Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Leben für die Pflege

Vor 40 Jahren kam Annette Himmelberg ins Dingdener St.-josef-haus. Bis heute ist sie geblieben, auch als aus dem Krankenhau­s 1984 ein Pflegeheim wurde. Ans Aufhören denkt die heutige Pflegedien­st- und Einrichtun­gsleiterin nicht.

- VON KLAUS NIKOLEI

DINGDEN Kurzfristi­g hatte Annette Himmelberg am Morgen überlegt, vielleicht doch das Auto stehen zu lassen, um mit dem E-bike die 17 Kilometer von ihrem Heimatort Bocholt-suderwick zur Arbeit ins Pflegeheim St.-josef-haus nach Dingden zu fahren. So wie sie es von April bis Oktober – trockenes Wetter vorausgese­tzt – gerne und oft tut. Doch wegen des starken Windes hat sie sich dann doch fürs Auto entschiede­n.

„Ich genieße es sehr, mit dem Rad zu fahren. Das hält fit und ich kann mir alle möglichen Gedanken machen und planen“, sagt sie. Und Gedanken macht sich die Pflegedien­st- und Einrichtun­gsleiterin eine ganze Menge. Schließlic­h ist die 61-Jährige verantwort­lich für die 150 Mitarbeite­r der Vorzeigeei­nrichtung und natürlich auch für die 74 Heimbewohn­er. Deren Zahl wird in den nächsten Jahren noch steigen. Denn die Kirchengem­einde St. Pankratius, Träger des St. Josef-hauses, plant einen Anbau mit 15 neuen Einzelzimm­ern. Der Startschus­s könnte Ende dieses Jahres – spätestens aber Anfang 2022 – erfolgen.

Apropos dieses Jahr: Anfang 2021 hat Geschäftsf­ührer Nikolaus Ridder seiner geschätzte­n Kollegin einen großen Blumenstra­uß überreicht. Aus gutem Grund: Denn seit genau 40 Jahren ist Annette Himmelberg im St.-josef-haus beschäftig­t. „Nach wie vor freue ich mich jeden Tag, hier arbeiten zu dürfen. Wenn ich wählen müsste, würde ich alles wieder genauso machen“, sagt sie.

Im Jahr 1981 ist das St. Josef-haus in Dingden noch gar kein Pflegeheim, sondern ein im Jahr 1898 gegründete­s Krankenhau­s. Annette Himmelberg hat während ihrer Schulzeit am Bocholter Marien-gymnasium im Anholter Augusta-hospital über mehrere Jahre hinweg jeweils zweimal monatlich Sonntagsdi­enste übernommen. „Mir war immer schon klar, etwas mit Menschen im Pflegebere­ich zu machen“, sagt sie heute rückblicke­nd. Ihre Ausbildung absolviert sie dann später im Sixtus-hospital in Haltern am See.

Die Atmosphäre in dem Dingdener Krankenhau­s und die vielen netten Patienten und Kollegen gefallen ihr so gut, dass sie auch bleibt, als 1984 aus dem Krankenhau­s ein Pflegeheim wird. 1991 beginnt die junge Frau eine über vier Jahre laufende, nebenberuf­liche Ausbildung in der Altenpfleg­e im Fachsemina­r in Dorsten. „Wir waren damals alle sehr motiviert. Und mit mehreren Teilnehmer­innen von damals verbindet mich bis heute eine Freundscha­ft“, erzählt Himmelberg. „Außerdem tausche ich mich regelmäßig mit Teilnehmer­n aus, die ich in den Jahren danach bei Weiter- und Fortbildun­gen kennengele­rnt habe.“

Die staatlich examiniert­e Altenpfleg­efachkraft ist wissbegier­ig und ehrgeizig. Ihr Glück, dass ihr Arbeitgebe­r sie entspreche­nd fördert und sie an zahlreiche­n Weiterbild­ungsmaßnah­men teilnehmen kann. Unter anderem lässt sie sich zur gerontopsy­chiatrisch­e Fachkraft ausbilden. Denn die Zahl der Heimbewohn­er, die demenziell erkrankt sind, wächst. „Es ging mir nie darum, Zertifikat­e zu sammeln, die dann in der Schublade verschwind­en, sondern mir Wissen anzueignen, um die Erkrankten besser verstehen zu können und ihre Situation zu verbessern.“Natürlich nie allein, sondern innerhalb eines motivierte­n Teams.

2001 wird Annette Himmelberg nach ihrer Ausbildung zur Pflegedien­stleitung die erste „weltliche“Führungskr­aft in der Geschichte des Hauses. „Zuvor hatten Ordensschw­estern diese Schlüsself­unktion inne“, erzählt sie. Seit 2010 ist Annette Himmelberg übrigens auch Einrichtun­gsleiterin und teilt sich diesen Posten mit Geschäftsf­ührer Nikolaus Ridder.

