicher sein.
Denn die AFD hat am Freitag bereits vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen das dort ansässige BFV Klage eingereicht. Darin beantragt sie, dem Verfassungsschutz zu verbieten, sie als Verdachtsfall einzustufen und dies öffentlich bekannt zu geben. Die AFD beruft sich auf ihr Recht auf Chancengleichheit nach dem Grundgesetz – gerade angesichts der bevorstehenden Wahlen in sechs Ländern und im Bund.
Seit Januar 2019 hat das BFV etliches Material gesammelt, ausgewertet und in einem 1000-seitigen Bericht zusammengefasst. Aber selbst wer diesen Bericht nicht gelesen hat, muss anerkennen: Die AFD bietet ausreichend Anhaltspunkte, flächendeckend unter die Lupe genommen zu werden.
Da ist der geschasste Brandenburger Andreas Kalbitz, der über seine Neonazi-vergangenheit in der verbotenen rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“stolperte und aus dem Afd-bundesvorstand und der Partei flog. Kalbitz scheiterte nun auch in zweiter Instanz vor dem Berliner Kammergericht mit seinem Begehr, wieder Mitglied in der AFD zu sein. Dann ist da der Afd-bundestagsabgeordnete Frank Pasemann aus Sachsen-anhalt, der unter anderem wegen eines antisemitischen Tweets über den jüdischen Publizisten Michel Friedman aus seiner eigenen Fraktion geworfen wurde. Und nicht zu vergessen natürlich: der rechtsradikale Vordenker Björn Höcke, dessen Landesverband Thüringen seit Juni 2019 vom Verfassungsschutz beobachtet wird (im August 2019 folgte der Landesverband Brandenburg).
Die parteiinterne, von Höcke gegründete Gruppierung „Flügel“sowie die gesamte Jugendorganisation Junge Alternative ( JA) werden ebenfalls seit März 2020 vom Verfassungsschutz als rechtsradikale Verdachtsfälle eingestuft. Beide Strömungen sind längst nicht mehr nur in einzelnen (ostdeutschen) Bundesländern vertreten. Und eine Berechtigung, die gesamte AFD zu beobachten, dürfte sich schon aus der Stärke des „Flügels“ergeben: Nach Einschätzung des BFV gehören gut 7000 Afd-mitglieder der Verbindung an, die offiziell zwar im April 2020 aufgelöst wurde, deren Anhänger aber weiterhin Parteimitglieder sind – und bundesweit bestens vernetzt. So viel wird jedem klar, der jene Mitglieder auf Parteitagen beobachtet. Auch der BFV hält die Auflösung des Flügels für ein „Täuschungsmanöver“.
Die Parteijugend JA ist „durch die drastische Missachtung rechtsstaatlicher Grundprinzipien, insbesondere des Gewaltmonopols des Staates und der Rechtsbindung der Verwaltung“ins Visier der Verfassungsschützer geraten. Hinzu kommt, dass der (vorwiegend männliche) Afd-nachwuchs ziemlich ambitioniert ist. In Bayern etwa sind vier Politiker in Ämtern, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden: Zwei Afd-kreisräte und zwei Afd-stadträte im Freistaat gehörten schon vor ihrer Wahl zur Jungen Alternative beziehungsweise zum„flügel”; eine Person hat Bezüge zur „Reichsbürger“-szene.
Eine Einstufung der gesamten Partei als rechtsradikaler Verdachtsfall würde erlauben, die AFD mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten, ihre Mitglieder zu observieren, abzuhören und V-leute in ihre Reihen einzuschleusen. Und das wäre gut so. Denn nur so könnten all die vermeintlichen Einzelfälle endlich erfasst und eingeordnet werden, nur so könnten jene Bestrebungen so früh auffallen, dass der Demokratie beschädigende und beschämende Angriffe erspart blieben.
Dazu zählt der Versuch der „Querdenker“im August 2020, den Reichstag zu stürmen – woran sich auch Afd-mitglieder beteiligten, etwa die Jugendbeauftragte der JA im Allgäu und ein sächsischer Afd-funktionär. Das belegen Fotos von den Tumulten auf den Reichstagstreppen. Vor allem schockierten im November jene rechten Störer, die es schafften, während der Beratungen zum Infektionsschutzgesetz in den Bundestag einzudringen und Abgeordnete zu belästigen. Die Afd-spitze verurteilte die Aktion zwar im Nachhinein, maßgeblich beteiligt aber waren ihre eigenen Vertreter: Die Rechten waren als Gäste der Afd-abgeordneten Udo Hemmelgarn und Petr Bystron ganz „offiziell“in den Bundestag gekommen.
Die Lippenbekenntnisse im Nachgang sind wertlos, und wenn Afd-chef Jörg Meuthen auf dem Parteitag in Kalkar die Mitglieder zur Räson ruft, wird das intern größtenteils belächelt. In Kalkar zeigte sich vielmehr, dass die Zahl der „Flügel“-sympathisanten eher noch gestiegen ist. Reichsbürger, Rassisten, Antisemiten und Islamfeinde – Gegner der Demokratie gehören zur DNA dieser Partei seit ihrer Gründung. Wie viele es sind, wo sie aktiv sind und was sie vorhaben, wird wohl zum Glück bald ganz genau beobachtet.
Der „Flügel“ist zwar offiziell aufgelöst, aber seine Anhänger sind weiter bestens vernetzt