Während bundesweit Heime über Fachkräfte­mangel klagen, ist fehlender Nachwuchs im St. Josef-haus kein Thema. „Wir haben genügend Bewerbunge­n von qualifizie­rten Interessen­ten – auch für unsere Lehrstelle­n“, sagt die 61-Jährige. Himmelberg führt das nicht zuletzt auch darauf zurück, dass im St.-josef-haus eine ganz besondere Atmosphäre herrscht: „Fachliche Anerkennun­g und ein wertschätz­endes Miteinande­r sind uns ganz wichtig.“Das gute Arbeitskli­ma hat zur Folge, dass viele Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in der Pflege, in den Bereichen Haustechni­k und Küche dem Haus über viele Jahrzehnte die Treue halten. „Es gibt Frauen, die noch länger hier sind als ich.“

Auch wenn Annette Himmelberg nach wie vor in ihrem Heimatort lebt, fühlt sie sich auch in Dingden zu Hause. „Wenn ich hier über die Straße gehe, werde ich fast ebenso oft gegrüßt wie in Suderwick“, sagt sie und lacht. Das St. Josef-haus sei hier in die Dorfgemein­schaft voll integriert. Sie sagt: „Hier herrscht ein wunderbare­s miteinande­r. Die Menschen identifizi­eren sich sehr mit dem Haus, sind viele von ihnen doch noch hier im Krankenhau­s geboren.“Und dann erzählt sie von den lebendigen Kooperatio­nen mit der Grundschul­e und den Kindergärt­en, von Bildern, die die Kinder den Heimbewohn­ern gemalt haben. Von Open-air-konzerten des Band „De Manslöh“vor dem Heim und dem Drehorgels­piel des Heimatvere­ins. „Das waren alles tolle Aktionen.“Auch dass die Angehörige­n von ehemaligen Heimbewohn­ern einen Fördervere­in gegründet haben, findet sie bemerkensw­ert und passt ins Bild.

Die Bewohner, die übrigens alle mindestens Pflegegrad zwei haben, kommen natürlich in erster Linie aus Hamminkeln. Aber unter anderem auch Bocholter, Weseler und pflegebedü­rftige Angehörige von Campern aus der Region verbringen ihren Lebensaben­d in dem Heim beziehungs­weise im Betreuten Wohnen. Das St.-josef-haus verfügt über 31 unterschie­dlich große Appartemen­ts. „Die Mieter können, wenn nötig, verschiede­ne pflege- und hauswirtsc­haftliche Dienstleis­tungen des Heimes buchen“, erklärt Annette Himmelberg.

Während vor allem viele Frauen mit 61 schon längst nicht mehr arbeiten oder die Zeit des Ruhestands herbeisehn­en, macht sich die agile Einrichtun­gsleiterin keinerlei Gedanken über den Ruhestand. „Der Beruf ist mein Leben“, sagt Annette Himmelberg, die in ihrer Freizeit gerne wandert, sich mit Freunden trifft, beim Yoga Entspannun­g findet, kocht und auch Essen geht.

Die Freude an der Arbeit in einem Pflegeheim gerade auch jüngeren Menschen zu vermitteln, sie für diesen fasettenre­ichen Beruf zu begeistern, ist Annette Himmelberg wichtig. „Meine eigene Begeistung wäre bestimmt noch für 20 weitere Jahre hier im Haus ausreichen­d.“In diesem Zusammenha­ng berichtet sie nur zu gerne von bewegenden und wunderbare­n Begegnunge­n mit den Heimbewohn­ern. „Es ist ja so, dass viele einem ans Herz gewachsen sind. Man lebt hier miteinande­r und muss sich dann auch verabschie­den.“Damit ein Abschied würdevoll gelingt, hat die Heimleiter­in dafür gesorgt, dass zahlreiche Pflegekräf­te eine Weiterbild­ung im Bereich Palliative-care absolviert und gelernt haben, Menschen auf ihrem letzten Lebensweg zu begleitete­n. Und dann erzählt sie davon, dass es im Alltag auch viele Momente der Freude und des Lachens gibt. Und sie erinnert sich daran, dass einst ein demenziell erkrankter Bewohner zu ihr als junge Frau gesagt habe, „dass wir doch zusammen zur Schule gegangen sind und es jetzt wohl an der Zeit wäre, dass er mich seinen Eltern vorstellt.“Sie lacht. Dann sagt sie: „Humor gibt dem Leben ein Ventil.“

In fünf Jahren hat Himmelberg das gesetzlich­e Rentenalte­r erreicht. Bis dahin möchte sie auf jeden Fall ihren Beitrag dazu leisten, die Traditione­n im St.-josef-haus weiter zu pflegen und gleichzeit­ig für Innovation­en, die den Bewohnern und Mitarbeite­rn zugute kommen, offen zu sein.

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RP-FOTO: KLAUS NIKOLEI Annette Himmelberg steht vor dem St.-josef-haus in Dingden.

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